Besuch in Marzabotto

Zum Jahrestag des deutschen Massakers vor 68 Jahren

von Bernhard Lehmann

Mit einem Schreiben des Bundespräsidenten Dr. Joachim Gauck und den Grußbotschaften zweier Bundestagsabgeordneten, Ulla Jelpke und Heinz Paula im Gepäck, reiste ich gemeinsam mit meiner Frau am 29.9. nach Marzabotto, um den Opfern und Angehörigen eine symbolische Summe von 10 000 Euro zu überbringen und noch überlebende Opfer des Massakers zu befragen. Zwar war 2002 von Bundespräsident Rau die moralische Schuld eingestanden worden, aber im Gegensatz zu anderen Opfergruppen widerfuhr den italienischen Opfern nie juristische und finanzielle Genugtuung. Zudem wurden die Opfer immer wieder gedemütigt, weil Prozesse gegen die Schuldigen in Deutschland verschleppt oder niedergeschlagen wurden oder gar keine Anklage erfolgte.

Wie kam es zu den barbarischen Massakern der Deutschen?

Nach der Bekanntgabe des Waffenstillstands der Alliierten mit der neuen italienischen Regierung unter Marschall Pietro Badoglio vom 8. September 1943 kam es zum sofortigen Bruch mit NS-Deutschland. Die deutsche Wehrmacht begann mit der Entwaffnung von ca. der Hälfte der italienischen Streitkräfte und deren Internierung, sowie mit der systematischen Besetzung des Landes. Der durch ein Kommando-Unternehmen befreite Mussolini wurde zum Regierungschef einer neu gebildeten Marionettenregierung des Dritten Reiches, der (Republik Salò).

Etwa 600.000 Mann der italienischen Armee wurden als Militärinternierte zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht, annähernd 200 von ihnen kamen nach Gersthofen, wo sie gemäß dem Reichsluftfahrtsamt bei der Produktion des Treibstoffs für die V-2 bei der Firma Transehe eingesetzt wurden. Rund zwanzig Personen kamen alleine aus dem kleinen Ort Galluccio südlich von Rom, nördlich der Provinzhauptstadt Caserta (Kampanien).

Wie in allen nationalsozialistisch besetzten Staaten Europas haben auch in Italien im Laufe der 20-monatigen Besatzung Teile der Bevölkerung den Entschluss gefasst, sich der Okkupationsmacht zu widersetzen-mittels politischer und propagandistischer Aktion, Obstruktion, Sabotage oder Verweigerung der Zusammenarbeit.

Wie sah der Widerstand gegen die Besatzungsmacht und den Salò-Faschismus aus?
Widerstand in Italien entlud sich in einer militärischen Aufstandsbewegung, einer illegalen Presse, in Zehntausenden von Sabotageakten, Tausenden von politischen Attentaten, vor allem in einer Streikbewegung von gigantischen Ausmaßen.

Das Massaker von Marzabotto

Im Winter 1943/44 scharte Mario Musolesi aus Marzabotto, Kampfname "Lupo", eine Partisanengruppe um sich. Nach dem Vorbild der jugoslawischen Partisanen unter Tito, die unter dem roten Stern kämpften, nannte er die Einheit "Stella Rossa". Zur Zeit des Massakers bestand sie aus ca. 800 Leuten, darunter 90 Frauen und eine größere Gruppe geflohener Kriegsgefangener. Das Gebiet zwischen den Flüssen Reno und Setta, das zu den Gemeinden Monzuno, Grizzana und Marzabotto gehört, lag zwischen den Fronten: Die Alliierten waren von Süditalien bereits bis zum benachbarten Gebirgszug vorgedrungen, die Deutschen belagerten die gegenüberliegende Bergkette. Auf zwei wichtigen Verkehrsstraßen und zwei Eisenbahnlinien, darunter die direkte Zugverbindung zwischen Bologna und Mittelitalien, transportierten Nationalsozialisten und Faschisten Truppen, Waffen und Waren. Dies machte die Gegend zu einem wichtigen Aktionsgebiet der "Stella Rossa", die Sabotageaktionen und Überraschungsangriffe gegen deutsche und faschistische Einrichtungen und Einheiten durchführte.

