Zur Erinnerung an Heinz Putzrath

von Bernd Faulenbach

Vor 15 Jahren, am 24. September 1996, starb plötzlich Heinz Putzrath, von dem entscheidende Impulse zur Gründung der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ ausgingen. Ich erinnere mich gut an Gespräche mit ihm Anfang der 90er-Jahre: Ihn, den Verfolgten des NS-Regimes, trieb der Gedanke um, dass die Erinnerungsarbeit der Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung auch nach deren Tod weitergeführt und deshalb auf eine neue Grundlage gestellt werden müsse. Dazu wollte er, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten, ein überparteiliches Projekt ins Leben rufen, das von Demokraten auch der anderen Parteien unterstützt wurde. Ihm gelang es, prominente Persönlichkeiten, insbesondere Hans-Jochen Vogel, dafür zu gewinnen.

Schon von seiner Lebensgeschichte her war Heinz Putzrath – wie Hans-Jochen Vogel in seiner Trauerrede 1996 erklärte – ein „außerordentlicher Mann“. 1916 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Breslau geboren, besuchte er das Realgymnasium und schloss sich als Schüler dem Deutsch-Jüdischen Wanderbund und dem Sozialistischen Schülerbund an. Im Kontext der Auseinandersetzungen im Überlebenskampf der Republik wurde er als 16-Jähriger Mitglied der KPD-Opposition (KPO), die anders als die moskauorientierte KPD-Führung eine schroffe Frontstellung gegen die SPD ablehnte. Zunächst in einer Autoschlosserei tätig, dann in einer Tapisseriefabrik eine kaufmännische Ausbildung beginnend, engagierte er sich in der Widerstandsarbeit gegen Hitler, wurde jedoch schon im September 1933 verhaftet und wegen Hochverrats zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Aus der Haft entlassen, floh der 17-Jährige nach Holland, absolvierte hier eine Bauschlosserlehre in einem Werkdorf des jüdischen Flüchtlingskomitees, wurde 1936 jedoch wegen politischer Betätigung ausgewiesen und rettete sich in die Tschechoslowakei und von dort nach Großbritannien, wo er – „mit dem Gesicht nach Deutschland“ – in einer Baufirma und dann in einer Flugzeugfabrik arbeitete. 1940/41 als Deutscher interniert, verstärkte er während des Krieges sein politisches Engagement. Er trat der Widerstandsgruppe „Neu Beginnen“ und der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter bei, arbeitete in der „Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien“ mit, die in der Sozialdemokratie aufging.

1946, nach zwölfjährigem Exil, kehrte Heinz Putzrath nach Deutschland zurück und wurde Auslandsreferent des SPD-Vorstandes, zunächst in Hannover, seit 1951 in Bonn. In dieser Eigenschaft wirkte er als Mann der praktischen Politik an der Wiedergründung der Sozialistischen Internationale mit und knüpfte Beziehungen der SPD zur Arbeitspartei in Israel. Einige Jahre später war er Mitgründer der Deutsch-Israelischen  Gesellschaft. Seit 1961 arbeitete er als Geschäftsführer der Organisation „Weltweite Partnerschaft“, die technische Entwicklungshilfe leistete, und war von 1968 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1981 Leiter der Abteilung Gesellschaftspolitische Information der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Nach dem Eintritt in den Ruhestand begann bei Putzrath eine neue Phase rastloser Tätigkeit, in deren Mittelpunkt die Gegenwartsbedeutung der NS-Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und mit jeder Form der Totalisierung stand. Seit 1982 war er Berater der Historischen Kommission beim SPD-Vorstand, die von Susanne Miller geleitet wurde, die ihn aus dem Londoner Exil kannte. In vielfältigem Kontakt mit Menschen in aller Welt stehend, die vom NS verfolgt worden waren, wurde er 1983 zum Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der verfolgten Sozialdemokraten gewählt, gab die AVS-Mitteilungen heraus und wurde über Jahre zum Motor dieser Arbeitsgemeinschaft.

Das Projekt „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ geht nicht nur wesentlich auf seine Initiative zurück, auch der Name stammt von ihm. Mit großer Energie engagierte er sich für die neue Vereinigung. Besonders am Herzen lagen ihm die Zeitzeugen- und die Gedenkstättenarbeit. So war es voller Symbolik, dass er auf dem Weg von einer Sitzung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten kommend wenige Monate vor Vollendung des 80. Lebensjahres in Berlin starb. Bei der Trauerfeier sprach Johannes Rau von einem „erfüllten Leben“, „das geprägt war durch den Kampf gegen die nationalsozialistische Barbarei und dem Einsatz für die soziale Demokratie“. Hans-Jochen Vogel schloss seine Trauerrede für die Vereinigung mit den Worten: „Wir aber wollen mit und in unserem Projekt fortfahren, was er begonnen hat. Wir wollen sein Vermächtnis erfüllen, [...], das lautet: Dem Vergessen wehren, die Demokratie verteidigen.“

 

Literaturhinweis: Johannes Rau/Bernd Faulenbach (Hg.): Heinz Putzrath. Gegen Nationalsozialismus. Für soziale Demokratie, Essen 1997.

Prof. Dr. Bernd Faulenbach ist stellvertretender Vorsitzender von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.