Finsternis in Deutschland – Was die Deutschen dachten. Interviews einer Engländerin 1934 – 1938

Rezension von Nils Theinert

„Wir müssen voll und ganz verstehen, wie es passieren konnte, dass eine ganze Generation sich von falschen Propheten vom rechten Weg abbringen und zu fanatischen Mitläufern machen ließ.“ – Ernestine Amy Buller

Zwischen 1934 und 1938 reiste die Engländerin Ernestine Amy Buller als Mitglied des Christlichen Studentenbundes (Student Christian Movement) viele Male nach Deutschland und Österreich. Dort führte sie viele Gespräche mit Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten. Als überzeugte Christin und Gegnerin der Nazis wollte sie verstehen, wie ein von ihr geschätztes und kultiviertes Volk der menschenverachtenden NS-Ideologie verfallen konnte. Ihre Gespräche mit Offizieren, Studenten, Hausfrauen, Beamten, Pastoren, aristokratischen Großgrundbesitzern und vielen anderen, veröffentlichte sie 1943 unter dem Titel »Darkness over Germany« in Großbritannien.

Buller wollte mithilfe des Buches Einfluss nehmen auf die Debatte um die Behandlung Deutschlands nach dem Krieg, wobei sie das Verstehen der Deutschen nicht als Strafmilderung missverstanden sehen wollte. Ihr Ansporn galt jedoch einer nachhaltigen Friedensordnung in Europa, die in ihren Augen im Verständnis für die Prozesse in Deutschland fußte. Das Buch erlebte nur eine Auflage, da Bullers Landsleute mitten im Krieg nicht so sehr an einem differenzierten Blick auf „die Deutschen“ interessiert waren und so blieb das Werk viele Jahre unbeachtet.

Jetzt, 73 Jahre später, erscheint  Bullers Buch zum ersten Mal in deutscher Sprache, nachdem es der ehemalige Journalist Kurt Bartling, der mittlerweile als Professor an der Middlesex University in London Journalismus lehrt, wiederentdeckte.

Leider versäumte es Buller, in ihren Gesprächen der Verfolgung der Juden mehr Beachtung zu schenken und ihr zuweilen gezeichnetes Bild von den Deutschen und Österreichern als verführter Nation der Mitläufer muss heute als überholt gelten. Die mittlerweile in der Forschung etablierte und begründete Sicht auf die Deutschen als oftmals bereitwillige, aktive und im vorauseilenden Gehorsam agierende (Mit-)täter, konnten jedoch weder Buller noch ihre Gesprächspartner aus ihrer Position in den 1930er Jahren teilen, da das volle Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen noch nicht bekannt war.

Doch es handelt sich bei Bullers Buch auch nicht um ein aktuelles wissenschaftliches Werk und sie verstand es auch damals nie als solches. Die einzigartigen Gespräche umfassen fast die ganze Breite der deutschen Gesellschaft der 1930er Jahre und bieten dem Leser eine seltene Möglichkeit einen Einblick in die differenzierten und unterschiedlichen Sichtweisen der zu Wort kommenden Zeitgenossen zu nehmen und ihre Erklärung für den Aufstieg der Nazis kennen zu lernen. Bullers Gespräche über die Frage, wie sich weite Teile der Bevölkerung in Deutschland radikalisieren konnten, besitzen dabei bis heute eine gewisse Aktualität.

 

Ernestine Amy Buller

Finsternis in Deutschland – Was die Deutschen dachten. Interviews einer Engländerin 1934 – 1938

Herausgegeben von Prof. Kurt Bartling

Verlag Elisabeth Sandmann, München 2016

Deutsche Erstausgabe, Gebunden mit Schutzumschlag, 352 Seiten

ISBN 978-3-945543-09-2 ·  24,95 €