Seit dem Angriff der Alliierten im Sommer 1944 auf die "Gotenlinie", die deutsche Verteidigungslinie in Norditalien, waren die beiden Berge Monte Caprara und Monte Sole für die Deutschen die letzten natürlichen Bollwerke vor Bologna. Die dortigen PartisanInnen gerieten deshalb besonders ins Visier. Im September 1944 wurde die 16. Panzergrenadierdivision "Reichsführer SS" an diesen Frontabschnitt verlegt. Diese Division zog eine regelrechte Blutspur quer durch die Toskana und tötete nach Erkenntnissen des Historikers Carlo Gentile etwa 2.500 ZivilistInnen und schickte mindestens 10.000 Italiener zwangsweise zum Arbeitseinsatz nach Deutschland. Am 28. September wurde der Befehl erteilt, das ganze Gebiet "von Partisanen zu säubern", um die Verteidigung und den Rückzug der Deutschen zu sichern.

Die Ereignisse

Am frühen Morgen des 29. September wurde das Gebiet von Einheiten der SS und der Wehrmacht umstellt. Sie erhielten Unterstützung von einzelnen ortsansässigen Faschisten, die, getarnt durch SS-Uniformen, den Deutschen Wege, Häuser und mögliche Verstecke zeigen sollten. Die Einheiten ermordeten in den folgenden Tagen 770 Zivilpersonen, darunter 213 Kinder unter 13 Jahren, auf brutale und sadistische Weise.

Kampfhandlungen gegen PartisanInnen fanden nur wenige statt. Bei Scope kam es zu einem ersten kurzen Gefecht. Doch den PartisanInnen gelang es, sich auf den Monte Sole zurückzuziehen. In Ca di Derino hielten sich ca. 30 PartisanInnen auf und ca. 20 im benachbarten Cadotto, dort befand sich der Kommandostand. Hier wurden in den folgenden Gefechten die meisten PartisanInnen getötet, darunter auch ihr Kommmandant "Lupo". Den Überlebenden gelang es, sich im Wald zu verstecken und - vermutlich in einer Kampfpause - der Einkesselung durch die Deutschen zu entkommen.

Überlebende berichten

Zum Zeitpunkt des Massakers lebten nicht nur Einheimische auf dem Berg, sondern auch Flüchtlinge aus Bologna, die in den Bergen Schutz vor Bombardements gesucht hatten. Andere waren von den Deutschen aus der Toscana hierher verschleppt worden. Nur durch glückliche Zufälle gelang es einigen wenigen, dem Massaker zu entkommen,

Anerkennung von Kesselring

"Bandenaktion beendet, mit Vernichtung der Bande Roter Stern." Dafür gab es eine Anerkennung vom Leiter der Heeresgruppe C und Oberbefehlshaber Süd/Südost Generalfeldmarschall Albert Kesselring. Doch nur zwei Tage später klagten die Deutschen wieder über eine Zunahme der “Bandentätigkeit”. Lediglich die logistische Struktur der "Stella Rossa" war zerstört worden. Lutz Klinkhammer zieht den erschreckenden Schluss: Da den durchführenden Einheiten schnell klar gewesen sein dürfte, dass sie die "Stella Rossa" nicht vernichten konnten, sei die Tötung der ZivilistInnen grausames Kalkül gewesen. Man habe eine möglichst große Zahl von Opfern gebraucht, um eine erfolgreiche Aktion melden zu können.

1989 wurde das betroffene Gebiet zum "Parco Storico di Monte Sole", zum historischen Park von Monte Sole erklärt.

