Zukunft des Gedenkens: Weniger, aber präziser, wäre mehr!

Interview: Wolfgang Braun in der Rheinischen Post v. 26.01.2017

http://www.rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/gegen-den-oeffentlichen-ueberdruss-aid-1.6559133


Gegen den öffentlichen Überdruss
Der Sprecher der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ in Duisburg über den bevorstehenden Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Das Gedenken sollte punktgenauer werden: „Viel hilft nicht immer viel“, sagt er.

von Peter Klucken

Am 27. Januar 1945 wurde Auschwitz befreit. Der kürzlich verstorbene Roman Herzog hat 1996 auf Vorschlag von Ignaz Bubis den 27. Januar als Gedenktag für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erklärt. 2005 entschied die Generalversammlung der Vereinten Nationen diesen Tag als Weltgedenktag für den Holocaust einzuführen. Die Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie hat seit 2001 alljährlich diesen Gedenktag thematisch gestaltet. Was ist für dieses Mal geplant?

Wir verstehen uns als staatsbürgerliche Vereinigung im Bereich der politischen Bildung. Das Gedenken an die Greueltaten der Nazis und deren Ursachen und Hintergründe sollte nicht die anderen Aufgaben überdecken. Auf dieses Gedenken wurde in diesem Jahr aber ein eindeutiger Schwerpunkt gelegt. Allein zwei Mal wurden die Gemälde der Straßburgerin Künstlerin Francine Mayran präsentiert. Daher werden wir anders als in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten nur den Ökumenischen Gottesdienst durchführen und keine Gedenkveranstaltung. Ein Gottesdienst mit der Predigtstelle "Du sollst nicht töten" und eine Thora-Lesung der Zehn Gebote macht dies möglich. Zudem bekommen wir den Raum für eine Neuausrichting in diesem Bereich.
 
Welche Überlegungen gibt es bislang für diese Neuausrichtung?

Bisher nur inhaltliche, noch keine organisatorischen. Der schon vor 20 Jahren erkennbare Überdruß am Thema dürfte in naher Zukunft zu den erwartbaren Folgen führen, nämlich Gleichgültigkeit. In dieser Situation werden wir uns auf die Kernfragen konzentrieren:
Was hebt den Nationalsozialismus unter den anderen nach hunderten zählenden Diktaturen so hervor, dass seinen Schandtaten ein Weltgedenktag gewidmet wurde?
Was hebt die Shoa unter den nach tausenden, wenn nicht nach zehntausenden zählenden Menschenrechtsdelikten so hervor, dass von einer Sonderstellung zu sprechen ist?
Bei der durch die Zuwanderung der letzten 50 Jahre veränderten Zusammensetzung der Duisburger Bevölkerung kann hierfür der Weltgedenktag der geeignete Zeitpunkt sein - sofern nicht andere Effekte die Vermittlungsbemühungen überlagern.

Martin Walser sprach in seiner nicht unumstrittenen Friedenspreisrede von einer „Moralkeule“, die bei vielen Gedenktagen fast ritualisiert geschwungen werde. Wie stehen Sie zu diesem unterschwelligen Vorwurf?

An Gedenktagen wird nicht bloß etwas ins Gedächtnis gerufen. Sondern moralische Haltungen werden öffentlich geltend gemacht. Dafür werden diese Tage eingerichtet und entsprechend werden sie gestaltet. Sieht man sich die praktische Bedeutung der Gedenktage in Deutschland an, kann bestenfalls von einer Gänsefeder zum Kitzeln gesprochen werden. Eine Moralkeule sind diese mangels Publikum nicht.
Wenn Walser darauf hinweisen wollte, dass in Deutschland ein allgemeiner Zerfall der Debattenkultur stattgefunden hat, so hat er recht. Nur betrifft dies weniger die Gedenkkultur, sondern den weiteren Kreis der inhaltlichen Ansprache, das Feld der sogenannten Erinnerungskultur.
(Zwischenfrage) Wie machte sich es in diesem Themenbereich geltend:

Durch Verwilderung und Massenproduktion, anders läßt es sich nicht fassen. Im Rahmen der sogenannten Erinnerungskultur ist, außerhalb eines seriösen Kerns, fast alles erlaubt. Hauptsache es kommt in der Attitüde als "Antifa" daher. Eine Stilblüte aus den frühen 2000er Jahren nur als ein Beispiel: "Es geschah nicht nur Auschwitz - Zwangsarbeit in Posemuckel". Soweit mir bekannt, ist die historische Bedeutung von Auschwitz gerade nicht, im Wesentlichen nur ein weiterer “Gulag” gewesen zu sein.

Da hat sich in Deutschland ein Milieu herausgebildet, in dem alle Selbstberufenen lehrten und lehren durften, was sie nicht gelernt hatten. Unter Verzicht auf eine interne Qualitätskontrolle, unter Verzicht auf eine kontroverse Debatte in der Sache. Wer will kann seine tagespolitischen Zwecke geschichtspolitisch verbrämt unter der Tür durchschieben. Moralisch aufgeladen, aber doch hintenherum. Auch hier als Beispiel ein beliebter Slogan: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Da haben wir es wieder, das Gedankenverbrechen unseligen Angedenkens. Es ist kein gutes Omen für die deutsche Demokratie, dass auf diese Bitte um Neueinstellung der bewährten Mitarbeiter der Firma “Horch und Guck”, Spitzname: Stasi, sich nicht einmal ein laues Lüftchen der Empörung regte.

Aber auch die Erinnerungskultur ist doch ein Minderheitenangebot?

Ja. Der noch breitere Kreis, der sich um diese Erinnerungskultur spannte, läßt sich in seinen Auswüchsen inzwischen nur noch als massenmediales NS-Entertainment fassen. Pointiert, aber nicht unzutreffend: Die NS-Doku im deutschen Fernsehen 24 Stunden an sieben Tagen 52 Wochen im Jahr. Dies produziert dann den öffentlichen Überdruß und zugleich die Gleichgültigkeit gegenüber einer ernsthaften Ansprache.
 
Worauf soll beim  Aspekt „Gegen Vergessen“  der Focus gelegt werden?

Das Exzeptionelle des Nationalsozialismus ist inzwischen erfolgreich zerredet: Eine Vielzahl von Opfergruppen an einer Vielzahl von Schauplätzen ... Und wenn man sich dann vor Augen führt, was sonst noch alles passiert ist, dann liegt die Ausrede nahe: Shit happens. Das Exzeptionelle ist wieder zu verdeutlichen. Dabei gilt: Weil es in Deutschland in einem bestimmten Zeitraum Schwerstverbrecher gab, ist dies kein Grund, Schwerbrechen anderorts unter den Tisch zu kehren. Es sind die Gründe und die Größenordnungen der jeweiligen Vorgänge zu vermitteln, durchaus auch im Vergleich.

Wenn in Zukunft die Analytik mehr in den Vordergrund gestellt wird, dann ist auch das eigene Handeln angemessen auszugestalten. Wie schon gesagt, Gedenkkultur ist nicht gleichzusetzen mit Erinnerungskultur. Gedenkkultur soll nicht nur Inhalte vermitteln, sondern auch Haltungen einüben und kundtun. Für die Wahl der Formen ist vor allem Taktgefühl gefordert - symbolische Handlung und politische Erklärungen müssen übereinstimmen, Beim Gedenken an Opfer - nicht an Helden - ist zudem eins gefordert: Pietät! Und nochmals: Pietät!

Gerade mit Sicht auf die Jugend und die Zuwanderer.