Buchbesprechung von Axel Ulrich und Andreas Dickerboom
Während der sieben Jahrzehnte, die seit der Niederringung des „Dritten Reichs“ durch die alliierten Armeen vergangen sind, wurden bereits einige, allesamt wichtige Überblicksdarstellungen zum antinazistischen Widerstand publiziert, so etwa von Hans Rothfels, Günther Weisenborn, Ger van Roon, Klaus Mammach, Ulrich Cartarius, Hartmut Mehringer und Gerd R. Ueberschär, nicht zu vergessen auch manche Sammelbände zum Thema, z. B. die von Peter Steinbach und Johannes Tuchel, den Leitern der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, herausgegebenen Handbücher. Die zwei neuesten kurzgefassten Darlegungen hierzu haben der renommierte NS-Experte und ehemalige Direktor des dortigen Zentrums für Antisemitismusforschung Wolfgang Benz sowie die Speyerer Studiendirektorin und Präsidentin der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften Lenelotte Möller verfasst. Beide Publikationen ergänzen sich ganz vortrefflich, um – wie zuvor schon die Arbeiten der vorgenannten Autoren – den gravierenden diesbezüglichen Wissensdefiziten innerhalb unserer Bevölkerung entgegenzuwirken.
In beiden Büchern, aus denen die ungeheure Breite und Vielschichtigkeit des von Deutschen geleisteten antinazistischen Widerstandes gleichermaßen klar hervorgeht, werden eingangs Reflexionen über die Frage angestrengt, wie Widerstand überhaupt zu definieren sei. Benz wie Möller verstehen diesen dezidiert in einem engeren Sinne, d. h. nicht nur als eine das NS-Regime partiell oder zur Gänze ablehnende Geisteshaltung, sondern als ein gezieltes Agieren zur Unterminierung der Wirkungskraft des braunen Verbrecherregimes in bestimmten Teilbereichen, wenn nicht sogar mit der Perspektive seiner letztendlichen Beseitigung. Daraus folgert, dass hier wie dort ein Widerstandsspektrum in den Blick genommen wird, das von der individuellen und auch organisierten Hilfeleistung für Verfolgte über antinazistische Aufklärungs- und Propagandaaktivitäten vielfältigster Art bis hin zur Erarbeitung gesellschaftspolitischer Zukunftsentwürfe hierzulande oder im Exil reicht und das seine Kulminationspunkte findet in den diversen Attentaten bzw. Attentatsversuchen auf Hitler und dem Umsturzversuch vom 20. Juli 1944.
Möller geht erfreulicherweise obendrein auf die während der Jahre vor 1933 entfalteten antinazistischen Anstrengungen ein, denen sie immerhin gut ein Fünftel ihres Buchs einräumt. Dabei ruft sie etliche der damals bereits mit aller Eindringlichkeit vor Hitler und der NSDAP Warnenden in Erinnerung, darunter Emil Julius Gumbel, Carlo Mierendorff, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky. Die zahlreichen nachfolgenden Aktivitäten aus dem facettenreichen Spektrum der 1933 umgehend illegalisierten deutschen Arbeiterbewegung werden in beiden Büchern ebenso knapp dargestellt wie auch etliche aus dem Bereich des Bürgertums. Vereinzelte Proteste aus den beiden Kirchen gegen Unterdrückungsmaßnahmen des Regimes werden genauso vorgestellt wie Beispiele für ein Aufbegehren Jugendlicher. Die Versuche zur Gegenwehr durch Mormonen und Zeugen Jehovas werden nicht weniger pointiert thematisiert als die Widerstandsbestrebungen der verfolgten jüdischen Minderheit. Vergleichsweise breiten Raum nimmt bei Benz der so genannte Rettungswiderstand ein, der durch Möller leider sehr lapidar abgehandelt wird. Die im Exil gegen das „Dritte Reich“ entfalteten Anstrengungen werden in beiden Darstellungen ziemlich komprimiert zur Sprache gebracht, desgleichen die des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ und des Bundes Deutscher Offiziere. Anders als Benz bringt Möller darüber hinaus noch verschiedene Beispiele für den außerordentlich respektablen Widerstand, der in von der Wehrmacht okkupierten Staaten geleistet wurde, und zwar in Polen, Jugoslawien, Griechenland, Italien und Frankreich.
Hinsichtlich der Untergrundbewegung, die dann am 20. Juli 1944 hervorgetreten ist, wäre es wünschenswert gewesen, wenn durch Benz wie durch Möller nicht – wie auch sonst bei uns leider noch fast immer üblich – nur die militärischen Anführer jenes Umsturzversuchs und einige der mit diesen kooperierenden bürgerlichen Widerständler beleuchtet worden wären, sondern in gleicher Weise auch die reichsweiten Strukturen des Vertrauensleutenetzwerks um den vormaligen hessischen Innenminister und Gewerkschaftsführer Wilhelm Leuschner und dessen Freunde. Dabei war die Existenz jenes mehrere Tausend Regimegegner zählenden zivilen Widerstandsflügels doch gerade eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass die oppositionellen Militärs den Aufstand überhaupt endlich gewagt haben. Zwangsläufig bleiben damit in beiden Büchern die von sozialdemokratischen, christlichen und liberalen Gewerkschaftern entwickelten gesellschaftspolitischen Zukunftsvorstellungen ebenfalls ausgeblendet. Diese intendierten aber – anders als die hinlänglich bekannten Widerstandsprotagonisten nationalkonservativer Prägung – durchaus die Wiederherstellung einer parlamentarischen Demokratie, welcher freilich eine gegenüber der von Weimar deutlich optimierte Gestalt hätte gegeben werden sollen.
Zu begrüßen ist es wiederum, wenn Wolfgang Benz am Ende seines Buches betont, dass der antinazistische Widerstand, ganz gleich „unter welcher ideologischen Prämisse oder sozialen Voraussetzung er auch geleistet wurde“, für die Schaffung einer „auf Humanität, Recht und Demokratie gegründeten Staats- und Gesellschaftsordnung nach Hitler“ fraglos „zu den wichtigsten sinnstiftenden Ereignissen der deutschen Geschichte“ gehört hat (S. 120). Und nicht weniger löblich ist Lenelotte Möllers abschließende Würdigung all jener vielen Menschen des antinazistischen Widerstandes als „vorbildhaft“, welche „das Falsche als falsch und das Richtige als richtig erkannten und sich von der Gefahr für das eigene Leben nicht vom Handeln abbringen ließen“ (S. 247).
Als versierte Didaktikerin hat Letztere darauf geachtet, ihre stilistisch hingegen manchmal etwas holprige und bedauerlicherweise auch nicht immer ganz faktensichere Darstellung durch eine Vielzahl kleinerer Personen- bzw. Gruppenporträts sowie durch teilweise sogar längere Auszüge aus zeitgenössischen Texten aufzulockern, wodurch sich ihr Werk andererseits doch als recht nützliche Ergänzung auch für alle Benz-Rezipienten empfiehlt. Die einzelnen Unterabschnitte beschließt sie sinnvollerweise jeweils mit Hinweisen zu weiterführender Literatur und Quellen, während sich Benz allein mit einer dreiseitigen Auswahlbibliographie am Ende seines meisterlichen Kompendiums begnügt. Wird der Zugriff auf dieses durch einen Namenindex erleichtert, so fehlt ein solcher jedoch bei Möller, die dafür aber in ihr Buch noch eine Synopse der wichtigsten Ereignisse von 1919 bis 1945 aufgenommen hat.
Wer sich einen ersten Überblick über den Umfang und die Vielfalt des Widerstands gegen das NS-Regime verschaffen will, ist mit beiden Monographien gut bedient. Diese verweisen allerdings gleichzeitig auf das Desiderat einer Gesamtdarstellung der Geschichte des deutschen antinazistischen Widerstandes, welche aber allenfalls von einem ganzen Team ausgewiesener Experten erstellt werden könnte und überhaupt nur als mehrbändiges Werk vorstellbar wäre.
Lenelotte Möller
Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Von 1923 bis 1945
marixverlag, Wiesbaden 2013
Gebundene Ausgabe, 255 Seiten
ISBN: 978-3-86539-977-9 · 5,00 €
Wolfgang Benz
Der deutsche Widerstand gegen Hitler
Verlag C. H. Beck, München 2014
Broschiert, 127 Seiten
ISBN: 978-3-406-66106-8 · 8,95 €