Rechtsextremismus in Deutschland. Eine Chronik laufender Ereignisse

In regelmäßigen Abständen veröffentlicht Hermann Vinke, Sprecher unserer Regionalen Arbeitsgruppe Bremen-Unterweser, Journalist und Buchautor, auf dieser Seite themenbezogene Beispiele aus verschiedenen Orten. Mit Blick auf das Lokale wird gezeigt, welche Gefahren und Lösungsmöglichkeiten hier bestehen und welche Bedeutung sie für Deutschland ingesamt haben.

Fallbeispiele

Beispiel Tröglitz in Sachsen-Anhalt

In Tröglitz sah sich 2015 Ortsbürgermeister Markus Nierth gezwungen, seinen Rücktritt zu erklären, nachdem Rechtsextremisten und Neonazis ihn und seine Familie...

In Tröglitz sah sich 2015 Ortsbürgermeister Markus Nierth gezwungen, seinen Rücktritt zu erklären, nachdem Rechtsextremisten und Neonazis ihn und seine Familie massiv bedroht hatten. Vom Ortsparlament und von übergeordneten Behörden wurde Nierth in dem dramatisch zugespitzten Konflikt um die Unterbringung von Geflüchteten in Stich gelassen. Die für die Migranten vorgesehene Unterkunft wurde über Nacht in Brand gesteckt.

 

Schlussfolgerungen: In Orten und Städten, in denen Brennpunkte, etwa durch Konflikte um die Unterbringung von Migranten entstehen, kommt es darauf an, für bedrängte Personen unverzüglich Unterstützung zu organisieren. Betroffene Einwohner dürfen nicht in Stich gelassen werden.

Notwendig ist eine Art Frühwarnsystem, wobei Kontakte etwa mit kommunalen Behörden, der Polizei und anderen staatlichen Stellen, die über entsprechende Informationen verfügen, hilfreich sein können.

Wichtig ist, dass solidarische Hilfe aus der Zivilgesellschaft selbst kommt. Dies kann in Form von Beratung und Begleitung geschehen – am besten von Beginn an im Verbund mit Gruppen und Aktivisten, die sich ebenfalls den Geboten der Toleranz und Mitmenschlichkeit verpflichtet fühlen.

Welche Maßnahmen in einer Auseinandersetzung, die sich über eine längere Zeit hinziehen kann, zu treffen sind, welche Schritte im Einzelnen unternommen werden, wird vor Ort entschieden, nicht von oben.

In der Frühphase eines Konfliktes ist es entscheidend, dass Rechtsextremisten und Neonazis Grenzen aufgezeigt werden. Wenn Populisten und Demagogen die Straßen und Plätze beherrschen, ist es meistens schon zu spät. Dann haben sie die erste Runde bereits für sich entschieden.

Beispiel Chemnitz

In den frühen Morgenstunden des 26. August 2018 wurde ein Deutsch-Kubaner bei einem Streit mit Asylbewerbern mit einem Messer erstochen. Den Tod des 35jährigen...

In den frühen Morgenstunden des 26. August 2018 wurde ein Deutsch-Kubaner bei einem Streit mit Asylbewerbern mit einem Messer erstochen. Den Tod des 35jährigen am Rande des Chemnitzer Stadtfestes nahmen Rechtextremisten und Neonazis an den folgenden Tagen zum Anlass, in der Stadt Jagd auf Migranten und vermeintliche politische Gegner zu machen. Augenzeugen berichteten von Jagdszenen und Morddrohungen.

Die drittgrößte sächsische Stadt am Nordrand des Erzgebirges kommt seitdem nicht mehr zur Ruhe: Aufmärsche der AfD im Verbund mit der rechtsextremen Terrorzelle „Revolution Chemnitz“ und einer rechtsradikalen Bürgerinitiative „Pro Chemnitz“, Angriffe mit Steinen und Eisenstangen auf das jüdische Restaurant „Schalom“, Überfälle auf das syrische Restaurant „Safran“, das persische Lokal „Schmetterling“ und das türkische Bistro „Mangal“ – Rechtsextreme und Neonazis proben in Chemnitz den Aufstand gegen den demokratischen Rechtsstaat.

Indirekte Schützenhilfe lieferte ihnen der inzwischen aus dem Amt geschiedene Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, der bis zuletzt in Interviews und Reden das Ausmaß rechtsextremer Angriffe bagatellisierte. Auch die sächsische Polizei musste sich vorwerfen lassen, auf die Gefahr der extremen Rechten trotz deutlicher Vorwarnungen nicht angemessen reagiert zu haben.

