Die große Kraft der Fiktion

Interview mit dem Regisseur von „Nebel im August“

Mit „Nebel im August“ kommt am 29. September 2016 ein Spielfilm in die Kinos, der dem tödlichen „Euthanasie“-Programm im Nationalsozialismus Aufmerksamkeit schenkt. Es geht vor allem um die Morde an Kindern in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee. Der Film nach der Buchvorlage von Robert Domes beschäftigt sich intensiv mit den einzelnen Figuren, bricht Klischees auf und erzielt eine unmittelbare Wirkung auf die Zuschauer. Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. stellte Fragen an Regisseur Kai Wessel.

Was hat Sie an dem Buch „Nebel im August“ von Robert Domes fasziniert?

Robert Domes hat für das Buch unglaublich viele Fakten zusammengetragen und es geschafft, daraus eine sinnliche, spannende und wahrhaftige Geschichte zu schreiben, die nicht verklärt und romantisiert. Es musste möglich sein, einen ebensolchen Film daraus zu machen.

Wie kamen Sie und Produzent Ulrich Limmer darauf, daraus einen Spielfilm zu machen, keinen Dokumentarfilm?

Ulrich Limmer wollte immer einen Spielfilm daraus machen. Ein Dokumentarfilm kann vieles besser als die Fiktion – keine Frage. Aber es gibt wenig bewegtes Material zu diesem Thema. Die Fiktion hat die Möglichkeit, Fakten zu komprimieren und von diesem fast vergessenen Unrecht zu berichten und dabei emotional die Protagonisten „live“ zu erfassen. Es kann die große Kraft der Fiktion sein, mitten in der Geschichte zu stehen und dieses Unrecht in allen Facetten von innen heraus zu beleuchten.

Der Film mutet Zuschauern viel zu. Mit welchen Reaktionen rechnen Sie zum Beispiel bei Eltern und bei Jugendlichen?

Naja, das bringt das Thema schon mit, man darf da nicht beschönigen. Wir haben versucht, auch die guten Momente in einer schweren Zeit zu zeigen. Es ist ja nicht so, dass im Nationalsozialismus zwölf Jahre nicht die Sonne geschienen hätte. Auch in dieser Zeit haben die Kinder und Menschen gespielt, getanzt, gefeiert, sich verliebt. Meine bisherige Erfahrung ist, dass Jugendliche sogar unbefangener mit dem schweren Thema umgehen können als Eltern.

Wie wurden die mitspielenden Kinder auf den Film vorbereitet, wie brachten Sie ihnen das Thema „Euthanasie“ näher?

Das haben in der Regel die Eltern schon bei den Castings übernommen. Klar wurde in den Familien diskutiert, das Buch gelesen und dann entschieden, ob die Kinder überhaupt zu diesem Casting gehen wollen. Die Kinder zeigten allseits großes Interesse, sich dem Thema und den Eigenarten der Rollen zu widmen. Darüber hinaus wurden die Kinder professionell gecoacht und zusätzlich psychologisch betreut, was aber eher die Eltern der Kinder in Anspruch nahmen.

Im Film ist die todbringende Krankenschwester hübsch, die den Kindern helfende Ordensschwester spröde. Der Anstaltsleiter wirkt anfangs freundlich und verständnisvoll. Haben Sie die Rollen absichtlich gegen Klischees angelegt und besetzt? Wie nah sind Sie beim Personal der „Heil- und Pflegeanstalt“ an der Realität geblieben?

Es ist eben nicht richtig, wenn wir denken, wir könnten das Böse und das Gute allein durch das Äußere voneinander unterscheiden. Es ist viel schwieriger. In unserem Film kommen alle Seiten zu Wort, haben die Möglichkeit mit Argumenten ihre Denkweise darzulegen und lassen den Zuschauer entscheiden, mit wem er geht. Der reale Dr. Veithausen wurde zum Beispiel oft als sehr liebenswerter und guter Arzt beschrieben.

Was ist der Film für Sie, Geschichtsfilm, Dokutainment, Biopic oder etwas ganz anderes?

Für mich stand über allem die Herausforderung, all den ungehörten Stimmen gegen Ungerechtigkeit, Misshandlung, Unterdrückung und Willkür einen Raum zu geben und gehört zu werden. Und im guten Fall darüber hinaus auch Gedanken darüber anzustoßen, wie wir heute leben. Wie wir denken, handeln und was wir besser machen können. Mich interessieren Schubladen wenig, und wenn, dann nur, um sie aufzumachen und neu zu sortieren.

 

Den Trailer und mehr Informationen finden Sie unter Opens external link in new windownebelimaugust.de