Prozessverschleppung und Anklageunterdrückung

Zwei Kommandeure der für die Morde verantwortlichen SS-Division wurden verurteilt. Der Leiter der Strafaktion, SS-Sturmbannführer Walter Reder, wurde 1951 in Bologna zu lebenslanger Haft verurteilt, im Januar 1985 begnadigt und starb 1991 in Wien. SS-Gruppenführer Max Simon war in Padua zum Tode verurteilt und wurde bereits 1954 begnadigt. Im Januar 2007 wurden zehn SS-Mitglieder nach dem Fund des „Schranks der Schande“ – Paul Albers(88),  Josef Baumann (82), Hubert Bichler (87), Max Roithmeier (85), Max Schneider (81), Heinz Fritz Traeger (84), Georg Wache (86), Helmut Wulf (84), Adolf Schneider (87) und Kurt Spieler  (81) von einem Militärgericht in La Spezia in Abwesenheit zu lebenslangen Haftstrafen sowie Entschädigungszahlen in Höhe von 100 Millionen Euro verurteilt, sieben weitere Angeklagte wurden freigesprochen.

In Deutschland wurde bisher in keinem der Fälle Anklage erhobenMöglichkeit in Betracht ziehen, dass der Einsatz dazu dienen sollte, arbeitsfähige Männer nach Deutschland zu verschleppen und die Erschießung der Zivilbevölkerung erst befohlen wurde, als dieses Ziel nicht erreicht werden konnte. Damit sei es aber nicht möglich, eine Mordanklage der mutmaßlichen Täter mit der „bloßen Teilnahme an dem Einsatz“ zu begründen. Jedem einzelnen Angeklagten müsse vielmehr seine Beteiligung am Massaker individuell nachgewiesen werden. Die sei bei keinem der Verdächtigen gelungen.

In Stazemma wurden von den deutschen Truppen 560 Zivilisten, darunter 107 Kinder im Alter bis zu 14 Jahren und 29 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahre hingemordet. Ganz ähnliche Verbrechen verübten Deutsche auch in  Fivizzano, in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom, sowie an weiteren 21 Ortschaften in der Grenzregion zwischen der Emilia-Romagna und der Toskana, z.B. in Valluciole, Monchio, Susano, Costringano, Grizzana Morandi, Cervarolo und Civago, Mommio und Sassalbo.

Der derzeitige Stand der gerichtlichen Auseinandersetzung

Während ehemalige Wehrmachtsangehörige Pension für ihr Lebenswirken gezahlt bekommen, gehen die Opfer ihrer Taten leer aus. Von September 2011 bis Februar 2012 verhandelte der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) über eine Klage Deutschlands auf „Immunität“ gegen Entschädigungsforderungen von NS-Opfern. Anlass waren Urteile der höchsten Gerichte Griechenlands und Italiens, laut denen der Rechtsnachfolger des NS-Staates Entschädigungen für NS-Kriegsverbrechen zahlen muss. Andernfalls drohe die Pfändung deutschen Regierungsbesitzes, wie z.B. des deutsch-italienischen Zentrums Villa Vigoni oder des Goethe-Institutes. Der IGH urteilte letzten Endes zugunsten Deutschlands, mit der Begründung, italienische Gerichte hätten die deutsche Staatenimmunität nicht anerkannt. Deutschland muss keine Zahlungen in Millionenhöhe leisten und die Opfer gehen leer aus. Außenminister Westerwelle begrüßte das Urteil, fügte aber hinzu: „In Deutschland wissen wir um unsere Verantwortung für unsere Geschichte“

Dr. Bernhard Lehmann ist Sprecher der RAG Augsburg-Schwaben

Literatur: Lutz Klinkhammer, Widerstand und Partisanenkrieg in Italien, 1943-1945, in: Bernd Heidenreich, Marzia Gigli, Sönke Neitzel (Hrsg.), Besatzung, Widerstand und Erinnerung in Italien, 1943-1945, Wiesbaden 2010, S. 49-60