Karin Strympe: "„Was haben wir aus der Geschichte gelernt?“ - Erinnerungsprojekt an Stuttgarter Schulen"

Mehr als 30 Stuttgarter Schulen beteiligten sich an einem Erinnerungsprojekt zum 80. Jahrestag der Pogromnacht, das von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg und der Stadt Stuttgart zusammen mit den beiden Jugendhilfeträgern „Lernort Geschichte“ und Stadtjugendring Stuttgart initiiert worden war. Über 30 zivilgesellschaftliche Organisationen hatten sich bereit erklärt, an jenem denkwürdigen Tag in je einer Schule ein Projekt durchzuführen, darunter auch die Landesarbeitsgruppe Baden-Württemberg des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie, die mit dem traditionsreichen Stuttgarter Eberhard-Ludwig-Gymnasium kooperierte.

Die Zusammenarbeit unserer beiden Mitglieder Karin Strympe und Angela Rabini mit den Lehrkräften und der Schulleitung erstreckte sich von der Erarbeitung eines Konzeptes für Unterrichtseinheiten einzelner Klassenstufen bis hin zur Planung und Organisation einer Podiumsdiskussion. In der Zeit vom 5. bis 7. November 2018 gestalteten sie zusammen mit den zuständigen Lehrkräften jeweils Doppelstunden in den Klassen der Stufe 9 sowie in den Neigungskursen Geschichte der Oberstufe.

Das Herzstück der Doppelstunde bildete die Lesung eines Textes von Erich Kästner, den Schülern bestens als Autor von Kinder- und Jugendbüchern bekannt. Für viele Schüler war hingegen die Tatsache neu, dass Erich Kästner ein kritischer Beobachter seiner Zeit war und sich dies in seinen Veröffentlichungen auch niedergeschlagen hat. Kästner, der von 1931 bis 1944 in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms in Berlin wohnte, schilderte seine Erlebnisse in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in seiner „Nacht der Scherben“. Für die Schüler zeigte sich in diesem eindrucksvollen Text die ganze Brutalität, mit dem das Nazi-Regime hier gegen die jüdische Bevölkerung vorgegangen war. Neben konkreten Schilderungen der Ereignisse in der Pogromnacht 1938 auf dem Kurfürstendamm in Berlin finden sich im Text auch wichtige Deutungen Kästners zu  den Ereignissen und zur Gesamtsituation im Deutschen Reich dieser Zeit wieder. Vor allem seine Sicht auf die „Umwertung aller Werte“ führte bei den Schülern zu reichlich Diskussion über die Situation der Menschen im Dritten Reich. Vor allem die Rolle des Gewissens und die Ausweglosigkeit, in der sich viele Menschen damals befanden, wurde ausgiebig diskutiert.

Sehr bewegt waren die Schüler auch, als sie erfuhren, dass Erich Kästner selbst von den Repressalien der Nationalsozialisten betroffen war. Kästner war Zeuge der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin und musste mit ansehen, wie seine Schriften ins Feuer geworfen wurden. Er wurde während seiner Zeit in Berlin mehrfach verhaftet und konnte zeitweise nur unter Pseudonym veröffentlichen.

Am Vorabend des Gedenktages fand in der Aula des Eberhard-Ludwig-Gymnasiums eine von Schülern und Schülerinnen geleitete Podiumsdiskussion statt. Die Podiumsgäste gehörten mehreren Generationen an und hatten ganz unterschiedliche biografische Hintergründe. Auch Birgit Kipfer nahm daran teil, die Sprecherin der RAG Baden-Württemberg.

Unser Fazit: Jeder noch so kleine Baustein, jede noch so kleine Aktion hilft, die Erinnerung an die Vergangenheit zu bewahren und die Gegenwart reflektiert wahrzunehmen und zu gestalten.

 

 

Karin Strympe  ist Mitglied im Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

Erschienen in:Opens internal link in current window Zeitschrift Gegen Vergessen - Für Demokratie Ausgabe 99/2019