Internierungslager und Flucht über die Pyrenäen (1939-1942)

Auf den Spuren exilierter Sozialdemokraten: Ein Überblick über französische Erinnerungsorte

von Klaus Wettig

Als der SPD-Exilvorstand (SOPADE) 1938 überstürzt Prag und die Tschechoslowakei verlassen musste, gab es nur noch wenige Schlupflöcher aus der Umklammerung durch Nazi-Deutschland und sichere Exilländer vor dessen Zugriff: Österreich war vom Deutschen Reich annektiert, über das autoritär regierte Polen konnte man nur ausreisen, was ebenso für Ungarn galt. Sozialdemokraten konnten nicht in die Sowjetunion einreisen, im Norden boten sich die skandinavischen Länder als Fluchtländer an, die aber wegen ihrer Kooperation mit Nazi-Deutschland keine politisch aktive Exilpartei wünschten. Eine ähnliche Haltung nahm die Schweiz ein. Nach Italien, Spanien und Portugal konnte man nicht ausweichen, denn deren Regime waren mit Nazi-Deutschland verbündet. Es blieben also nur Großbritannien oder Frankreich. Großbritannien wurde konservativ regiert und stand der deutschen Opposition im Exil distanziert gegenüber, die Labour Party begegnete der SOPADE sogar mit fast feindlicher Distanz.  

Das attraktivste Fluchtland war deshalb Frankreich, in dem die sozialistische Bruderpartei SFIO über einen beachtlichen Einfluss verfügte. Die vor den Nazis Geflohenen hatten zudem seit 1933 in Frankreich eine freundliche Aufnahme gefunden, trotz zahlreicher Behinderungen konnten sie in Frankreich leben.  

In beginnender finanzieller Bedrängung konnte die SOPADE aus Frankreich bis in den Spätherbst 1940 ihre Tätigkeit aufrechterhalten. Nach Kriegsbeginn wurde auch sie von den Maßnahmen der französischen Regierung gegen „unerwünschte Ausländer“ erfasst. Ihren Mitgliedern und Mitarbeiter*innen bleiben zunächst durch die Hilfe der SFIO Internierungen erspart, doch nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Mai 1940 galten sie ebenfalls als feindliche Ausländer.  

Die Internierungslager

Camp d’Internement (1939-1945)   Nach dem Ende des Spanischen Bürgerkrieges im April 1939 überschritten ca. 500.000 Republikaner die spanisch-französische Grenze, die zuvor schon die Mitglieder der Internationalen Brigaden (Interbrigadisten) im November 1938 übertreten hatten, als internationaler Druck ihren Rückzug aus Spanien verlangte. Der plötzliche Ansturm auf französisches Territorium überraschte die französische Regierung völlig. Zu den sofort eingerichteten Auffanglagern im grenznahen Bereich gehörte das Lager Gurs zwischen dem französischen Baskenland und dem Bearn im Vorgebirge der Pyrenäen. Auf die Unterbringung der Kämpfer für die Spanische Republik und der sich zu ihr bekennenden Zivilbevölkerung folgte bald die zweite Welle der Indésirables, der unerwünschten Ausländer, nachdem Frankreich sich seit dem 1. September 1939 im Kriegszustand mit dem Deutschen Reich befand. Aus dem in jedem Département eingerichteten Sammellager für Deutsche und Österreicher kamen bald die Transporte. Die Lager hatten inzwischen an Belegung verloren, da zahlreiche Interbrigadisten und Spanier sich in die französische Armee als Prestataires (Hilfssoldaten) eingliedern ließen, in die Fremdenlegion eintraten oder die Ausreise erreichten. Unter den neuen Häftlingen befanden sich neben deutschen Kommunisten auch Sozialdemokraten, Linkssozialisten und politisch unabhängige Intellektuelle, die nun als feindliche Ausländer (sujets enemis) interniert wurden.  

Die vor den Nazis geflohene Sozialistin Hanna Schramm beschreibt in ihren Erinnerungen die politische Veränderung in Frankreich so: "… Aber als im Mai 1940 der Krieg wirklich losging, machte Frankreich aus diesem Krieg zwischen Faschismus und Demokratie einen Krieg der Nationen und handelte danach. Menschen, die in Frankreich Schutz vor dem uns nun gemeinsamen Verfolger gesucht hatten, wurden von einem Tag zum anderen zu Feinden gestempelt und hinter Stacheldraht gesetzt; man ließ sie hungern und frieren, man ließ sie sterben, und an dem wenigen, was ihnen der Staat zubilligte, bestahl man sie noch."   

