Buchbesprechung: "Aufruf zum Miteinander. 30 Jahre Friedliche Revolution 2019/20"

Der Buchtitel könnte nicht aktueller gewählt sein: Genau am Miteinander fehlt es nämlich derzeit in der Bundesrepublik Deutschland sehr. Das gilt nicht etwa nur für die politischen Mandatsträger und die Parteien, sondern genauso für die Bevölkerung insgesamt, wo die ´besorgten´ und vor allem die Wutbürger den öffentlichen Diskurs immer mehr dominieren. Da kommt ein „Aufruf zum Miteinander“ gerade recht.

Kein Wunder, dass dieser Aufruf von einem Pfarrer kommt, der ja sozusagen qua Amt dafür zuständig ist, gemeinschaftsbildend zu wirken. Ein (kleines) Wunder aber, weil dieser Pfarrer bereits im Jahr 2015 verstorben ist. Doch die Botschaft von Hans-Jochen Tschiche, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat, „trotz kontroverser Überzeugungen im kooperativen Gespräch (mit anderen) zu bleiben“, ist heute genauso wichtig wie vor fünf oder vor 50 Jahren.

Solange nämlich (und länger) hat Tschiche nach dieser Grundüberzeugung gelebt und als Vorbild Generationen von Orientierung suchenden jungen Menschen (den Unterzeichner eingeschlossen) weitergeben. Das rechtfertigt allemal ein Buch, wo heutige „User“ nachlesen können, wie dieser entschiedene Christenmensch aus der Altmark tolerant, lebensklug friedfertig und humorvoll eine Diktatur überwunden und eine Demokratie verbessert hat.

Der Buchherstellung hat sich – glücklicherweise für die Nachgeborenen – ein kleines aber menschlich und fachlich kompetentes Autor*innenkollektiv angenommen. Entstanden ist ein Lesebuch, in dem jeweils Texte von Tschiche (aus 50 Jahren DDR- und BRD-Zeiten) Kommentaren von Zeitgenoss*innen gegenübergestellt sind. So wird u. a. auf eine „Eingabe zum Verfassungsentwurf“ der DDR 1968 und den „Herbst 1989 in Magdeburg“ zurückgeblickt sowie das Interview „Nie ein Schlussstrich unter die Zeit des Nationalsozialismus!“ von 2005 abgedruckt. In der Mitte aber steht Tschiches Lebensprogramm: „Teilhabe statt Ausgrenzung – Wege zu einer solidarischen Lebens- und Weltgestaltung“ aus dem Jahr1988. Das alleine (samt des Kommentars von Stephan Bickhardt) lohnt die Lektüre des Buches. – Als Erinnerung an die geistigen Grundlagen der Friedlichen Revolution  u n d   als Handlungsanweisung für heutiges zivilgesellschaftliches Engagement.

Lothar Tautz, Mitglied des Bundesvorstandes von „Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.“

Aufruf zum Miteinander. 30 Jahre Friedliche Revolution 2019/20
Mitteldeutscher Verlag Halle/S. (ISBN 978-3-96311-242-3)