Die Gedenkstätte Esterwegen – ein europäischer Gedenkort im niedersächsischen Landkreis Emsland

von Andrea Kaltofen

Am 31. Oktober 2011 eröffnete die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen am Ort des ehemaligen Konzentrations- und Strafgefangenenlagers Esterwegen die Gedenkstätte Esterwegen. Sie erinnert aber nicht nur an diesen authentischen Lagerort, sondern an die insgesamt 15 Lager im Emsland, in denen zwischen 1933 und 1945 über 200.000 Gefangene litten. Mehr als 25.000 von ihnen starben, an Krankheiten, Überanstrengung, an den Haftbedingungen mit schlechter Ernährung, Kleidung und Unterbringung und schwerer Arbeit, aber auch durch unmittelbare Gewalt, von schweren Misshandlungen bis hin zum Mord. „Auf der Flucht“ erschossen, so wurden die Morde oft verharmlost.

 Mit der Eröffnung der Gedenkstätte fand eine fast zehnjährige Vorbereitungszeit ihren Abschluss. Im Sommer 2001 hatte die Bundeswehr signalisiert, ihr 1963 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrations- und Strafgefangenenlagers Esterwegen eingerichtetes Depot für Bekleidung, ab 1974/75 für Verpflegung und ab 1984/85 für eine Reserve-Lazarett-Gruppe aufzugeben. Der Landkreis Emsland erkannte die sich dadurch bietende Chance zur Errichtung einer Gedenkstätte an diesem historisch schwer belasteten Ort von hohem Bekanntheitsgrad (bis zur Namensnennung in der Gedenkstätte Yad Vashem) und bemühte sich unverzüglich und erfolgreich um die Übertragung des Geländes mit der Selbstverpflichtung der Errichtung einer Gedenkstätte und der Übernahme der Kosten des späteren laufenden Betriebs.

Nach umfangreichen Vorarbeiten zur Forschungsgeschichte der Emslandlager, zur speziellen Geschichte des Lagers Esterwegen, nach Ausgrabungsarbeiten zur Freilegung historischer Relikte als historischen Sachzeugen für die Authentizität des Ortes auf dem oberiridisch von Bauresten aus der NS-Zeit freien ehemaligen Lagergelände im Rahmen von internationalen Workcamps mit jungen Erwachsenen konnte 2006 der vorläufige Gedenkstättenbetrieb aufgenommen werden. Seither (und auch während der folgenden Bauarbeiten ab 2009) konnten Besucher das Lagergelände auf einem mit zwölf großformatigen Informationstafeln ausgestatteten Rundweg besichtigen. Die öffentlichen Führungen wurden im Regelfall von den Gedenkstättenpädagogen des seit bereits 25 Jahren bestehenden „Dokumentations- und Informationszentrums Emslandlager e.V.“ (DIZ) in Papenburg/Ems übernommen, das inzwischen seinen Standort in Papenburg aufgegeben hat und als Kooperationspartner der 2007 vom Landkreis Emsland errichteten Stiftung Gedenkstätte Esterwegen nun in Esterwegen gedenkstättenpädagogische Arbeit leistet.

Mit der Errichtung der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen übertrug der Landkreis Emsland als Stiftungskapital das ehemalige Lagergelände und auch das inzwischen von ihm erworbene nördlich angrenzende Areal mit den Gebäuden des aufgelassenen Bundeswehrdepots, wo seinerzeit der von Häftlingen für die SS errichtete Sportplatz und das Freibad mit 10-Meter-Sprungturm sowie die Gleisanlagen der Moorbahn gelegen hatten.

Mit der Bewilligung der Förderanträge, die die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen Ende 2007 bei Bund und Land Niedersachsen gestellt hatte, waren 2009 dann auch die finanziellen die Voraussetzungen zur Errichtung der Gedenkstätte geschaffen. Die Gesamtkosten von 5,82 Mio Euro trugen neben dem Bund mit über 2,5 Mio Euro und dem Land Niedersachsen (über seine Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in Celle) mit 1 Mio Euro der Landkreis Emsland mit mehr als 1,2 Mio Euro und die Stiftungen Niedersachsen, die Niedersächsische Sparkassenstiftung, die VGH-Stiftung und die Emsländische Sparkassenstiftung.