Eine große Zahl von riesigen Lagern entstand so im Vorland der Pyrenäen, meist weitab von größeren Orten und in verkehrsmäßig abgeschiedener Lage. Als die mit Nazi-Deutschland kollaborierende Vichy-Regierung im Oktober 1940 die deutsche antijüdische Gesetzgebung übernahm, wurden auch französische Juden in die auf Vichy-Gebiet gelegenen Lager eingeliefert. Viele von ihnen wurden ab 1942 über das Sammellager Paris-Drancy nach Auschwitz transportiert, was für die meisten den sicheren Tod bedeutete. Die Vichy-Regierung verhaftete nach deutschem Vorbild auch Sinti und Roma (Tsiganes).  

Eine vermeintliche Sicherheit schienen die Lager nach dem Waffenstillstand zunächst zu bieten, da sie auf dem Territorium des von der Wehrmacht unbesetzten Gebietes der Vichy-Regierung lagen. Doch bald lieferte Vichy an das Deutsche Reich die nach § 19 des Waffenstillstandsabkommens bezeichneten politischen Personen aus, vor allem Kommunisten, Sozialdemokraten und Linkssozialisten.   In der dritten Welle wurden Juden in Gurs eingeliefert: in Frankreich verhaftete Juden, die dorthin vor den Nazis geflohen waren, französische Juden und Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saargebiet, die 1940 in der Sonderaktion Bürckel, benannt nach dem dortigen Gauleiter Joseph Bürckel (1895-1944), verhaftet und nach Gurs transportiert worden waren, um diese Regionen für judenfrei zu erklären.  

Unter den Spanienkämpfern und den Indésirables befanden sich neben deutschen Kommunisten auch eine größere Zahl von deutschen Sozialdemokraten, Linkssozialisten und unabhängigen Nazigegnern, die zur Verteidigung der Spanischen Republik oder in den Jahren 1933 bis 1939 vor den Verfolgungen der Nationalsozialisten nach Frankreich emigriert waren. Unter den politisch Unabhängigen sind Hannah Arendt (1906-1975), Max Aub (1903-1972), Golo Mann (1909-1994), Max Ernst (1891-1976), Hans Bellmer (1902-1975) und Arthur Koestler (1905-1983) zu nennen.   Die Spuren der über 100 Sammellager sind bis auf das Tennisstadion Roland Garros und das Stadion im Pariser Vorort Colombes verschwunden. Ein jardin du souvenir erinnert an die nicht mehr existierende Radrennbahn Vélodrome d’Hiver, 1940 erstmals Ort der Internierung Unerwünschter. Am 16. und 17. Juli 1942 erfolgte dann der rafle du Vel d’Hiv, die Massenverhaftung von mehr als 13.000 Pariser Juden, die in das Lager Drancy geschafft und von dort in die Vernichtungslager deportiert wurden. Der Gebäudekomplex Cité de la Muette in Drancy dient heute wieder Wohnzwecken; am nahen Bahnhof erinnern eine Gedenkstätte und ein Güterwagen an die Transporte in die Vernichtungslager.  

Die Abgelegenheit der als Gedenkstätten erhaltenen Internierungslager ermöglicht in einigen Fällen nur die Anfahrt mit dem PKW, die ein sorgfältiges Studium der Michelin-Karten verlangt. Die regionale Ausschilderung ist immer noch lückenhaft, sodass die Anfahrt mit Geduld erfolgen sollte.  

Nationale Gedenkstätte Lager Gurs – Memorial National du Camp Gurs  

Das Lager Gurs gehörte zu den Lagern der ersten Internierungswelle. In zahlreichen veröffentlichten Erinnerungen der Überlebenden findet man eindrückliche Zeugnisse zur Lagersituation bis Kriegsende.  

