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Vortrag + Diskussion: "Antisemitische Einstellungen oder menschenrechtliche Kritik? Differenzierungen zu Kommentaren gegen die israelische Politik"

Dienstag, 12. September 2023, 19:00 Uhr

Internet + Evangelisches Zentrum Bonn, Adenauerallee 37, 53113 Bonn

Dies ist eine Veranstaltung von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., Regionale Arbeitsgruppe Mittelrhein, in Kooperation mit: Evangelisches Zentrum Bonn, Beueler Friedensgruppe

Vortrag von Prof. Armin Pfahl-Traughber

Die inhaltlichen Thesen des Vortrags können von dieser Seite herunterkopiert werden. Weitere Informationen zu der Veranstaltung finden Sie Opens external link in new windowhier. Der Flyer Initiates file downloadsteht hier zum Download bereit.

Zwanzig Thesen zu dem Vortrag bei Gegen Vergessen – für Demokratie e.V. in Kooperation mit dem Evangelischen Forum und der Friedensgruppe Beuel im Evangelischen Zentrum Bonn am 12. September 2023.

1. In Deutschland werden Diskussionen zur israelischen Politik mitunter emotionalisiert und polarisiert geführt, wobei Einwände ebenso in Form von aufklärerischer menschenrechtlicher Kritik wie auf der Grundlage latenter antisemitischer Ressentiments vorgetragen werden.
2. Es bedarf daher der Differenzierung bei der Einschätzung des jeweils Gemeinten, einerseits bezogen auf die Angemessenheit eines Antisemitismusvorwurfs und andererseits hinsichtlich der Existenz einschlägiger Stereotype.
3. Es kann aber nicht nur eine Auffassung entsprechend der beiden erwähnten Einstellungen geben, ist doch eine nicht-antisemitisch motivierte Israelfeindlichkeit ohne eine antisemitische Motivation ebenso vorstellbar, wobei letzteres sie nicht richtig machen muss.
4. Die zu behandelnde Frage, wann Einwände gegen die israelische Politik als antisemitisch eingeschätzt werden müssen, setzt eine Definition des Gemeinten voraus, um später eine Einschätzung auf dieser Grundlage bezogen auf die jeweiligen Positionen vorzunehmen.
5. Von folgender Begriffsbestimmung wird ausgegangen: Antisemitismus meint eine Feindschaft gegen Juden als Juden, wobei diese Einstellung unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte haben kann, wozu auch der israelbezogene Antisemitismus zählt.
6. Die Definition für das Letztgenannte lautet: Diese Form sieht Israel als "Kollektivjuden" an, wobei der Bezugspunkt der Feindschaft das konstitutiv abgelehnte "Jüdische" ist, was eher als latente Einstellung und weniger als manifeste Formulierung präsent ist.
7. Beim Antisemitismus allgemein wie bei seiner israelbezogenen Ausrichtung können folgende Formen unterschieden werden: die deutliche Abwertung von Juden, die Nutzung judenfeindlicher Stereotype und die mit Kritik einhergehende unbeabsichtigte Wirkung.
8. Für die erste Ausrichtung können als Beispiele gelten: die Behauptung eines betrügerischen Charakters bei allen Juden oder die Behauptung einer religiös bedingten Herrschaftsabsicht von Israel, beides einhergehenden mit einer Diabolisierung und Stereotypisierung.
9. Für die zweite Ausrichtung können als Beispiele gelten: die im Alltagsleben auszumachende Identifizierung von Juden und Materialismus ("jüdisches Finanzkapital") oder die Israel zugeschriebene bewusste Kindertötung ("Kindermörder Israel").
10. Für die dritte Ausrichtung können als Beispiele gelten: die Ablehnung von als Juden identifizierbaren Personen oder die Negierung der israelischen Politik, was jeweils keine antisemitische Grundlage haben muss, aber eine antisemitische Rezeption erfahren kann.
11. Die exemplarisch letztgenannten Ausrichtungen haben keine antisemitischen Intentionen, gleichwohl wirkt bei Antisemitismusanfälligen jede derartige Äußerung als Bestätigung von deren Judenfeindschaft, womit sich eine Dilemma-Situation ergibt.
12. Erst dadurch entsteht die Grundsatzproblematik, bei den Einwänden gegen die israelische Politik zwischen antisemitisch und menschenrechtlich motivierten Positionen unterscheiden zu müssen, artikuliert sich doch Erstgenanntes mitunter im letztgenannten Sinne.
13. Damit eine nötige Differenzierung erfolgen kann, müssen bei den Einwänden die inhaltlichen Grundlagen einer Ideologiekritik unterzogen werden, hier der Frage folgend: Was sind die Ausgangspunkte und Interessen der gegen Israel artikulierten Vorwürfe?
14. Diese können bestehen in einem Engagement für die Menschenrechte von Palästinensern, was einschlägige Bekenntnisse zu den allgemeinen Menschenrechten voraussetzt, demnach aber um der Glaubwürdigkeit willen auch doppelte Standards ausschließt.
15. Die erwähnten Einwände können aber auch eine andere Grundlage, eben in einem antisemitischen Sinne haben, etwa wenn eine angesichts des Holocaust bestehende moralische Schuld bzw. Verantwortung negiert oder relativiert werden soll.
16. Derartige Auffassungen bilden häufig die latente Grundlage dafür, angebliche Gemeinsamkeiten zwischen der NS-Herrschaft und der israelischen Politik hervorzugeben, womit das Bild eines "Kollektivjuden" im antisemitischen Sinne propagiert wird.
17. Derartige Aussagen stehen für einen auf Israel thematisch übertragenen "Schuld-Abwehr"-Antisemitismus (auch "sekundärer Antisemitismus" genannt), der aus der Ablehnung der kritischen Erinnerung an den Holocaust aufgekommen ist.
18. Darüber hinaus findet man einen israelbezogenen Antisemitismus überproportional stark bei islamistisch ideologisierten Muslimen, die das Agieren von Israel auf einen angeblich jahrhundertelang bestehenden "jüdischen Krieg" gegen den Islam zurückführen.
19. Differenzieren muss man bei den israelfeindlichen Auffassungen von links, welche auch antisemitische Grundlagen haben bzw. haben können, wenngleich diese keine konstitutive Prägung im linken politischen Selbstverständnis haben.
20. Bilanzierend bleibt die Frage eine komplexe Materie, Differenzierungen bei der Kritik an der Politik der israelischen Regierung können antisemitische Rezeptionen minimieren, gleichzeitige menschenrechtliche Einwände gegen die Gegner Israels tragen dazu bei.

Referent: Prof. Dr. phil. Armin Pfahl-Traughber, Politikwissenschaftler und Soziologe, Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl (Extremismus, Ideengeschichte) und Lehrbeauftragter an der Universität Bonn (Politische Theorie). Er gehörte den beiden "Unabhängigen Expertenkreise Antisemitismus" (UEA) des Deutschen Bundestages an, hat Aufsätze und Büchern zum Antisemitismus vorgelegt und schreibt regelmäßig auf der Internetseite Opens external link in new windowHagalil. Kontakt: Opens window for sending emailArmin.Pfahl-Traughber(at)hsbund.de