 Zum Vorsitzenden des Stiftungsrates wurde Prof. Dr. Bernd Faulenbach, Bochum, berufen, zum Stellvertreter Dr. Peter Fischer vom Zentralrat der Juden Deutschlands. Dem Stiftungsrat und der später von ihm gebildeten Ausstellungsfachkommission gehörten u.a. Prof. Bernd Walter, Münster, Prof. Alfons Kenkmann, Leipzig, Prof. Inge Marszolek, Bremen, Prof. Günter Morsch, Oranienburg/Berlin, sowie die Sprecher der RAG Hannover von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., Winfried Wiedemann und  Albrecht Pohle, an. 

Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrations- und Strafgefangenenlagers wurde in den Jahren 2009 und 2010 ein Landschaftsgestaltungskonzept des Büros WES und Partner, Hamburg, mit Hanns-Hermann Krafft, Berlin, verwirklicht, das auf fünf Grundelementen beruhte:

1. Der Konkretisierung topographischer Merkmale und ihrer Bedeutung für die Lagergeschichte durch die Übersetzung der für Unterdrückung, Monotonie, Isolation, Terror, Zwangsarbeit, Folter und Tod stehenden Baulichkeiten des Lagers Esterwegen wie Ummauerung, Tore und Wachtürme durch zweidimensionale Stahlscheiben,

2. der dreidimensionalen Visualisierung der Häftlingsbaracken durch Nutzung eines Baumaufwuchses aus den 1970er Jahren, der die Abwesenheit der Gebäude durch stehen gelassene Bäume („Baumpakete“) interpretiert und gleichzeitig die fast 40jährige Präsenz der Bundeswehr an diesem Ort dokumentiert,

3. der Überdeckung des Häftlingslagerareals mit rotbraunem Lavaschotter, der eine vegetationslose braune Moorlandschaft assoziiert, die seinerzeit von den Häftlingen In Zwangsarbeit kultiviert werden musste,

4. der Einbeziehung von dauerhaft  freigelegten (und gesicherten) ausgewählten historischen Relikten, insbesondere der ehemaligen Lagerstraße als damaligem Appellplatz und Ort öffentlicher Bestrafungen, in sog. „Zeitfenstern“, also Blicköffnung in den historischen Untergrund und

5. der direkten Einbeziehung eines Moores in der unmittelbaren Umgebung der Gedenkstätte stellvertretend als Ort der Zwangsarbeit und - historisch betrachtet - als Ausgangspunkt einer Entwicklung, die später in der „Vernichtung durch Arbeit“ gipfelte.

Mit dem Neubau eines Foyers zwischen den beiden Bestandshallen aus den 1970er Jahren, mit den Umbaumaßnahmen in diesen Hallen, mit der Einrichtung der Seminar-, Bibliotheks-, Archiv- und Büroräume sowie mit der Gestaltung der Dauerausstellung „ Die Hölle im Moor, Gewalt und Verfolgung in den Emslandlagern 1933 bis 1945“ und der Ausstellung zur Nachgeschichte wurde das Architekturbüro Hans Dieter Schaal, Attenweiler, beauftragt.

