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Lesung + Diskussion: "Die Apotheke im Krakauer Ghetto"

Dienstag, 24. September 2019

In Kooperation mit der Buchhandlung am Obstmarkt fand am 24. September eine Präsentation des Buchs „Die Apotheke im Krakauer Ghetto“ von Tadeusz Pankiewicz statt. Im bis auf den letzten Platz besetzten S-Forum der Neuen Stadtbücherei führte Stefan Mack vom Verein „Gegen Vergessen - Für Demokratie“ durch den Abend. Er sprach mit Jupp Schluttenhofer, einem Immobilienmakler aus Friedberg bei Augsburg. Dieser hatte mit Unterstützung von Sarah und Benno Käsmayr vom Augsburger Maroverlag einen Reprint des lange vergriffenen Buches in deutscher Sprache herausgegeben. Schauspieler Matthias Klösel las in ergreifender Weise ausgewählte Passagen aus dem Buch von Pankiewicz, der seine Erinnerungen 1946/47 aufgeschrieben hatte.

„Der Nationalsozialismus kam nicht als Tsunami, sondern schleichend“, sagte Schluttenhofer. Auch heute gebe es erneut gefährliche Bestrebungen „zu selektieren, wer Mensch ist und wer nicht“. Darum musste er etwas tun, um diese „Geschichtsquelle ersten Ranges“ vor dem Vergessen zu bewahren. „Einer musste es ja machen.“ Die Präsentation wurde eindrucksvoll umrahmt durch das Klezmer-Ensemble „Feygele“ unter Leitung von Josef Strzegowski von der Jüdischen Gemeinde Schwaben Augsburg.

Was geschah in Krakau während des 2. Weltkrieges? Das NS-Regime errichtete 1941 im Stadtteil Podgorce südlich der Weichsel ein Ghetto ein, das bis Ende 1943 bestand. Die erste perfide Tat der Nazis bestand darin, dass sie Krakauer Juden zwangen, die Mauer um das Ghetto im Stil jüdischer Grabdenkmäler zu bauen. Auch der in Krakau geborene Augsburger Ehrenbürger Mietek Pemper (1920-2011) lebte im Ghetto und berichtete darüber in einem Kapitel seines Buches „Wie es zu Schindlers Liste kam“.

Mitten im Ghetto am „Friedensplatz“ arbeitete und wohnte der polnische Pharmakologe Tadeusz Pankiewicz. Als einziger Nicht-Jude erhielt er von den Nazis eine Sondergenehmigung, seine Apotheke weiter zu betreiben und dort auch zu wohnen. Zunächst entwickelte sich im Ghetto ein vielfältiges Leben mit einer Jüdischen Zeitung, einem Kinderheim, Kliniken, Altersheimen, einem rituellen Badehaus und einem Tanzcafé. Die Apotheke war Anlaufstelle für alle und Ausgangspunkt für viele Rettungstaten. Sie wurde zum Ort eines geheimen Judaistik-Unterrichts, zum Treffpunkt des Untergrunds und zum Versteck für wertvolle Thora-Rollen.

Als das gezielte Morden im Ghetto beginnt, sieht Pankiewicz, wie die SS mit zunehmender Brutalität vorgeht. Alle Kinder werden von den Eltern getrennt. „Die Angst um das Schicksal der Kinder raubt den Menschen den Verstand.“ (S. 206) Alte und kranke Menschen werden verspottet, misshandelt und ermordet. Die Jüdinnen und Juden, die zur Ermordung geführt werden, gehen mit Würde und schweigend in den Tod. „Das Schweigen der Opfer versetzte sie (die Deutschen) in Raserei“. (S.158) 1943 werden die wenigen noch Lebenden in die KZs Auschwitz, Treblinka oder Plaszów gebracht.

Das auf den Erinnerungen von Pankiewicz fußende Buch „Die Apotheke im Krakauer Ghetto“ erschien 1960 in Polen. Er gab darin vielen Ermordeten ihre Namen zurück und benannte zahlreiche polnische Helfer*innen. Er veröffentlichte die Namen der Täter und sagte bei Kriegsverbrecherprozessen aus. 1995 erschien die erste deutsche Ausgabe seines Buches. Eine zweite Auflage wurde nicht mehr gedruckt. Anfang 2018 hat Jupp Schluttenhofer aus Friedberg bei Augsburg einen Reprint herausgegeben (s. oben).

In der Apotheke am heutigen Plac Bohaterów (Heldenplatz) wurde in den 80er Jahren ein Museum eingerichtet. Es dokumentiert das Martyrium der Ghettobewohner*innen und das helfende Wirken des Apothekers. Für seinen Einsatz zur Rettung vieler jüdischer Menschen wurde Tadeusz Pankiewicz 1983 mit dem israelischen Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet. Er starb 1993 85jährig in Krakau.

In einer Zeit, in der Leugnung des Holocaust, Antisemitismus und Angriffe auf jüdische Menschen und Einrichtungen zunehmen, ist das Buch ein wichtiger Beitrag zur Wachsamkeit, gegen das Vergessen und für eine friedvolle Zukunft. (Text: D. Ferdinand)