Dr. Helge Heidemeyer, Stiftungsvorstand der Gedenkstätte Hohenschönhausen, gewährte der Exkursionsgruppe aus dem Münsterland bei einem Gesprächsabend in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung beim Bund präzise Einblicke in sein neues Arbeits- und Aufgabenfeld. Er benannte zudem klare Perspektiven und Probleme der Forschung zur DDR-Geschichte und zum Einigungsprozess.
„Wir müssen reden.“ Vor zehn Jahren war der Aufruf für ein Geschichtsforum „Europa zwischen Teilung und Aufbruch“ in Berlin so humorig-pointiert überschrieben. Es ging um die Jahre 1989 und 1990. Den Appell nahmen 33 interessierte Erwachsene aus dem Münsterland auch jetzt ganz bewusst wörtlich: In Kooperation von Evangelischer Kirchengemeinde Dülmen und der Regionalarbeitsgruppe von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. nahmen sie sich als religiöse Reisende kurz nach dem 30. Jahrestag der Maueröffnung die Muße zum Reden: über heikle Zeit- und Streitfragen, und das im Zuge einer Exkursion in die Bundeshauptstadt Berlin, die dort die Friedliche Revolution 1989, den Fall des „Eisernen Vorhangs“ und auch den ebenso wichtigen wie schwierigen Einigungsprozess im Fokus hatte. Gemeinsam hielt die Gruppe Fürbitten, sang und betete. Sie scheute aber auch vor politischem „Zoff“ nicht zurück: So über die Rolle der christlichen Kirchen in den Jahren vor und nach der sogenannten „Wende“.
Pfarrerin Susanne Falcke von der Gemeinde Dülmen und Stefan Querl aus der RAG, stellvertretender Leiter des Geschichtsortes Villa ten Hompel in Münster, gestalteten die Fahrt. Sie stellten den Kontakt her zu Zeitzeugen, zu Pfarrerinnen, Pfarrern. Zu Esther Schabow, der Beauftragten für Kultur und Öffentlichkeitsarbeit in der Versöhnungskirchengemeinde, die in der gleichnamigen Kapelle am ehemaligen „Todesstreifen“ eine der Andachten für Maueropfer hielt. Und zur Synagoge Rykestraße im Prenzlauer Berg, denn auch der Aspekt des christlich-jüdischen Dialogs im deutsch-deutschen Mit- und teils Gegeneinander der Nachkriegszeit wurde beleuchtet. Ebenso wurde über gegenwärtige Kontroversen diskutiert, etwa um Kirchenasyl, Sozialfürsorge oder den gesellschaftlichen Ruck in die Extreme, gegen den sich alle aus der Exkursionsrunde massiv verwahrten. Nur im Konsens lasse sich Kirche und Gesellschaft bauen, hieß es.
Besuche verschiedener Erinnerungsorte wie des ehemaligen Notaufnahmelagers Marienfelde, des Dorotheenstädtischen Friedhofs und der Gedenkstätte Berliner Mauer, Bernauer Straße 111, führten die Intensität des Kalten Krieges und seiner Folgen eindrucksvoll vor Augen. Präzise, offen und fundiert benannte Dr. Helge Heidemeyer, Stiftungsvorstand der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, an einem Gesprächsabend in der „Westlounge“ in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung beim Bund Herausforderungen und Probleme einer „gespaltenen Erinnerung“ in der Nation.
Dabei schaute er nicht allein nach Osten und Westen, sondern mit klarem Blick in alle Himmelsrichtungen und „unter deutsche Dächer“. Schließlich verlaufe, so Heidemeyer, dieser Riss längst nicht nur entlang der früheren Grenzen. Er gehe mitten durch die jüngeren Bundesländer und mache auch vor der alten Binnenstruktur der früheren Bundesrepublik Bonner Prägung nicht Halt. Heidemeyer stellte sich den Fragen der Christinnen und Christen: Es entspann sich dort eine ebenso intensive wie heilsame Debatte gegen falsch verstandene, nämlich die Diktatur verklärende „Ostalgie“, aber auch gegen eine gewisse Arroganz von „Besserwessis“ und selbsternannten Ratgebern des rechten Spektrums, denen heute mehr an Spaltung statt Versöhnung gelegen sei. Das Spektrum an Themen sei mit der Fahrt nicht abgeschlossen, befanden alle. In Dülmen werde daran weiter gearbeitet unter dem Dach von Gemeinde und der RAG. Das nahmen sich Pfarrerin Susanne Falcke, Stefan Querl und weitere Mitstreiterinnen vor. Entsprechende Veranstaltungen sollen 2020 und 2021 folgen.