 

Schlussfolgerungen: Die Möglichkeit einer direkten Intervention in die Ereignisse von Chemnitz war für Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. nicht gegeben. Dass die Konflikte in der sächsischen Stadt durch den Streit im Fall Maaßen bundespolitisch noch überlagert waren, machte die Lage noch schwieriger. Umso wichtiger ist es, wenigstens im Nachgang die Ursachen für die Eskalation zu erkennen.

Zahlreiche Einwohner von Chemnitz sind inzwischen dazu übergegangen, dem braunen Mob nicht länger Straßen und Plätze zu überlassen. Sie haben begriffen, dass es den Neonazis nicht um die Trauer um einen Toten geht, sondern dass diese das schreckliche Geschehen für ihre demokratiefeindlichen Ziele ausschlachten.

Neben Bürgerinitiativen gegen rechte Demagogen sollten künftig auch Schulen verstärkt in die Abwehr rechtsextremistischer Herausforderungen mit einbezogen werden. Die jüngste Vergangenheit von „Karl-Marx-Stadt“ bietet Jugendlichen Ansatzpunkte für eigene Recherchen. Chemnitz war vor dem Krieg und auch zur DDR-Zeit ein weltweit geschätztes Zentrum der Herstellung von Textil- und Werkzeugmaschinen. Die ehemalige Werkzeugfabrik „Hermann und Alfred Escher AG“ ist heute Sächsisches Industriemuseum.

Chemnitz besaß früher am Südrand der Stadt einen eigenen Flughafen. Die damit verbundenen Geschichten könnten ebenfalls Gegenstand eines Recherche-Projektes sein, an dem sich Schülerinnen und Schüler beteiligen.

Beispiel Köthen in Sachsen-Anhalt

In der Stadt Köthen starb in der Nacht zum 9. September 2018 ein 22-jähriger Deutscher nach einem Streit mit zwei Afghanen. Der Tathergang ist noch unklar. Es...

In der Stadt Köthen starb in der Nacht zum 9. September 2018 ein 22-jähriger Deutscher nach einem Streit mit zwei Afghanen. Der Tathergang ist noch unklar. Es heißt, es habe einen Wortwechsel mit einer Frau darüber gegeben, wer der Vater ihres Kindes sei. Eine angebliche Zeugin berichtete zunächst, die beiden Afghanen hätten „wie beim Fußball“ gegen Kopf und Bauch des Mannes getreten. Bei der Vernehmung revidierte sie ihre Aussagen. Verletzungen wurden bei dem Verstorbenen nicht festgestellt. Die Obduktion ergab nach Angaben der Staatsanwaltschaft, dass der herzkranke Mann an Herzversagen gestorben sei.

Unverzüglich instrumentalisierten Rechtsextreme und Neonazis den Todesfall. Die zeitliche Nähe zu den Ereignissen in Chemnitz verschaffte ihnen zusätzlichen Auftrieb. Innerhalb weniger Stunden organisierten sie einen „Trauermarsch“ und trommelten 500 Rechtsextreme zusammen. Auf weiteren Kundgebungen tat sich besonders der Sprecher der rechtsextremen „Thügida“ hervor, der von einem „Rassenkrieg gegen das deutsche Volk“ sprach.

Der Mann pöbelte gegen Presse, Politiker und Behörden. Auch als offen NS-Sprechchöre einen „Nationalen Sozialismus jetzt“ forderten, griff die Polizei nicht ein. Allerdings hatten die Sicherheitskräfte die Lage deutlich besser im Griff als zuvor in Chemnitz.

 

Schlussfolgerungen: Das Tempo, in dem Neonazis ihre Kundgebungen organisieren, hat deutlich zugenommen. Die Gruppen sind untereinander eng vernetzt. Die AfD, die versucht, Abstand zu der extremen Rechten zu wahren, um ein bürgerliches Image aufrecht erhalten zu können, ist in deren Aktivitäten tief verstrickt. Krampfhafte Distanzierungen bleiben unglaubwürdig, solange    z. B. der als AfD- Landesvorsitzender in Thüringen wiedergewählt Björn Höcke der Partei angehört. Höcke zieht als rassistischer Agitator durchs Land und tritt offen für eine andere Staatsform ein. Damit entwickelt sich die sog. „Alternative für Deutschland“ zu einer Tarnorganisation der Neonazis in Deutschland.

Den Verfechtern von Freiheit und Demokratie bereitet es zusehends Schwierigkeiten, diesem Vormarsch, der immer mehr Dörfer und Städte erfasst, wirksam entgegenzutreten. Zunächst sind Polizei und Justiz gefordert, um offenkundige Straftatbestände zu ahnden. Wichtiger denn je sind Gegenbewegungen aus der Mitte der Gesellschaft. Voraussetzung dafür ist eine solide Aufklärung der Bevölkerung durch die Medien. Auf die Ereignisse in Köthen hat die „Mitteldeutsche Zeitung“ angemessen reagiert. In einem Kommentar heißt es: Diese Angst vor Flüchtlingen ist unbegründet. Ja, unter denen, die hierhergekommen sind, gibt es Kriminelle. Und manche sind hier erst zu Kriminellen geworden. Der Verfasser des Leitartikels plädiert dafür, die Angst zu überwinden und Anstand und Toleranz in der Gesellschaft wiederherzustellen.