Die materielle Lage in Gurs blieb bis 1945 katastrophal. Die außerordentliche Größe des Lagers (80 ha) bot den zeitweise 20.000 Häftlingen keine akzeptable Unterkunft. Allein die unzureichenden Baracken begünstigten Krankheiten und den Tod besonders älterer Häftlinge. Schlechte Ernährung, fehlende medizinische Versorgung und ein extremes Winterklima ließen Krankheiten und Todesraten anwachsen. Trotz der scharfen Bewachung konnten Häftlinge fliehen, und nach der französischen Niederlage ließen die Wachmannschaften Häftlinge entweichen, obwohl das Lager bestehen blieb.   Gurs ist heute eine nationale Gedenkstätte, die vielfältige öffentliche und private Unterstützung erfahren hat, organisiert von der Amicale du Camps de Gurs; auch deutsche Förderung erhielt die Gedenkstätte: von den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, vom Bezirksverband Pfalz, von badischen Städten und der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden.  

Nach dem Ende der deutschen Besetzung 1944 wurde Gurs eine kurze Zeit als Kriegsgefangenenlager und für die französischen Kollaborateure der Nazis genutzt, bis es dem Verfall überlassen wurde. 1950 wurden die Holzbaracken eingeäschert und das Lagergelände bewaldet. Ein französisch-deutsches Jugendprojekt führte dazu, dass Lagerreste bewahrt wurden. Erst das Engagement von Günter Klotz (SPD; 1911-1972), Oberbürgermeister von Karlsruhe, bewirkte, dass 1962/63 die Reste des verwitterten Friedhofes erhalten wurden. Klotz ergriff auch die Initiative für eine Aktion badischer Städte und der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, die die Restaurierung des Friedhofs der Deportierten ermöglichte; er wurde 1963 eingeweiht. 1985 erfolgte die besondere Erinnerung an die verstorbenen spanischen Spanienkämpfer. Jedoch erst in den späten 1980er Jahren wurden die Arbeiten fortgesetzt, sodass 1994 die nationale Gedenkstätte in ihrer heutigen Form eingeweiht werden konnte.  

Der Kern der nationalen Gedenkstätte besteht aus einem 230 Meter langen Gedenkpfad, den der israelische Künstler Dani Karavan gestaltet hat, die Realisierung lag bei dem Architekten Emile Valles. Der Gedenkpfad besteht aus einer mit Stacheldraht umzäunten Betonplatte, einem symbolischen Schienenstrang und dem Skelett einer Lagerbaracke.   Sorgfältige Informationen (auch in Deutsch) liefert ein Informationspfad mit 20 Stationen, der zentrale Orte des Lagers berührt. Der Informationspfad beginnt im Informationshaus, das auch einen interaktiven Film anbietet.   Ein gesondertes Gedenken hat 2006 die baskische Regierung mit einer Gedenkplatte und einer Gernika-Eiche gestiftet, mit der Verpflichtung zu Freiheit und Demokratie.  

Die nationale Gedenkstätte befindet sich am Ortseingang des kleinen Ortes Gurs, an der D 936, die von Oloron-Ste.-Marie nach Sauveterre führt. Oloron ist mit der Bahn zu erreichen, von dort gibt es nur einen regionalen Bus. Wer in Oloron ein Taxi nimmt, sollte beachten, dass für den Rundgang in Gurs ca. zwei Stunden benötigt werden.  

Internierungslager Le Vernet - Le Vernet d‘Ariège 

Das Internierungslager lag abseits vom Ort in der Nähe einer Bahnstation, wo mit einem Güterwaggon an die Transporte erinnert wird. Vom Lager selbst sind keine Spuren geblieben, nur der Friedhof der republikanischen Spanienkämpfer berichtet von dem Schicksal der einstigen Häftlinge.  

Neben dem Friedhof wurde 2008 ein Memorial für die antifaschistischen Kämpfer gestaltet, das auf 51 Stelen die Herkunftsländer der Häftlinge nennt. Auf einer besonderen Stele wird an die Staatenlosen erinnert. Die erklärenden Texte in Französisch, Englisch und Spanisch stammen vom Institut Géographique National (IGN).   Von deutscher Seite erfuhr die Erinnerungsstätte nur aus der DDR Unterstützung.  

Im Ort Le Vernet d’Ariège existiert am Place Guilhamet ein kleines Museum mit Erinnerungsstücken sowie einem Modell des Lagers. Es ist geöffnet montags bis freitags, 8.30 bis 12 Uhr und 13.30 bis 17 Uhr; dienstags nachmittags und am Wochenende geschlossen. Der Schlüssel muss in der Mairie abgeholt werden.   Le Vernet d’Ariège kann mit der Bahn erreicht werden. Vom Bahnhof sind es wenige Meter bis zum ehemaligen Lager, das direkt gegenüber der weit sichtbaren Coopérative Agricole liegt. Der Weg vom Lager in den Ort beträgt ca. 30 Min.  