Die Dauerausstellung „Die Hölle im Moor“ zeigt die Geschichte des zwölf Jahre währenden Systems der 15 Emslandlager: Die Geschichte der frühen, bereits im Sommer 1933 als Barackenlager errichteten Konzentrationslager des preußischen Staates in Börgermoor (von wo das berühmte „Moorsoldatenlied“ stammt), Esterwegen und Neusustrum, die bis zum Frühjahr 1934 bestanden, dem SS-Konzentrationslager Esterwegen, das in direkter Unterstellung unter den Reichsführer SS Heinrich Himmler von 1934 bis 1936 bestand. Dargestellt wird die Geschichte der zuletzt sieben Strafgefangenenlager der Justiz im nördlichen Emsland und der acht erst 1938 errichteten und nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als Kriegsgefangenenlagern des Oberkommandos der Wehrmacht genutzten Lager im mittleren Emsland und in der Grafschaft Bentheim. Die Ausstellung vermittelt die Schicksale verschiedener politischer, sozialrassisch verfolgter und ausländischer Häftlingsgruppen, darunter die Gruppe westeuropäischer Widerstandskämpfer, der sog. „Nacht- und Nebel“ – Gefangenen, aber auch der sowjetischen Kriegsgefangenen, die zu Tausenden in den Emslandlagern umkamen. Dabei sind die Selbstzeugnisse ehemaliger Häftlinge und die Zeitzeugeninterviews von besonders großer Bedeutung. Die Ausstellung befasst sich aber auch mit den Schicksalen einzelner Häftlinge, unter denen hier nur Carl von Ossietzky als Friedensnobelpreisträger des Jahres 1935 genannt werden kann.

Schließlich benennt die Ausstellung auch die Täter, die SS in den Konzentrationslagern, die SA im Justizdienst der Strafgefangenenlager und die Wehrmacht in den Kriegsgefangenenlagern und zeigt ausgewählte Lebensläufe und Berufskarrieren auf.

Die Ausstellung zur Nachgeschichte der 15 Emslandlager befasst sich mit der weiteren Nutzung der einzelnen Lagerorte, insbesondere dem Internierungslager (Civil Internment Camp) für mutmaßliche Kriegsverbrecher in Esterwegen, und der Nutzung als Lager für ex-Prisoners of War („PWX“) und Displaced Persons („DPs“), bis 1948, als Flüchtlings(durchgangs)lager bis hin zur Umwandlung der ehemaligen Lager in Neubausiedlungen und die Ansiedlung von Mitgliedern der  christlichen Freikirche der Herrenhuter Brüdergemeine in Alexisdorf, heute Neugnadenfeld. Ein wichtiges Kapitel dieser Ausstellung ist die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen, also der Umgang mit den Tätern, zunächst vor Britischen Militärgerichten mit zum Teil drakonischen Strafen bis zur Hinrichtung, später vor deutschen Gerichten, die kürzere Strafen zumaßen, wenn es überhaupt zu Strafverfolgungen kam.

Im Mittelpunkt aber stehen die Bemühungen der ehemaligen Häftlinge, die traumatischen Erlebnisse während ihrer Gefangenschaft in den Emslandlagern zu bewältigen und für das erlittene Unrecht entschädigt zu werden. Die „Moorsoldaten“ organisierten sich und führten ab 1955 im Emsland ihre Häftlingstreffen durch.

Abschließend wird der lange Weg zu einer Gedenkstätte für die Emslandlager und die gesellschaftlichen Diskussionen um eine solche Gedenkstätte seit den 1960er Jahren ebenso aufgezeigt wie die ab Mitte der 1980er Jahre auch im Emsland zu erkennende Öffnung der Gesellschaft für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die sich in „Aktionskomitees“ wie dem DIZ in Papenburg oder wissenschaftlichen Dokumentationen spiegelt, im Emsland mit der über 3.000 Seiten umfassenden Dokumentation „Konzentrations- und Strafgefangenenlager im Dritten Reich. Beispiel Emsland. Dokumentation und Analyse zum Verhältnis von NS-Regime und Justiz“ der Autoren Erich Kosthorst und Bernd Walter (1983).

 In den ersten sechs Wochen nach der Eröffnung der Gedenkstätte Esterwegen haben über 3.200 Menschen die Gedenkstätte im Emsland besucht. Die Gedenkstätte ist ab dem 15. Januar 2012 Dienstag bis Sonntag von 10-17 Uhr geöffnet, ab April bis Oktober von 10-18 Uhr.

 

Dr. Andrea Kaltofen ist Geschäftsführerin der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen