„Flucht und Asyl“: ein Thema für die interkulturelle Pädagogik

Thomas Döring

Ein Modellprojekt
Die Förderung demokratischer Haltungen, die sich an Weltoffenheit, Menschenrechten und interkultureller Verständigung orientieren, gehört zu den Zielen des Bildungsprogramms des Adolf-Bender-Zentrums im Jugendbereich. Die pädagogische Arbeit setzt im gleichen Atemzug auf die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und richtet sich gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus. Das Zentrum wurde bis Ende 2010 im Bundesprogramm „Vielfalt tut gut“ mit dem Modellprojekt „Jugend und Interkulturalität“ gefördert. Ein wichtiger Arbeitsbereich des Projekts war die Entwicklung und Durchführung von Bildungsangeboten für Jugendliche ab 14 Jahren zum Thema „Flucht und Asyl“, über die hier kurz berichtet wird.

Durch die Behandlung dieses Themenbereiches lassen sich schnell Bezüge zu einer interkulturellen Pädagogik herstellen, die sich an einer „Erziehung nach Auschwitz in der Einwanderungsgesellschaft“ (Fechler, Kößler, Lieberz-Groß, „Erziehung nach Auschwitz“ in der multikulturellen Gesellschaft, Weinheim 2000) orientiert. In seiner Rundfunkansprache „Erziehung nach Auschwitz“ formulierte Adorno die Forderung, dass sich Auschwitz nicht noch einmal wiederhole, sei die allererste an Erziehung. Für eine interkulturelle Pädagogik bedeutet dies, dieser Forderung in der Einwanderungsgesellschaft mit ihrer Migrationsgeschichte und ihren pluralen multikulturellen Lebensformen gerecht zu werden. Hieraus ergeben sich unterschiedliche theoretische Zugänge, empirische Untersuchungen und weiterführende Fragestellungen.

Flucht und Asyl
„Flucht und Asyl“ als Thema der pädagogischen Arbeit wurde im Modellprojekt in Bezug gesetzt zu folgenden Bereichen: Menschenrechte, Vorurteile und Anti-Diskriminierung, Dialog mit Betroffenen, historisches Lernen zur NS-Zeit, kritische Staatsbürgerkunde.

So ist ein Hauptziel interkultureller Pädagogik, Differenzierungen vorzunehmen, um der kulturellen Vielfalt und den unterschiedlichen Lebensbedingungen der Menschen gerecht zu werden. In der Fachliteratur wird in vielen Fällen erst einmal grob getrennt zwischen Migranten, Spätaussiedlern und Asylbewerbern, da die staatlichen Regelungen und die Lebenssituationen der Personengruppen sehr verschieden sind. Diese Differenzierung ist auch in der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen wichtig, da die Unterscheidungen oft nicht ausreichend gemacht oder zusammengeworfen werden.

Auch das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) hebt den Unterschied zwischen Migranten und Flüchtlingen hervor. Danach verlässt der Migrant in den meisten Fällen freiwillig sein Land, um seine Lebensbedingungen zu verbessern und er genießt bei einer möglichen Rückkehr weiterhin den Schutz seiner Regierung. Flüchtlinge dagegen können auf diesen Schutz nicht hoffen, denn sie fliehen ja gerade wegen drohender Verfolgung. Auch wenn es Grenzfälle gibt, ab wann eine unabwendbare Zwangssituation beginnt, erscheint die Differenzierung zwischen Migrant und Flüchtling als zentral.

Das Recht auf Asyl ist in Artikel 14 der Allgemeinen Konvention der Menschenrechte verankert, die 1948 durch die gegründete UN verabschiedet wurde. Diese Konvention war eine Reaktion auf die Erfahrungen und Folgen des Nationalsozialismus. Durch die Rekonstruktion ihrer Entstehungsbedingungen können aus der Perspektive historischen Lernens das Verständnis der Menschenrechte und die Absichten, die mit dieser Konvention verbunden waren, Jugendlichen näher gebracht werden. Hierbei ist ebenso zu berücksichtigen, dass durch die Formulierung der Genfer Flüchtlingskommission 1951 sich der Schutz hauptsächlich auf europäische Flüchtlinge direkt nach dem Zweiten Weltkrieg bezog. Als das Problem der Vertreibung globale Ausmaße erreichte, wurde der Wirkungsbereich der Konvention mit dem Protokoll von 1967 erweitert.


Die Projektarbeit mit Jugendlichen zum Thema „Flucht und Asyl“ gestaltete sich sehr unterschiedlich. Waren einige Schulklassen und Jugendgruppen interessiert und motiviert, so stieß bei anderen das Thema vorab auf Desinteresse und Ablehnung. An dieser Stelle lassen sich nur sehr kursorisch unterschiedliche Gründe und Bedingungen als Erklärung anführen: die Rolle des Klassenlehrers und sein Engagement für gesellschaftspolitische Themen, das Klassenklima, die Lebenslagen der Schülerinnen und Schüler, situationale Anforderungen wie bevorstehende Klassenarbeiten.

Einen guten Einstieg in das Thema Flucht und Asyl besteht in der Einstiegsfrage an Jugendliche, was für sie Notsituationen wären, die zu einem Verlassen Deutschlands führen würden. Es lässt sich sehr anschaulich darstellen, dass die meisten der genannten Gründe wie Naturkatastrophen, Hungersnöte, Krankheiten, Armut oder fehlende Ausbildungsmöglichkeiten ganz eindeutig keine Anerkennung nach dem Asylgesetz erfahren. In diesem Zusammenhang war es auch wichtig, durch die Schilderungen von Einzelschicksalen die konkreten gefährlichen Lebensbedingungen zu beleuchten, die zu einer Flucht geführt haben. Ebenso waren die psychische Belastung, die quälende Ungewissheit und die schlechte Ausstattung der Unterkünfte ein Thema.

