Mut zum Widerstand. Vermächtnis Fritz Bauer, Rückblick und Ausblick

von Helga Übelmesser-Larsen

Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder kann etwas dazu tun, dass sie nicht zur Hölle wird, so ein Leitspruch von Fritz Bauer.

Du sollst Gott mehr gehorchen, als den Menschen, diese Devise seiner Mutter, galt für den am 16.07.1903 in Stuttgart geborenen Fritz Bauer. Der kritische Jurist und Sozialdemokrat wies auf das Recht des Menschen zum Widerstand hin. Im Mittelpunkt des diesjährigen Seminars  in Königsbronn stand sein Leben und Wirken als Generalstaatsanwalt, sein Einsatz zur Gefangennahme des Kriegsverbrechers Eichmann und der Auschwitzprozess.
Der Verein Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. hatte zusammen mit der Georg-Elser-Gedenkstätte und der Landeszentrale für politische Bildung BW (lpb) zum ganztägigen Symposium am 26. Oktober 2013 eingeladen.

Königsbronns Bürgermeister Michael Stütz begrüßte knapp 100 Besucher in der 1860 erbauten Hammerschmiede. Er wies auf die bereits zahlreichen interessanten Veranstaltungen rund um Georg Elser und die Geschichte des Widerstands hin. Eine informative DVD mit Schulungsmaterial und die kürzlich von der Georg-Elser Gedenkstätte produzierte CD  „Andre, die das Land …..... Lieder des Widerstands“ (u.a. Lieder die unter unsäglichen Bedingungen im KZ oder im Warschauer Getto entstanden) runden die Gedenkstättenarbeit ab. Stütz dankte hierbei Hauptamtsleiter Joachim Ziller für seine überaus große ehrenamtliche Einsatzbereitschaft.

Sibylle Thelen von der Landeszentrale für politische Bildung stellte die Ausstellung der diesjährigen Abiturienten des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums Stuttgart vor. Fritz Bauer verbrachte dort seine Schulzeit und war nach Studium und Promotion jüngster Richter am Amtsgericht Stuttgart. Engagiert berichtete Abiturient Alexander Mayer, dass eine von drei Seminarkursen das Thema: „Fritz Bauer - Jurist aus Leidenschaft“ beinhaltete. Mit Unterstützung des Hauses der Geschichte hatten die Schüler eine zum Nachdenken Anlass gebende Ausstellung erarbeitet. 

Der 1903 geborene Bauer war ein umstrittener Jurist und eine Hassfigur in der Nachkriegszeit, gab Dr. jur. Ronen Steinke in seinem Vortrag über das Leben von Fritz Bauer zu bedenken. Er sei einer der außergewöhnlichsten politischen Köpfe der deutschen Geschichte, ein großer Jurist und Humanist gewesen. So trat Bauer im Straßenkampf den Nazi-Schlägertruppen entgegen und wurde als jüdischer Sozialdemokrat ins KZ Heuberg gesteckt. Er emigrierte 1936 nach Dänemark und musste 1943 weiter nach Schweden fliehen. Nach Kriegsende kam Bauer wieder zurück und fand Anstellung beim Landgericht Braunschweig. Er wurde 1949  Direktor am Landgericht (LG)  Braunschweig, zu dieser Zeit war noch die gleiche Zusammensetzung der Juristen wie im Dritten Reich (im Untergrund herrschte immer noch Antisemitismus).  1950 wurde Bauer dann zum Generalstaatsanwalt ernannt.

Der Journalist Steinke schilderte sehr anschaulich, das Bauer als „roter“ Richter nicht dem Bild des „typischen“ Juristen entsprach, zumal er provozierte und die Deutschen zum Hinsehen auf die immer noch vorhandenen braunen Seilschaften zwang. 
Als Generalmajor Otto Ernst Remer die „Attentäter vom 20. Juli“ Landesverräter nannte, leitete Bauer ein Verfahren ein und organisierte 1952 ein beträchtliches Aufgebot an deutschem Geist nach Braunschweig, er schaffte damit eine große öffentliche Breitenwirkung. Die Allgemeinheit änderte in dieser Zeit ihre Meinung zu den Männern vom 20. Juli. Für Bauer war der Hitlereid sittenwidrig und das Dritte Reich ein Unrechtsstaat.  Die damaligen „Täter“ sollten sich nicht hinter einem Befehl verstecken dürfen. Bauer war wegen seines gesellschaftspolitischen Engagements umstritten und erhielt jahrelang viele Morddrohungen.
E ist Bauer zu verdanken, dass es am 20. Dezember 1963 zum „Auschwitz“ Prozess in Frankfurt gegen ursprünglich 22 Beschuldigte kam. Die damalige Besonderheit  war, dass die Angeklagten und die Zuschauer im „Römer“ zusammen bzw. nebeneinander im Saal saßen.
Bauers bekannteste Leistung war die Gefangennahme des Kriegsverbrechers Adolf Eichmann. Weil Bauer den deutschen Behörden nicht traute,  informierte er 1960 den israelischen Geheimdienst Mossad.
Der Kämpfer Fritz Bauer wurde am 1. Juli 1968 mitten aus seiner Arbeit gerissen. Es kamen Vermutungen über Mordkomplott oder Selbstmord auf. Die ärztlichen Untersuchungen bestätigten dies jedoch nicht.