Beispiel Ostritzer Friedensfest im April 2018

In der sächsischen Stadt Ostritz unweit der Grenze zu Polen plante die NPD für Neonazis aus der ganzen Republik ein Großereignis mit Aufmärschen,...

In der sächsischen Stadt Ostritz unweit der Grenze zu Polen plante die NPD für Neonazis aus der ganzen Republik ein Großereignis mit Aufmärschen, Kampfsportvorführungen und Ständen. Die Initiative für ein Friedensfest als Gegenkundgebung ging zunächst von der Bildungsstätte St. Marienthal aus. Daraus entwickelte sich schnell ein breites Bündnis, dem es gelang das Treffen der Neonazis an den Rand zu drängen und die öffentliche Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen.

 

Schlussfolgerungen: Das Schmieden von Bündnissen hat sich in Ost- wie auch in Westdeutschland längst bewährt. Ein isoliertes Vorgehen birgt von Anfang an die Gefahr des Scheiterns in sich. Eine gemeinsame Aktion verschiedener Gruppen demonstriert im Übrigen das wahre Kräfteverhältnis in der Gesellschaft: Wir sind die Mehrheit.

Das Beispiel Ostritz zeigt: Die Organisatoren entwickeln in kurzer Zeit einen erstaunlichen Lernprozess. Sie probieren unterschiedliche Methoden aus. Tausende von Menschen werden mobilisiert. Die Öffentlichkeit wird sensibilisiert, welche Gefahr unserer Demokratie droht.

Menschen in Führungspositionen sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Manchmal ist es notwendig, ein wenig nachzuhelfen. Beim Friedensfest in Ostritz hatte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer die Schirmherrschaft übernommen. Bürgermeister/innen sind beim Aufmarsch von Rechtsextremisten vielfach überfordert. Oft haben sie keine kommunalpolitische Erfahrung. Bleiben sie allein gelassen, haben Neonazis ein leichtes Spiel.

Beispiel „Meile der Demokratie in Magdeburg“

Bereits seit zehn Jahren versammeln sich in Magdeburg jeweils im Januar Menschen, um ein Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit zu setzen. Über hundert...

Bereits seit zehn Jahren versammeln sich in Magdeburg jeweils im Januar Menschen, um ein Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit zu setzen. Über hundert Vereine, Verbände, Initiativen und Schulen beteiligen sich daran. Am 16. Januar 1945 hatten alliierte Bomber die Innenstadt fast ganz in Schutt und Asche gelegt und Tausende von Einwohnern unter den Trümmern begraben. Statt den Rechten dieses historische Datum für ihre Agitation zu überlassen, sorgt jährlich ein breites Bündnis dafür, dass Rechtsextremisten erst gar nicht zum Zuge kommen.

 

Schlussfolgerungen:  Die Magdeburger „Meile der Demokratie“ ist ein gelungenes Beispiel für Prävention. Sensible historische Ereignisse wie die Bombardierung deutscher Städte bei Kriegsende werden von den Rechten dazu benutzt, die jüngste Geschichte zu verfälschen und einen deutschen Opfer-Mythos zu schaffen, um die Ursachen für die monströsen Verbrechen des NS-Regimes zu verwischen.

Es gilt, durch eigene Aktivitäten rechtzeitig sicherzustellen, dass symbolträchtige Daten und Monumente (Fall der Mauer, Friedliche Revolution, Weimarer Verfassung, Dresdner Frauenkirche, etc.) nicht von Rechtsextremisten als Plattform für Geschichtsklitterung und Demagogie genutzt werden.

Bei der „Meile der Demokratie 2018“ hat die AfD durchgesetzt, dass sie ebenfalls eigene Stände aufbauen konnte. Einzelne Mitveranstalter haben deswegen ihr Engagement aufgekündigt. In dem Konflikt rückte die Partei mehrfach in den Fokus regionaler Berichterstattung. Das gab der AfD Gelegenheit, ihren Opfer-Mythos zu pflegen und einen Werbeeffekt zu erzielen. Künftig kommt es darauf an, vor Ort frühzeitig auf Presseberichterstattung, vor allem der Anzeigenblätter und Regionalzeitungen, Einfluss zu nehmen, damit diese sich nicht für die Ziele der AfD einspannen lassen.

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