Grußwort zur Preisverleihung 2015

Carina Gödecke, Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen

Foto: Tobias Kleinod

Sehr verehrter, lieber Herr Professor Bernd Faulenbach,

sehr geehrte Preisträger und Laudatoren,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Gäste!

I.

An der Ehrung und Auszeichnung engagierter Menschen teilzunehmen, die sich gegen Rechtsextremismus und für Demokratie einsetzen – das ist mir gerade nach den Geschehnissen der letzten Tage ein ganz besonderes Bedürfnis.

Denn diese Tage zeigen uns in beinahe schon dramatischer Weise, wie verletzlich Freiheit und Demokratie sein können und wie wichtig, ja notwendig es ist, für sie einzustehen und sie zu verteidigen. Deshalb liegt mir die heutige Preisverleihung besonders am Herzen.

Dass sie hier in der evangelischen Salvatorkirche stattfindet, die nach einer Bombennacht im Mai 1943 in Schutt und Asche lag, aber im kommenden Jahr ihren stolzen 700-jährigen Geburtstag  feiern kann, hat - wie ich finde - eine schöne Symbolik, nämlich:

Unsere christlichen Werte, die auch durch die Existenz solcher Kirchen ausgedrückt werden, sie haben Bestand und sind von Dauer.

Ich freue mich sehr, Ihnen als Landtagspräsidentin an diesem Ort die Grüße und guten Wünsche unseres Landesparlamentes persönlich überbringen zu können.

II.

Verehrte Gäste, ich möchte mit folgendem Zitat einsteigen:

„Die Erinnerung ist wie das Wasser: Sie ist lebensnotwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen. Erinnerung ist immer konkret: Sie hat Gesichter vor Augen, und Orte, Gerüche und Geräusche. Sie hat kein Verfallsdatum und sie ist nicht per Beschluss für bearbeitet oder für beendet zu erklären… Auch deshalb wollen wir als Opfer und dürfen wir als Opfer nicht vergessen werden.“

Das sind Worte von Noach Flug, Auschwitz-Überlebender und bis zu seinem Tod im Jahr 2011 Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees.

Ich habe dieses Zitat,   das die Erinnerung  dem Vergessen als unabdingbare Notwendigkeit  entgegensetzt,  bereits vorgestern in einem Grußwort verwandt. Und zwar bei der Feierstunde zum 20-jährigen Bestehen des „Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte NRW“, das wir im Landtag begangen haben.

Damit ist dieser Arbeitskreis übrigens nur unwesentlich jünger als „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ und ebenso ein Kind der 1990er Jahre.

Die Existenz und das segensreiche Wirken beider Vereine, trotz ihrer Unterschiedlichkeit, lassen in mir das innige Gefühl wachsen, verbunden mit Stolz:

Ja, in unserem Land besteht eine Kultur der Verantwortung, die die Erinnerung an dunkle Kapitel deutscher Geschichte wachhält und informiert, und darüber hinaus die Lehren daraus in Form von Bildung vermittelt. Und diese Kultur der Verantwortung  mit hohem Bildungsanspruch wird überwiegend getragen von Menschen im Ehrenamt, die hier bei uns, aber auch im Ausland ein Bild zeichnen, auf das wir zu Recht auch ein wenig stolz sein können. 

Ja, Erinnerung ist lebensnotwendig wie das Wasser. Sie hat kein Verfalldatum und geht niemals zu Ende. Um es deutlich zu sagen: Ein Vergessen von Opfern bedeutet immer ein zusätzliches, ein zweites Verbrechen an ihnen.

IV.

Verehrte Gäste, eine Verbindung von historischer Erinnerungsarbeit und konkretem Einsatz für die Demokratie – das war die Absicht der Gründungsmitglieder von „Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.“, die sich 1993 vor dem Hintergrund rassistischer und fremdenfeindlicher Ausschreitungen zusammenfanden.

Mölln und Solingen sind auch über zwei Jahrzehnte später keinesfalls vergessen.

Dass „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ ein segensreiches Wirken entfalten würde, das konnte man bei der Gründung vor über zwei Jahrzehnten zwar wünschen und auch hoffen. Doch garantieren konnte das niemand.

Dass sich dann im Laufe der Zeit immer mehr Menschen von der Idee des Vereins angezogen fühlten, gegen das Vergessen zu arbeiten und sich für Demokratische, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu engagieren, das konnte keiner ahnen. Und das ist aus heutiger Sicht ja auch das Wunderbare daran.

