Der Jüdische Kulturbund war eine kulturgeschichtlich singuläre Institution. Im Jüdischen Kulturbund fanden sich jüdische Deutsche zu einem Bündnis zusammen als Reaktion auf den Ausschluss jüdischer Bürger aus dem offiziellen deutschen Kultur- und Gesellschaftsleben. Bereits im Frühsommer 1933 versuchten sie als Künstler und Kulturschaffende bzw. als Zuschauer (gemeinsam bildeten sie den Kulturbund) ein eigenes Kulturleben zu entwickeln. Damit konnten zugleich weitere Erwerbsmöglichkeiten im nicht-künstlerischen Betrieb geschaffen werden, was den Kulturbund auch zu einer sozialen Einrichtung machte. Unter strengen Auflagen wurde er vom nationalsozialistischen Regime geduldet.
Das schon bald auch in den jüdischen Gemeinden deutschlandweit verzweigte komplexe Unternehmen wurde von bekannten Persönlichkeiten geführt, die mit großem Einsatz das Unternehmen acht Jahre lang dem nationalsozialistischen Regime abtrotzten. Unter ihnen der Gründer und Leiter des Kulturbunds, Dr. Kurt Singer, zuvor stellvertretender Intendant der Städtischen Oper in Berlin; oder der damals schon als Schriftsteller und Journalist bekannte Julius Bab; der Dirigent Kurt Sanderling, später eine der bedeutenden Persönlichkeiten im Kulturleben der DDR; oder auch Fritz Wisten, nach dem Krieg Intendant des Berliner Schiffbauerdamm-Theaters und der Volksbühne.
Mehr als 2000 Menschen, Künstler und so genannte »Umschichtler« (das waren die Mitarbeiter aus zuvor anderen Berufen) beschäftigte der Kulturbund während jener acht Jahre, die Zahl der Zuschauer, deutschlandweit bezifferte sich auf viele Zig-Tausend. Dieses Unternehmen, das als Jüdischer Kulturbund in die Geschichte einging, bot ein vielfältiges Programm, bestehend aus Schauspiel, Oper und Konzert, dazu kamen thematisch vielfältige Vortragsreihen, Rezitationen und Ausstellungen, 1939 zusätzlich noch Filmvorführungen, ein Angebot, das bis zuletzt intensiv genutzt wurde von vielen derer, die noch nicht hatten fliehen können. Grundbedingung war, dass nur Juden für Juden spielten, »Arier« und die offizielle Presse hatten keinen Zutritt, was einer der Gründe ist für die damalige und noch heutige allgemeine Unkenntnis darüber. Zuständig für die Kontrolle war der Sonderbeauftragte aus Goebbels’ Reichskulturkammer, Hans Hinkel, dem ‚Büro Hinkel’ musste jede Veröffentlichung zu Kontrolle und Zensur vorgelegt werden.
In der Publikation wird der Jüdische Kulturbund in der Gesamtentwicklung seiner Geschichte, in seiner Position innerhalb der NS-dominierten deutschen Gesellschaft und mit den Biographien seiner Protagonisten dargestellt. Seine besondere Bedeutung liegt in seinem auf Eigenständigkeit bedachten, gewaltfreien, geistigen und kulturellen Widerstand, dies auch im Kontext der Diskussion um den Jüdischen Widerstand generell, war es doch ein Widerstand zum Schutz des Einzelnen, zu seiner Selbsterhaltung und inneren Stärkung seiner Selbstidentität und zur Teilhabe am geistig-künstlerischen Tun, zur »Ermöglichung individueller Zukunft«.
Der Kulturbund ist ein bislang noch immer unzureichend erzähltes Kapitel der deutsch-jüdischen Geschichte und ein signifikantes Beispiel innerhalb des Berliner Themenjahres ‚Zerstörte Vielfalt’. Seine Geschichte ist die Geschichte des kreativen menschlichen Geistes, der Macht der Musik, der Kultur insgesamt und nicht zuletzt des Willens, mit dieser Kraft zu überleben – das bedeutet, dass der Kulturbund existierte, weil seine Mitglieder nicht nur hofften, sondern willens waren und ihre ganze Kraft einsetzten, durch und mit der Kultur (nicht nur mit Musik, Theater, Vorträgen, auch in gegenseitigem Vertrauen, mit Hilfe, Bildung, Verantwortung und im persönlichen Miteinander) gegen die zerstörerische Unkultur und mörderische Macht der Nationalsozialisten geistig und real zu widerstehen und sogar zu überleben.
Gabriele Fritsch-Vivié
Gabriele Fritsch-Vivié
Gegen alle Widerstände. Der Jüdische Kulturbund 1933–1941
278 Seiten, Klappenbroschur
Hentrich&Hentrich
ISBN: 978-3-95565-005-6
24,90 € / 44,00 CHF