Rivesaltes Camp Joffre  

Das 5 km außerhalb der Gemeinde Rivesaltes, nicht weit von Perpignan, gelegene Internierungslager wurde 1940 auf einer Militärbasis eingerichtet, die von 1935 bis 1939 dem Training von Kolonialtruppen diente. Majestätisch ist der Blick auf den Pyrenäengipfel des Canigou, doch die 600 ha in einer winddurchtosten, baum- und schattenlosen Steppe, unter Gluthitze im Sommer, eisig im Winter, wurde nicht zu Unrecht le Sahara du Midi genannt, Südfrankreichs Sahara. 1939 waren 39 ha mit 16 Abteilungen (îlots) bebaut, die aus je 10 bis 12 Baracken bestanden und mit Stacheldraht umzäunt waren. Die noch vorhandenen Lagerruinen belegen ein Lager von erheblicher Größe, vorgesehen für 17.000 bis 18.000 Häftlinge. Im Unterschied zu Gurs und Le Vernet waren jene in 150 Baracken aus Mauerwerk und Asbestzement untergebracht, die weiteren Standards (Hygiene, medizinische Versorgung, Verpflegung) bewegten sich wie andernorts auf niedrigstem Niveau. Die Nutzung des Lagers geschah bis 1945 wie in Gurs und Le Vernet. Das als Lager der Familienzusammenführung (Centre de regroupement familial) firmierende Lager trennte Familien, indem sie Frauen und Männer in verschiedenen îlots unterbrachte; Kinder blieben bei der Mutter, Jungen ab 16 Jahren kamen in die Männerabteilung. Nach dem Ende des Algerienkrieges 1962 wurden dort Harkis interniert, ehemalige Hilfstruppen der französischen Armee im Algerienkrieg, die dort verfolgt wurden und nach Frankreich flohen.  

An der D 5, die durch das Lagergelände führt, lag zunächst eine kleine Gedenkstätte mit fünf Gedenksteinen; nur auf dem von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden errichteten gab es eine deutsche Übersetzung. Der Zustand der Gedenkstätte war ungepflegt, uninformativ.  

Erst ab 2010 begannen Planungen für eine würdige Gedenkstätte durch den Conseil General Languedoc-Roussillon. Nach einem Entwurf des Architekten Rudy Riccioti wurde am 16.10.2015 eine großzügige Gedenkstätte durch Ministerpräsident Manuel Valls eingeweiht. Neben dem modernen Bau der Erinnerungsstätte wurden Reste der historischen Baracken erhalten.   Die Erinnerungsstätte ist jeden Tag von 10.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. In der Winterzeit gibt es eine Einschränkung, auch seit dem 27.07.2020 wegen der Corona-Beschränkungen. Es wird Eintritt erhoben: 9,50 Euro, bei Gruppen ab 10 Personen 6,50 Euro. Bezahlte Führungen können bestellt werden. Informationen unter Opens external link in new windowmemorialcamprivesaltes.eu  

Rivesaltes ist mit dem PKW auf der Autobahn A 9, Abfahrt Perpignan-Nord, Aeroport erreichbar. D 83 in Richtung Vingrau wählen, danach D 5 Richtung Opoule-Perillos. Der Fußweg vom Ort Rivesaltes ist lang und unattraktiv. Alternative ist ein Taxi ab Perpignan, ca. 20 km.    

Site-Memorial Camp des Milles - Aix-en-Provence  

Das Camp des Milles (Internierungslager des Milles) ist schwierig zu erreichen. Mit der Bahn ist Aix-en-Provence (Station des TGV) die nächste größere Station, von dort ist eine Taxifahrt zu empfehlen. Seit der Einweihung des Museums kann der ÖPNV von der Rotonde in Aix-en-Provence genutzt werden.  

Das Site-Memorial du Camp des Milles wurde am 10. September 2012 vom französischen Ministerpräsidenten Jean-Marc Ayrault eingeweiht. Wegen des Erhaltungszustandes des historischen Internierungslagers in einer ehemaligen Ziegelei und der eingesetzten museumspädagogischen Arbeit ist der Site-Memorial der zentrale Erinnerungsort Frankreichs für Verfolgung, Flucht und Deportation während der Vichy-Zeit und der deutschen Besatzungszeit. Da zahlreiche deutsche Künstler an der Cote d’Azur auf der Flucht vor Hitler lebten, wurde Les Milles zu ihrem Haftort nach der deutschen Besatzung Frankreichs.   Das Site-Memorial ist jeden Tag außer dienstags und donnerstags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Es wird Eintritt erhoben. Einschränkungen bestehen während der Corona-Zeit. Informationen: Opens external link in new windowwww.campdesmilles.org  

Wer mit dem PKW anreist, sollte sich auf eine komplizierte Anfahrt einstellen. Als Orientierung mag helfen, dass sich das Camp des Milles nicht weit vom heutigen Centre Commercial des Milles befindet.  

Der Spielfilm Les Milles mit Philippe Noiret erzählt von der Flucht einer Häftlingsgruppe um den Künstler Max Ernst. Eine DVD ist online erwerbbar.    

Walter-Benjamin-Weg – Chemin Walter Benjamin  - Banyuls sur Mer

Nach der deutschen Besetzung Frankreichs und dessen Teilung in die von der Wehrmacht besetzte und verwaltete Nordzone und das von der Vichy-Regierung in Abhängigkeit vom Deutschen Reich verwaltete südwestliche, südliche Frankreich versuchten von den Nazis Verfolgte über Vichy-Frankreich zu entkommen. Dabei halfen karitative Organisationen mit Sitz in Marseille. Als Verbindungsmann der SOPADE arbeitete dort Fritz Heine (1904-2002). Wer Marseille nicht per Schiff verlassen konnte, dem bot sich nur der Landweg über Spanien und Portugal an. Ein schwieriger Weg, denn offiziell wurde ein Ausreisevisum aus Frankreich und Transitvisa für Spanien und Portugal benötigt, sowie ein Visum für ein Aufnahmeland, die in einer wechselnden und undurchschaubaren Praxis von den beteiligten Behörden und Konsulaten ausgestellt bzw. anerkannt wurden. Vichy-Frankreich arbeitete eng mit den Nazis zusammen und lieferte die auf Listen Gesuchten nach § 19 des Waffenstillstandsabkommens aus. Betroffen war davon auch der ab 1938 in Frankreich geduldete SPD-Exilvorstand (SOPADE).  

Einen illegalen Ausweg boten die alten Schmugglerwege, die von Banyuls sur Mer und Cerbère nach Port Bou in Spanien führten. Hatte man Port Bou erreicht und besaß ein Transitvisa, gab es eine Chance, das rettende Portugal zu erreichen, obwohl das mit dem nationalsozialistischen Deutschen Reich eng zusammenarbeitende franquistische Spanien illegale Einwanderer immer wieder zurückschickte, denen dann die Verhaftung in Vichy-Frankreich drohte. Portugal arbeitete ebenfalls eng mit Nazi-Deutschland zusammen, duldete als offiziell neutrales Land die Arbeit der Flüchtlingsorganisationen. Nur selten wurden Flüchtlinge an Nazi-Deutschland ausgeliefert.  

Vor Ort in Banyuls sur Mer organisierten Lisa und Hans Fittko die Flucht über die Berge, unterstützt wurden sie dabei von dem sozialistischen Bürgermeister Vincent Azéma (1879-1961). Der Einsatz von Azéma verlangte Mut, denn die eintreffenden Flüchtlinge mussten sich bei ihm im Hotel de Ville melden, zwei Häuser daneben, in der Villa Chefdebien, lag die deutsche Kommandantur. Die Flüchtlinge wurden im damals einzigen Hotel Le Roussillonais, 17 avenue du Puig-del-Mas, untergebracht, einem auch heute noch auffälligen Bau aus dem Jahre 1877 (style Haussmann). Am nächsten Morgen begann der Weg über die Berge. In den wenigen Monaten von September 1940 bis April 1941 schafften die Fittkos Hunderte von politischen Flüchtlingen über die Berge, darunter auch zahlreiche SPD-Vertreter, deren Flucht Fritz Heine organisiert hatte. Schließlich mussten die Fittkos und Heine 1941 selbst fliehen. Die Fittkos und Fritz Heine wurden vom Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt.  

Zu den prominenten Flüchtlingen gehörte auch Walter Benjamin (1892-1940), den Lisa Fittko am 24. September 1940 nach Port Bou brachte. Als er dort, trotz gültigem Transitvisum, von der spanischen Polizei aufgehalten wurde, beging er Selbstmord.  