Natürlich war es hilfreich, dass „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ von Anfang an Unterstützung von bekannten Persönlichkeiten fand: Rita Süssmuth, Hans-Jochen Vogel, Irmgard Schwaetzer, Hans Koschnick, Joachim Gauck, Cornelia Schmalz-Jacobsen, Eberhard Diepgen - und schließlich auch Bernd Faulenbach.

Sie alle haben für den Verein Verantwortung übernommen oder tun es noch heute.

Dennoch: So wichtig große Namen auch sind: „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ lebt ganz besonders von dem tatkräftigen und ideenreichen Engagement der vielen ehrenamtlichen Frauen und Männer, Jung und Alt, die diesen Verein so lebendig machen, gerade auch in den 33 regionalen Arbeitsgruppen, sechs davon in Nordrhein-Westfalen.

V.

Verehrte Gäste, Ich möchte als Landtagspräsidentin vor der eigentlichen Preisverleihung darlegen, warum das Engagement im Ehrenamt so wichtig, so unverzichtbar ist. Warum es mir politisch wie persönlich so am Herzen liegt.

Ich glaube, der Pädagoge Hermann Gmeiner hat das mit einem Satz sehr schön beschrieben:

„Alles Große in unserer Welt geschieht nur, weil jemand mehr tut, als er muss.“

Lassen wir diesen Satz noch einmal in uns nachklingen:

„Alles Große in unserer Welt geschieht nur, weil jemand mehr tut, als er muss.“

Ja, in unserem Gemeinwesen wären viele Projekte und Pläne vergeblich, ließen sich nicht immer wieder Menschen finden, die bereit wären mitzuhelfen, eine humane, solidarische und lebenswerte Gesellschaft zu bauen, und vor allem am Leben zu halten:

•       Menschen, die eben nicht sagen: 'Man kann doch nicht allen helfen' , und letztlich deshalb keinem helfen.

•       Menschen, die hinsehen, statt wegzublicken.

•       Menschen, die ein großes oder kleines Projekt anstoßen und gemeinsam mit anderen, oder auch alleine verwirklichen

•       oder Menschen, die ganz einfach dort anpacken, wo sie gerade stehen, mit den Mitteln, über die sie verfügen, und die denjenigen helfen, denen sie begegnen. Eben Menschen, die nicht lange sagen „man müsste mal“, sondern einfach handeln.

VI.

Verehrte Gäste, genau das Letztere, dass Menschen handeln ohne lange zu fragen, erlebe ich genau wie Sie auch aktuell in wirklich beeindruckender Weise -  fast überall, wo ich in Nordrhein-Westfalen unterwegs bin.

Wo man auch hinblickt, wohin man auch kommt, man sieht und trifft überall auf Menschen, die sich privat oder in Initiativen und Vereinen um Flüchtlingsfamilien kümmern, und sie in vielfältiger Weise unterstützen:

mit Kleidung, mit Spielsachen, mit Sprachunterricht, ja einfach mit menschlicher Wärme.

Ganz im Sinne christlicher Nächstenliebe, ob sie nun gläubig sind nicht; oder - um eine andere Traditionslinie anzusprechen - im Sinne praktischer Solidarität.

Diese Menschen tun im wahrsten Sinne des Wortes mehr als sie tun müssen. Das ist großartig, und ich bin dankbar dafür.

Diejenigen, die sich ehrenamtlich bei „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ beteiligen, haben ein ganz besonderes Anliegen:

Sie erinnern an die beiden Diktaturen auf deutschem Boden, sie gedenken der Opfer von Nazi-Barbarei und Shoa und machen auf das in der DDR geschehene Unrecht aufmerksam. Dies tun sie vor allem ganz praktisch:

durch Gedenkveranstaltungen, Ausstellungen, Studienfahrten oder Zeitzeugengespräche. Und sie tun es, um gegen das Vergessen zu wirken und um unsere Demokratie mit Leben zu erfüllen.

In ihrer Freizeit arbeiten die Mitglieder lokale geschichtliche Bezüge heraus. Sie wissen aus der Beschäftigung mit den dunklen Kapiteln deutscher Geschichte, wie gefährlich Diskriminierung und Vorurteile sind.

Deshalb treten sie im Sinne des „Nie wieder“ als überzeugte Demokraten entschieden auf gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus.

Für dieses bürgerschaftliche, zutiefst demokratische Engagement danke ich Ihnen allen heute von Herzen. Und meine Bitte lautet:

Lassen Sie in Ihrem segensreichen Tun nicht nach. Die Ereignisse zeigen: Wir alle brauchen Menschen wie Sie dingend.

Ich danke Ihnen.