Durch den Artikel 16a ist Asyl auch im deutschen Grundrecht festgeschrieben; so kann im Rahmen der Staatsbürgerkunde gezeigt werden, welche Entwicklung das Asylrecht in Deutschland nahm und wie in Europa mit dem Thema umgegangen wird. Letztlich ist eine zunehmende Aushöhlung des Asylgesetzes festzustellen, die Grenzen Europas werden durch Einsätze von Polizei, Militär oder Frontex-Einheiten gesichert und viele Flüchtlinge auf dem Meer ihrem Schicksal überlassen. In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis auf die Rolle von nicht-staatlichen Regierungsorganisationen wie z.B. Pro Asyl wichtig, die Missstände öffentlich machen, Flüchtlingen helfen und vor dem Europäischen Menschengerichtshof vorstellig werden.

Die Einhaltung der Menschenrechte liegt natürlich auch immer in der Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger der Staaten. Leider ist festzustellen, dass Asylbewerber oft mit Vorurteilen zu kämpfen haben, die dem zentralen Prinzip der „Anti-Diskriminierung“ widersprechen, welches in den Menschenrechten strukturell verankert ist. Die Auseinandersetzung mit alltagsrassistischen und rechtsextremen Tendenzen ist insofern immer auch ein Themenbereich für eine interkulturelle Pädagogik, die sich an Menschenrechten und einer Erziehung nach Auschwitz in der Einwanderungsgesellschaft orientiert.


Beispiel Projektarbeit
Im Folgenden soll nun ein Beispiel einer langfristigen Projektarbeit dargestellt werden, bei dem die Arbeit mit dem Medium Film im Vordergrund stand. Über ein halbes Jahr arbeitete die Leiterin Susanne Schmidt (Fachkraft für Medienarbeit und demokratische Bildung) mit 20 Schülerinnen und Schülern der Klassenstufe 9 zum beschriebenen Themenbereich.

Ausgangspunkt war neben der Sammlung von Ideen für die generelle Umsetzung des Projekts die Erfassung des Vorverständnisses der Jugendlichen. So konnten erste Themenbereiche geordnet und Fragen formuliert werden, die mit zwei eingeladenen Fachkräften aus dem Bereich Flüchtlingsberatung besprochen und diskutiert wurden. Neben der Aneignung inhaltlichen Wissens über das Asylverfahren standen die schwierige Lebenssituation der Asylbewerber und ihre psychische Verarbeitung im Vordergrund. In diesem Zusammenhang ging es auch um gesetzliche Regelungen und Auflagen, die das Leben der Flüchtlinge maßgeblich mitbestimmen und einschränken. Über das Thema Menschenrechte und ihre Umsetzung wurde diskutiert sowie die Geschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte behandelt. Die Gruppe beteiligte sich an einer Veranstaltung des saarländischen Landtages zum Nationalen Gedenktag am 27. Januar 2010 und führte ein Interview mit dem eingeladenen Zeitzeugen Gabriel Bach. Ein weiterer Zeitzeuge schilderte der Gruppe seine Möglichkeiten der Flucht nach Frankreich als Folge der Saarabstimmung 1935.

Durch Vermittlungsarbeit einer Beratungskraft wurden mehrere Termine mit zwei 2 jungen Flüchtlingsfrauen gemacht, die ihren Lebensweg und ihre aktuelle Situation in Deutschland vorstellten. Die Interviews wurden von den Jugendlichen durchgeführt und gefilmt; sie zeigen auf eindringliche Weise, wie das eigene Bemühen z.B. um Weiterbildungsmöglichkeiten oder einen Ausbildungsplatz an gesetzlichen und institutionellen Bedingungen scheitern können. Nach dem Besuch der Ausstellung "Innenansichten - Bilder aus der Abschiebungshaft in Ingelheim" des Diakonischen Werks in Hessen und Nassau, die im Saarbrücker Rathaus zu sehen war, wurde anschließend mit einer Asylbewerberin diskutiert. Die Gruppe fuhr zur Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge in der Stadt Lebach und machte Interviews mit (irakischen) Asylbewerbern, die übersetzt wurden. Ebenso wurde auf einer Frauenkonferenz („Frauenwelten“) in Saarbrücken zum Thema Flucht interviewt und gefilmt. Letztlich wurde der halbstündige Film „Endstation“ mit den Schülern gedreht. Sie schrieben das Drehbuch, spielten und filmten selbst. Der Film behandelt die Geschichte eines jungen Mädchens, das sich in einen deutschen Jungen verliebt und das letztlich mit ihren Eltern unter Mithilfe von Polizisten abgeschoben wird. Ebenso wurde der Film „Drachenläufer“ in einer öffentlichen Veranstaltung gezeigt und dazu Jugendliche eines deutsch-ausländischen Jugendclubs eingeladen. Diese hauptsächlich aus Migranten zusammengesetzte Gruppe zeigte sich sehr interessiert an der bisherigen Arbeit und so konnte mit ihnen ein neues Filmprojekt entstehen. Zum Ende des Projektes gab es eine große Abschlussveranstaltung in einem angemieteten Kino mit 200 Besuchern.

Die Filmbeiträge wurden auf eine DVD gespeichert. Sie wurden kopiert und zusammen mit einem Booklet in einer Cassette als Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer sowie für weitere Fachkräfte im Jugendbereich angeboten. Im Booklet werden unterschiedliche Methoden zum Themenbereich Flucht, Asyl und Migration dargestellt, um auch mit den filmischen Beiträgen arbeiten zu können.

Dr. Thomas Döring ist pädagogischer Leiter des Adolf-Bender Zentrums in St. Wendel.