von Stefan Querl
Zeitgeschichte und Zivilcourage nahm jetzt eine Historische Jugendakademie der Villa ten Hompel zur „Zukunft der Erinnerung“ offensiv in den Blick. Zu Gast war dabei die stellvertretende Bundesvorsitzende von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., Cornelia Schmalz-Jacobsen, die zum Auftakt des Workshops für junge Mitglieder das intensive Gespräch mit den 15 Teilnehmenden aus Ost-, West- und Norddeutschland über den Rettungswiderstand ihrer Eltern suchte. So hatten Donata Hardt und Eberhard Helmrich in der NS-Diktatur durch Verstecke, ihre Kontakte zu Freunden und anderen Familien und durch falsche Identitätsnachweise geholfen, verschiedene Verfolgte vor Verhaftung, KZ, Selektion und Massenmord zu bewahren. Unabhängig voneinander wurden beide in Israel geehrt – mit Bäumen in der weltberühmten Allee der Gerechten unter den Völkern, die in der Gedenkstätte Yad Vashem auf dem Herzl-Berg errichtet, gepflegt und fortdauernd um Tafeln erweitert wird.
„Zwei Bäume in Jerusalem“ lautet mit Bezug darauf der Titel des pointiert geschriebenen Porträts zum Wirken ihrer Eltern, das Cornelia Schmalz-Jacobsen in Buchform 2002 bei Hoffmann und Campe vorgelegt hatte und jetzt mit aktuellen Anmerkungen zur Diskussion stellte. Dabei sei das Wort vom „Rettungswiderstand“ erst ein Fachbegriff neuerer Forschung zur NS-Vergangenheit, betonte sie ausdrücklich. „Garantiert hätten meine Eltern das niemals selbst so ausgedrückt.“ Ihr Motiv sei vielmehr Menschlichkeit gewesen. „Sie hätten ihr Handeln keinesfalls als Widerstand definiert. Sie wollten einfach ‚normal sein’ in einer Zeit, in der die Normalität völlig ‚baden gegangen’ war.“
Cornelia Schmalz-Jacobsen war Jugend- und Familiensenatorin des Landes Berlin, FDP-Generalsekretärin, Bundestagsabgeordnete sowie von 1991 bis 1998 – und damit in der Phase brutaler rechtsextremer Anschläge auf Flüchtlingswohnheime und Migranten im wiedervereinigten Deutschland – die „Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Ausländer“. Nachhaltig engagiert sie sich mit dem Vorsitzenden Dr. h.c. Joachim Gauck, mit Eberhard Diepgen, Prof. Dr. Bernd Faulenbach und weiteren führenden Persönlichkeiten im Bundesvorstand der überparteilichen Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, die mit der Villa ten Hompel der Stadt Münster der Ausrichter der innovativen Jugendakademie in Gleichen bei Göttingen war.
Mit besonderer geographischer und historischer Überlegung war der Tagungsort gewählt worden – nämlich mitten im dünn besiedelten Waldgebiet der früheren „Zonengrenze“, die auch zur Erinnerung an das Unrecht während der deutsch-deutschen Teilung bis 1989/90 veranlasste.
Sehr nahe ging den Workshop-Teilnehmern zudem der Besuch des KZ-Gedenkorts in Moringen im Kreis Northeim. Junge Menschen waren hier zum angeblichen Zwecke der „Besserung“ eingesperrt, misshandelt, ausgebeutet und zu Menschenversuchen herangezogen worden. Einige Gebäudeteile des früheren Werkhauses werden heute für den niedersächsischen Maßregelvollzug genutzt. Sie sind daher nur teilweise für eine Spurensuche zugänglich. Ausdrücklich sehr offen präsentierte sich das symbolträchtige Friedland: In der berühmten Sammelunterkunft waren nach dem Zweiten Weltkrieg die so genannten „Heimkehrer“, befreite deutsche Kriegsgefangene, Vertriebene, Flüchtlinge und andere Migrationsgruppen untergebracht und auf andere Bundesländer verteilt worden. Der Dialog über diese Aspekte von Erinnerung sei extra mit in das Programm der Neumitglieder-Akademie eingeflossen, betonten die Veranstalter, Stefan Querl aus dem Team der Villa ten Hompel und Horst Wiechers, Regionalsprecher von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. im Münsterland. So werde augenfällig, wie das „Jahrhundert der Extreme“ eben auch eine facettenreiche, zum Teil widersprüchliche Geschichts- und Gedenkkultur nach sich gezogen habe.
Stefan Querl ist Mitarbeiter des Geschichtsortes Villa ten Hompel in Münster und Mitglied der RAG Westfalen von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.