Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“

Engagement für Erinnerung und Menschenrechte 70 Jahre nach dem Überfall auf die UdSSR
Günter Saathoff

Gesellschaft und Politik haben in den letzten Jahren zunehmend die Kraft gefunden, sich der Aufarbeitung der Unrechtsregime umfassender zu stellen und damit den Opfern symbolisch die Würde wiederzugeben, die ein „Vergessen“ ihnen verweigerte. Welche Opfer wir als NS-Opfer anerkennen und damit: was wir überhaupt als Unrecht ansehen, zeigt den Reifegrad unserer Gesellschaft. Die Gedenkveranstaltung am 27. Januar 2011 im Deutschen Bundestag für die Opfer des Nationalsozialismus manifestierte das überzeugend: endlich erhielt auch ein Vertreter der Sinti und Roma einmal die Gelegenheit, uns den Genozid an dieser Minderheit und seine fortwährenden Folgen nahe zu bringen. Und der Bundestagspräsident wies auf die ungeheuerlichen Verbrechen des NS-Regimes hin, die mit dem Überfall auf die Sowjetunion, der sich am 22. Juni zum 70. Mal jährt, verbunden waren. Dieser Vernichtungsfeldzug führte zu einer weiteren Radikalisierung der deutschen Kriegsführung, deren Verbrechen an der sowjetischen Zivilbevölkerung, aber auch an den sowjetischen Kriegsgefangenen, so ungeheuerlich waren, dass eine wirkliche „Wiedergutmachung“ natürlich nicht möglich ist. Möglich – und erforderlich für eine europäische Erinnerungskultur  sind aber auch heute noch Gesten der Anerkennung dieses Unrechts. Die millionenfachen Opfer dieses Vernichtungsfeldzuges wie Juden und Roma, die Einwohner ganzer Ortschaften oder gar Städte wie Leningrad, Kriegsgefangene und deportierte zivile Zwangsarbeiter sind leider  in der deutschen Erinnerung nach wie vor nur wenig präsent. Der „Kalte Krieg“ hat jahrzehntelang dazu beigetragen, kein dem Leiden der Betroffenen angemessenes politisches Bewusstsein über diese Ereignisse auszubilden.
Die Stiftung engagiert sich in diesem Jahr besonders dafür, die gemeinsame Erinnerung an diese Opfer zu stärken.  Sie freut sich darüber, in der Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ darin einen Partner zu wissen. So plant die Stiftung, im Juni 2011 unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten in Moskau die große Ausstellung zur Geschichte der Zwangsarbeit zu eröffnen, die bis zum Januar 2011 im Jüdischen Museum Berlin zu sehen war. Danach soll die Ausstellung in Minsk gezeigt werden. Mit ihrer Orientierung auf das Schicksal der Zivilbevölkerung will die Stiftung einen Beitrag leisten, in den Gesellschaften der beteiligten Länder nicht nur der Helden des Krieges zu gedenken, sondern auch jener, die millionenfach zivile Opfer der deutschen Besatzungspolitik wurden. Diesem Thema wird auch das 4. Internationale Forum der „Geschichtswerkstatt Europa“ der Stiftung EVZ in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig  im Juni in Kiew gewidmet sein. Parallel dazu macht die Stiftung mit einer Veranstaltungsreihe in Berlin auf das schwere Schicksal verschiedener Opfergruppen dieses verbrecherischen Angriffskrieges aufmerksam: die Verfolgung und Vernichtung der Roma, die Ermordung der Juden, der Vollzug des Euthanasieprogramms in den besetzten Gebieten sowie die Ausbeutung und Vernichtung der Zivilbevölkerung.
