Das Land Baden-Württemberg und speziell seine Landeshauptstadt Stuttgart haben sich bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte während der NS-Diktatur über viele Jahre hinweg sehr schwer getan – ganz im Gegensatz zu vielen ehrenamtlich Aktiven, die in Stuttgart und vielen anderen Orten unseres Landes hervorragende Arbeit in der Erinnerungskultur leisten. Als gegen Ende des 20. Jahrhunderts das im Krieg weitgehend erhalten gebliebene Gebäude der ehemaligen Gestapo-Zentrale für Württemberg dem Neubau eines Kaufhauskomplexes weichen sollte, schlossen sich etliche private Initiativen, zu denen auch unsere Regionale Arbeitsgruppe Baden-Württemberg gehörte, zu einem machtvollen Bündnis zusammen. Ziel war es, das Gebäude des einstigen „Hotel Silber“ – ganz früher ein über Württemberg hinaus bekannter Gastronomiebetrieb – zu erhalten und zu einem Lern- und Gedenkort über die in der NS-Zeit von hier ausgehende Terrorherrschaft zu entwickeln. In mühevoller, spannungsreicher Arbeit gelang es schließlich dieser Bürgerbewegung, die grün-rote Landesregierung der Jahre 2011 bis 2016 und die Stadt Stuttgart von der Notwendigkeit einer solchen Gedenkstätte zu überzeugen. Seit Dezember 2018 wird in einer 300 Quadratmeter großen Ausstellung mit eindrucksvollen Exponaten an diese schicksalsschwere Zeit erinnert.
Der jahrelange Kampf zur Erhaltung des Hotel Silber veranlasste unsere Regionale Arbeitsgruppe dazu, die bisher brachliegende Geschichte der Strafjustiz der Stuttgarter Gerichte während der NS-Zeit zusammen mit dem damit betrauten Haus der Geschichte des Landes Baden-Württemberg zu erforschen und durch eine entsprechende Dauerausstellung zu dokumentieren. Namentlich unser früherer RAG-Sprecher Alfred Geisel und unser Mitglied Fritz Endemann, Verwaltungsrichter a. D., sind die Initiatoren der über dreijährigen Forschungsarbeit. Die intensiven Nachforschungen förderten zu Tage, dass in der NS-Zeit allein vom Sondergericht Stuttgart wegen zum Teil geringfügiger Delikte 142 Todesurteile verhängt wurden, denen noch 14 Todesurteile der Strafsenate des Oberlandesgerichts Stuttgart hinzuzufügen sind. Die Grausamkeit der von der NS-Ideologie beherrschten Justiz zeigte sich daran, dass von 1934 bis zum August 1944 in einem Lichthof des Stuttgarter Justizareals 423 Menschen durch das Fallbeil ermordet wurden. Im Herbst 1944 wurde das Areal vollständig zerstört. An das Schicksal der NS-Justizopfer wurde bisher nirgendwo erinnert.
In mehr als siebenjährigen intensiven Bemühungen gelang es schließlich den beiden Initiatoren, die Justizverwaltung und die betroffenen Gerichte zu überzeugen, ein würdiges Gedenken an diese Verbrechen im jetzigen Gerichtsareal zu ermöglichen. Die am 29. Januar 2019 eröffnete Dauerausstellung gedenkt in einem ersten Teil der mehr als 70 Richter, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder ihrer politischen und religiösen Überzeugung Opfer der Säuberungsaktionen der Nazis wurden. Im zweiten Teil der Ausstellung wird anhand markanter Beispiele die zunehmende Radikalisierung der NS-Strafjustiz und der daran beteiligten Richter und Staatsanwälte dokumentiert. Etliche von ihnen haben unmittelbar nach dem Krieg aufgrund dubioser „Persilscheine“ wieder bemerkenswerte Karrieren im Justizdienst des Landes gemacht. Der 423 getöteten Opfer wird namentlich auf drei an markanter Stelle vor dem Gerichtsgebäude errichteten Stelen gedacht.
Eine Besonderheit der Dauerausstellung ist der Ort ihrer Präsentation: die Flure vor den Gerichtssälen, wo sich das tägliche Geschehen des Gerichtsbetriebs abspielt. Darauf wies Alfred Geisel in seiner Einführungsrede am 29. Januar mit besonderem Nachdruck hin. Hier werde „der himmelweite Unterschied“ zwischen der damaligen menschenverachtenden Willkürpraxis und unserer heutigen von rechtsstaatlichen Prinzipien geprägten Rechtsprechung deutlich. Gleichzeitig sei die Ausstellung an eben diesem Ort eine verpflichtende Mahnung an jede hier tätige Richterpersönlichkeit, welch hohe ethische Verantwortung sie bei ihrer nur an Gesetz, Recht und das eigene Gewissen gebundenen Rechtsprechung trage.
Jeder, den es nach Stuttgart führt, sollte sich neben dem Hotel Silber unbedingt auch diese Dauerausstellung vor und im Gebäude des Landgerichts Stuttgart, Urbanstraße 20, ansehen.
Birgit Kipfer ist Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.
Erschienen in: Zeitschrift Gegen Vergessen - Für Demokratie Ausgabe 99/2019