Zur Thematik „Fritz Bauer und Georg Elser“ las der Literaturexperte und Heidenheimer Schauspieler Klaus-Peter Preußger  aus dem Essay über das Widerstandsrecht des kleinen Mannes. Obwohl Fritz Bauer Georg Elser nie erwähnte, scheinen Bauers Worte genau die Tat dieses Widerstandskämpfers aus Königsbronn zu umkreisen. Bauer setzt sich in seinem Aufsatz von 1962  kritisch mit einem Urteil des Bundesgerichtshof zu einem Verfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz auseinander.  Denn nach diesem Urteil  könnte sich auch Adolf  Eichmann als Mitläufer des Naziregimes bezeichnen.
Hier kann etwas nicht stimmen, so Bauer und er betonte, dass beispielsweise die Weigerung eines Soldaten an einem Angriffskrieg mitzuwirken rechtens sei. Passiver Widerstand gegenüber verbrecherischen Gesetzen,  Befehlen, Handlungen eines Staates ist Recht und Pflicht eines jeden. Und es gäbe keinen Grund, so Bauer, dieses Recht zu beschränken, denn Widerstand ist zu allen Zeiten lebensgefährlich gewesen und es sei keine Inflation von Widerstandskämpfern zu erwarten. Die meisten Widerstandskämpfer hätten ihr Vorhaben mit dem Tode bezahlt und das Risiko gekannt.

Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess, die „Strafsache gegen Mulka und andere“ war und ist das bedeutendste bundesdeutsche Verfahren gegen nationalsozialistische Gewaltverbrecher. Zu dieser Thematik referierte Werner Renz, Archivleiter des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt. Mit einem Umweg über Karl Jaspers (dieser trat u.a. gegen die Verjährung der NS Verbrechen ein)  wies Renz darauf hin, dass 15 Jahre ins Land gingen, bis in der Bundesrepublik die ersten Prozesse gegen die Verbrechen in Auschwitz und Birkenau erfolgten. Das Frankfurter Schwurgericht verhandelte die Taten (Mord) nach § 211 Strafgesetzbuch. Renz zeigte die damaligen Schwierigkeiten auf mit denen die Juristen zu kämpfen hatten. Tausende von Menschen, SS Männern und Häftlinge, beteiligten sich rund um die Uhr an der Vernichtung von Menschen. Die Täter kamen aus der Mitte der Gesellschaft. Karl Jaspers wies darauf hin, dass diese Art von Verbrechen in keinem Strafgesetz vorkommen. Es kamen deshalb Forderungen für Sonder-Normen wegen diesen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ auf. 
Von den über 8.000 SS Angehörigen, die von Jan.1940 bis Mai 1945 in Auschwitz verantwortlich waren, mussten sich nur rund 60 vor einem bundesdeutschen Gericht verantworten. Anstoß war 1959 u.a. eine Übergabe von Dokumenten aus 1942 durch einen KZ-Überlebenden an einen Journalisten. Kurz zuvor war die Zentrale Stelle zur Aufarbeitung nationaler Verbrechen in Ludwigsburg eingerichtet worden.

Werner Renz ging auf die Stuttgarter und Frankfurter Vorgeschichte ein (Besprechung am 22. Mai 1959, dass die Vorgänge bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft bearbeitet werden sollten). Bauer sah das Risiko der Verschleppung und Zersplitterung. Er führte einen Zuständigkeitsbeschluss herbei. Bauer hatte hierbei Rückhalt durch die Hessische Landesregierung. 1961 nahm die Frankfurter Staatsanwaltschaft (Einstellung von zwei jungen Staatsanwälten) die Voruntersuchungsarbeit auf. Im Laufe der Verfahren wurde immer wieder versucht die Glaubwürdigkeit der Zeugen anzuzweifeln. Der damalige Ermittlungsrichter am Landgericht Frankfurt ,Dr. Heinz Düx, hielt in einem Vermerk fest, dass er den Eindruck habe, man wolle den Prozess verhindern. 1962 erfolgte dann die Erweiterung auf weitere Beschuldigte. Am 7. Okt. 1963 eröffnete das LG Frankfurt die Hauptverhandlung.  Der Strafprozess der ursprünglich 24 bzw. dann 22 Angeklagten dauerte 20 Monate mit der Anhörung von 360 Zeugen (elf Sprachen). Verurteilt wurden im August 1965  wegen Mordes  (Heimtücke) und eigenmächtiger Tötung sechs der Angeklagten, wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord (strafmildernd, weil auf Befehl) 10 der Angeklagten und drei wurden mangels Beweise freigesprochen (Rest: Einstellung wegen Krankheit oder Tod). Später kam es zur Aufhebung eines Urteils und zu einem weiteren Freispruch.
Erst durch diesen Prozess wurde Auschwitz zur historischen Tatsache.
Die verhängten Strafen standen aber in keinem Verhältnis zu den Taten. Fritz Bauer war sehr enttäuscht  und machte zum Verbrechensgeschehen einen entsprechenden Antrag. 
Zudem wurde  Fritz Bauer während seiner Tätigkeit vielfach diffamiert und angefeindet.

Über das Vermächtnis von Fritz Bauer und die Botschaft für die Zukunft referierte Verwaltungsrichter a.D. Fritz Endemann aus Stuttgart. Er startete seinen Vortrag mit dem Hinweis auf die Konferenz der Präsidenten der Oberlandesgerichte (OLG) am 23. April 1941 im Reichsjustizministerium in Berlin.  Dort wurde die Aktion „ T4“ besprochen und die Teilnehmer darauf hingewiesen, die Aktion zur Vernichtung lebensunwertes Leben nicht zu behindern. Wegen Beihilfe zum Mord leitete Fritz Bauer später gegen die damaligen OLG Präsidenten Ermittlungen ein. Die endgültige Einstellung der Verfahren war 1970, nach dem Tod von Bauer.
Es folgte eine lange Phase des Vergessens. Bauers alte Heimat Stuttgart und die Justizverwaltung haben sich lange mit ihm schwer getan.

Nicht vergessen werden sollten Bauers Innovationen und Anregungen im Strafvollzug (sein Bestreben galt vorrangig nicht der Bestrafung, sondern der Resozialisierung) sowie seine Schriften. Bauers Kampf um eine bessere Welt wirkt in unsere Gegenwart und die Vergangenheit holt uns heute wieder ein (Hinweis auf Urteil in München zum Demjanjuk Prozess und den gegenwärtigen NSU Prozess). 
Für Bauer waren es keine Einzeltaten, sondern die Beteiligung der Angeklagten an der Mordmaschinerie, sie sollten sich nicht auf Befehle berufen dürfen. Die Bewältigung unserer Vergangenheit, so Bauer,  heißt Gerichtstag über uns selbst halten. Rassistische und rechtsextreme Bewegungen und Verbrechen wurden jahrzehntelang von der Gesellschaft toleriert.
Fritz Bauer war eine historische Gestalt aus einer früheren Zeit und ein Vorbild für die Gegenwart, stellte Verwaltungsrichter a.D. Endemann fest.

Die anschließende Podiumsdiskussion mit Birgit Kipfer, Sprecherin der Arbeitsgruppe Baden-Württemberg von Gegen Vergessen  - Für Demokratie e.V. und den Referenten Steinke, Renz und Endemann sowie Generalstaatsanwalt a.D. Klaus Pflieger wurde von den Gästen mit zahlreichen Fragen bereichert.  Zum Widerstandsrecht stellte Klaus Pflieger fest, dass es bereits in der Antike hieß, dass ein Tyrann beseitigt werden darf. Widerstand habe jedoch seine Grenzen dort, wo Verbrechen begangen werden.
Aus dem Publikum kamen außer Sachfragen auch Anregungen  wie die Schaffung einer Sonderbriefmarke für Bauer oder das Einbringen von Ethik und Geschichte in die Juristenausbildung.
Nach dem Rückblick in die Vergangenheit und dem Hinweis, dass Bauer mit dem Auschwitz-Prozess in die Gesellschaft hineinwirken (Öffentlichkeitsarbeit) wollte, wurde auf die Notwendigkeit und Pflicht Nein zu sagen und die Möglichkeit passiven Widerstand zu leisten, hingewiesen.

weiterführende Links
• zur Gedenkstätte:   www.koenigsbronn.de
• Mitschnitte der Prozess Protokolle:    www.auschwitz-prozess.de