Durch ihr bis zum Jahr 2007 realisiertes Auszahlungsprogramm weiß die Stiftung, dass viele der heute noch lebenden Opfer des Nationalsozialismus angesichts von Armut und Einsamkeit fortdauernder Unterstützung bedürfen. So hat sie in den ver-gangenen Jahren in Belarus, der Ukraine und Russland bisher insgesamt 193 humanitäre Projekte mit 7.750.000 Euro gefördert. Gleichwohl bleibt dies nur ein kleiner Beitrag zur Verbesserung der Lage dieser Menschen. Die Stiftung EVZ engagiert sich daher in zwei weitere Richtungen: einerseits ruft sie die Gesellschaften, in denen heute die NS-Opfer leben, auf, Verantwortung für die Verbesserung ihrer sozialen Lage zu übernehmen und ihnen durch angemessene Sozialleistungen einen Lebensabend in Würde zu ermöglichen. Die von der Stiftung EVZ geförderten Projekte in den Programmen „Treffpunkt Dialog“ und „Partnerschaften für Opfer des Nationalsozialismus“ zeigen beispielhaft, wie das wirksam und auch unter Einbeziehung von ehrenamtlichem Engagement geschehen kann. Andererseits wirbt die Stiftung dafür, dass diese Opfer weiterhin der tatkräftigen Unterstützung aus Deutschland bedürfen.  Die Deutsche  Bahn AG hat zusätzlich zu ihrer Beteiligung an der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft in den 90er Jahren  im Jahr 2010 noch einmal 5 Millionen Euro als freiwillige Leistung für humanitäre Projekte in Mittel- und Osteuropa zur Verfügung gestellt. Die Stiftung EVZ würde es  sehr begrüßen, wenn weitere deutsche Unternehmen und der Bund, aber auch Kommunen und Kirchen, die Nutznießer der NS-Zwangsarbeit waren, den 70. Jahrestag zum Anlass nähmen, weiterhin freiwillig Verantwortung zu übernehmen. 
Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und insbesondere an die Opfer des deut-schen Vernichtungsfeldzuges gegen die Sowjetunion  muss vorbehaltlos und bedingungslos sein und wird durch uns nicht aktuellen politischen Fragen, etwa im Hinblick auf Belarus, untergeordnet.   Dies heißt jedoch nicht, dass wesentliche Lehren aus der Geschichte des Nationalsozialismus in der Zusammenarbeit mit den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion keine Rolle spielen. Dies hieße, unseren „Zukunftsauftrag“ nicht ernst zu nehmen. Vielmehr teilen wir mit der Zivilgesellschaft und vielen politischen Akteuren dieser Länder die Ansicht, dass eine entscheidende Lehre aus der Geschichte in der Anerkennung der universellen Menschenrechte besteht und der Verpflichtung der Völkergemeinschaft, diese in allen Ländern durchzusetzen. In diesem Sinne fördert die Stiftung in der Russischen Föderation, in der Ukraine,  aber auch in Belarus Projekte dortiger NGOs zur Menschenrechtsbildung. Darüber hinaus hat die Stiftung in den vergangenen Jahren zum Beispiel das Helsinki-Komitee in Minsk gefördert, das Menschenrechtsaktivisten, vor allem Studierende, bei der Durchsetzung ihrer Rechte beratend  unterstützt hat.
In der Ukraine und in Russland fördert die Stiftung ferner zivilgesellschaftliche Initiativen, die Opfer von rassistisch, rechtsextrem oder homophob motivierten Hassverbrechen unterstützen und ihnen  Zugang zur Gerichtsverfahren verschaffen wollen. Damit unterstützt die Stiftung jene Akteure, die dafür eintreten, dass auf dem Papier verbriefte Menschenrechte auch für Minderheiten oder sogenannte Randgruppen wirksam durchgesetzt, das heißt , dass Täter verfolgt und Opfer unterstützt werden.
Auch unser Förderprogramm „Europeans for Peace“ trägt diesem Ziel Rechnung: es ist mittlerweile das größte europäische Jugendpartnerschaftsprogramm, in dem Ju-gendliche sich der Bearbeitung von Ereignissen stellen, die die Verletzung von Menschenrechten oder den Einsatz für Menschenrechte in Vergangenheit und Gegenwart thematisieren. Dabei werden auch Zeitzeugen eingebunden.
Diese Verbindung von Erinnerung, humanitärer Verantwortung und menschenrechtlichem Engagement bildet einen Dreiklang, der im Übrigen vor über 20 Jahren von der Menschenrechtsorganisation „Memorial“ beispielhaft entwickelt wurde und inzwischen auch eine gewisse Leitlinie der Stiftung EVZ ist. Er könnte insgesamt einen zukunftsweisenden Rahmen für die Zusammenarbeit mit den Völkern Mittel- und Osteuropas  bilden.
Günter Saathoff ist Vorstand der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.