In Erinnerung an ihn trägt der von Lisa und Hans Fittko benutzte Fluchtweg den Namen Chemin Walter Benjamin (Walter-Benjamin-Weg). Offiziell beginnt der Weg am Hotel de Ville (Rathaus), jedoch sollte man diese Wegstrecke meiden und direkt zur Station 2 in Puig-del-Mas fahren.  

Wer den Walter-Benjamin-Weg gehen möchte, findet leicht Quartier in Banyuls sur Mer, denn der Ort ist – wie der gesamte Küstenstreifen – touristisch gut erschlossen, jedoch in den Sommermonaten stark belegt. Um den Weg gehen zu können, müssen zwei Übernachtungen geplant werden. Am praktischsten ist die Anreise mit dem PKW, weil man dann in die Nähe des Startpunktes fahren kann. Banyuls sur Mer kann auch mit der Bahn erreicht werden, in diesem Fall sollte man ein Taxi von der Ortsmitte bis zur Station 2 nehmen. Mit einem Mountainbike ist der Weg nicht befahrbar.   Aus dem Ort Banyuls sur Mer auf der D 86 (Avenue Général de Gaulle) nach Puig del Mas fahren, nach Durchfahrt der Bahnbrücke links abbiegen auf die schmale Brücke. Die Orientierung in der Siedlung ist schwierig, jedoch lässt sich die Gedenkstätte für Lisa und Hans Fittko in der Cami de la Canta Cigala finden. Von dort startet der Weg über den Boulevard des Evadés de France. In Puig–del-Mas ist Parken möglich.  

Die Gedenkstätte ist dem Andenken an Lisa und Hans Fittko (1909-2005; 1903-1960) gewidmet. Auf einer Stahlskulptur wird unter dem Zitat: Es war das Selbstverständliche, von ihrer Arbeit berichtet.  

 Für die Wanderung auf dem Walter-Benjamin-Weg müssen unterschiedliche Zeiten kalkuliert werden. Trainierte Wanderer können ihn in ca. 7 Stunden schaffen, die örtlich angegebene Zeit ist unrealistisch. Für die Orientierung reicht der Plan des Office du Tourisme grundsätzlich aus. Über das Office de Tourisme (Tel. +33 (0)468863158) lässt sich auch ein ortskundiger Begleiter anheuern. Der Weg ist gekennzeichnet, jedoch werden die Schilder häufig zerstört oder als Souvenirs abmontiert. Wichtig ist die Orientierung nach den gelben Wegmarkierungen (ab spanischer Grenze blau) und ersatzweise kleinen Steinhaufen. Bitte nicht zerstören, möglichst erhöhen oder neue anlegen. Der Weg führt längere Zeit durch Weinberge (Steillagen) und verläuft oft auf Wirtschaftswegen. Ist dies längere Zeit der Fall, hat man sich verlaufen. Er ist immer wieder steil und geröllig, für längere Zeit ab der Station 3 – ein Trampelpfad gleich links der Tafel. Die Empfehlung bergtauglicher Wanderschuhe ist deshalb berechtigt (keine Sandalen!). Wanderstöcke sind unpraktisch und beim Abstieg nutzlos. Bedacht werden muss, dass mehrere Stunden gegen die Sonne gelaufen wird, deshalb ist ein früher Start (7/8 Uhr) nützlich. Ohne Wasserflaschen sollte niemand starten.   Für den Rückweg muss man sich entscheiden, ob man einen angegebenen Weg nach Puig del Mas von Font del Bana oder Col de Rumpissa (Spanische Grenze) wählt, oder nach Port Bou absteigt. Von dort ist die Bahnfahrt oder ein Taxi möglich. Vorher nach dem Zugtakt erkundigen! Eine genauere Wegbeschreibung findet sich im Internet.  

Der Walter-Benjamin-Weg war nicht der einzige Fluchtweg über die Pyrenäen. Obwohl durch die Kollaboration der Vichy-Regierung und die deutschen Kontrollen die Flucht nach Spanien immer schwieriger wurde, gelangten über drei Fluchtwege Hitlergegner und mit andauerndem Krieg geflohene Kriegsgefangene sowie abgeschossene alliierte Flieger über die Pyrenäen. Den in Saint-Girons im Ariège beginnenden Chemin de la Liberté (Weg in die Freiheit) beschreibt Scott Goodalls The Freedom Trail.