Volkstrauertag 2015

Rede von Lothar Tautz

FRIEDEN.

Ein Wort, sieben Buchstaben und die wichtigste Grundlage für unser Leben in einem Staat, in dem die Menschenrechte im Grundgesetz stehen. Unbegreiflich daher immer wieder aufs Neue: Warum führt der Mensch Kriege? Warum sieht der Mensch nicht ein, dass ein Krieg nur Leid und Verlust mit sich bringt? Warum lernt er nicht daraus und versucht Probleme auf einem anderen, friedlicheren Wege zu lösen, ohne dabei - meist unschuldige - Menschenleben zu opfern?

---                                     

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger von Weißenfels,

nach den Ereignissen vom Freitagabend möchte man eigentlich nur schweigen und trauern und den Hinterbliebenen der unschuldigen Menschen in Paris sein Beileid bekunden. Aber trauern darf nicht sprachlos machen, die, die trösten wollen, schon gar nicht, auch wenn es ihnen schwerfällt, die richtigen Worte zu finden.

Ich will das versuchen und mich nicht davon abbringen lassen zu erinnern, dass der Terror in Europa bereits in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit dem Kriegswahn der Nazis begonnen hat.

 

in diesem Jahr ist es 70 Jahre her, dass der zweite Weltkrieg, der bis dahin grauenvollste und leidvollste Krieg überhaupt vorbei war.

Ein Krieg, der unseren Kontinent verwüstete, in dem die Juden Europas von Staatsbürgern unserer Nation ermordet wurden, die gerade noch behauptet hatten, „am deutschen Wesen sollte die Welt genesen“.

Ein Krieg, in dessen Verlauf – während die Nazis verlogen vom „Heldentod“ sprachen – Millionen von Soldaten und Zivilisten elendiglich verreckten.

Ein Krieg, in dessen Folge Abermillionen von zumeist völlig unbeteiligten und unschuldigen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Als dessen Ergebnis Europa, mitten darin Deutschland, ein halbes Jahrhundert von einem nahezu undurchdringlichen tödlichen eisernen Vorhang geteilt war.

Wir wollen nicht vergessen: Dieser Krieg endete erst, als die westlichen Alliierten und die Sowjetunion nach einem opferreichen Kampf gemeinsam Deutschland zur Kapitulation zwangen und auch uns Deutsche damit von der Nazidiktatur befreiten.

Wir Nachgeborenen haben allen Grund, für diese Befreiung von einem menschenverachtenden Staatswesen mit einigen Dutzend Irren an der Spitze und hunderttausenden willigen Helfershelfern in Behörden und gesellschaftlichen Organisationen dankbar zu sein.

Ich kann es nicht oft genug sagen: Der Befreiung von den Nationalsozialisten haben wir zu verdanken, dass wir heute in Freiheit und Menschenwürde leben können.

Und ich will gleich anschließen: Das Gedenken an die Opfer, die das gekostet hat, verpflichtet uns gleichzeitig, jedem entschieden entgegenzutreten, der die Untaten der Nazis und ihrer Gefolgsleute heute in irgendeiner Weise relativieren will. In unserer durch die Arbeiterschaft geprägten Stadt Weißenfels übersetze ich nochmal als gelernter Schlosser: Den Neonazis und Dumpfbacken von ´pegida´ klare Kante zeigen ist angesagt!

 

Ich komme darauf zurück. Aber zuerst und zuletzt heißt „Gedenken am Volkstrauertag“ für mich, ein Zeichen zu setzen. Wir wollen den Verlust geliebter Menschen betrauern oder einfach für die Trauernden da sein, den Verstorbenen und Hinterbliebenen Respekt erweisen. In besonderer Weise gilt unsere Trauer heute den Terroropfern in Paris.

Der Volkstrauertag dient in seinem Ursprung dem Zulassen einer solchen Trauer. Zudem als Mahnung, um weitere Kriege zu vermeiden, indem die Erinnerung an Vergangenes wachgehalten wird. Er soll uns zu einer friedlichen Welt und einer friedlichen Zukunft für alle einen Schritt voran bringen.

 

Sehr verehrte Damen und Herren,

einen großen Schritt zu einer friedlicheren Welt sind wir in Ost- und Westdeutschland vor 25 Jahren gegangen. Zwar waren die Kampfhandlungen des 2. Weltkrieges am 8. Mai 1945 beendet, die Kriegsfolgen haben wir in ganz Europa aber erst in den Jahren 1989/90 überwunden, wir Deutschen am 3. Oktober 1990.

Der Weg dorthin war für uns Ostdeutsche, seit 1949 DDR-Bürger, ein entbehrungsreicher Gang, selbstverständlich nicht zu vergleichen mit dem, was unsere Großelterngeneration zuvor erlitten hatte. Dennoch möchte ich heute auch an die erinnern, die hier in den 40er und 50er Jahren unter dem stalinistischen Terror der Sowjetmacht gelitten haben und an die aufrechten Menschen, die sich von einer machtversessenen SED-Diktatur (die nie eine „Diktatur des Proletariats“ war) und menschenverachtenden Zersetzungsmaßnahmen der Stasi nicht haben darin beirren lassen, sich für eine Demokratisierung auch der DDR einzusetzen.

Auch dieser Einsatz hat Opfer gekostet. In den 40er Jahren konnte man noch zum Tode verurteilt werden, wenn man bloß ein amerikanisches Flugblatt in der Tasche hatte – auf dem Acker zufällig bei der Ernte gefunden.

Nach der Gründung der DDR waren die Strafen weniger drastisch aber nicht weniger unrecht. So wurde der in Weißenfels geborene Teucherner Pfarrer Bernhard Brinksmeier 1957 von der SED zum Staatsfeind erklärt, weil er nicht zur Wahl gegangen war und zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. In unserem Landkreis muss ich an einem solchen Gedenktag auch den Opfertod von Pfarrer Oskar Brüsewitz erwähnen, an dessen verzweifelte Aktion gegen die Jugendpolitik der SED wir im nächsten Jahr zum 40. Mal erinnern werden. Womit sich übrigens sowohl die Zeitzer Stadtväter als auch die dortige Kirchengemeinde ausgesprochen schwer tun.

Machen wir uns klar, dass in der Zeit von 1961 bis 1990 über 500.000 DDR-Bürger per Antrag unser Land in Richtung Bundesrepublik verlassen haben. Auch das sind menschliche Schicksale, die für die Flüchtlinge wie für die Zurückgebliebenen Opfer bedeuteten. Ganz zu schweigen von denen, die versuchten, unter Einsatz ihres Lebens Mauer und eisernen Vorhang zu überwinden. Über 1000 vorwiegend junge Menschen starben an unserer Staatsgrenze, erschossen von ihren eigenen Landsleuten, die einen sogenannten Ehrendienst bei der Nationalen Volksarmee leisteten.

Dass dieser Unrechtsstaat DDR seit 25 Jahren Geschichte ist, dafür dürfen wir heute auch dankbar sein. Dankbar für die Versöhnung, für den Frieden hier in Deutschland. Unsere Kinder können heute ohne Angst vor Minen im Feld spielen, jeden Morgen mit dem Fahrrad in eine intakte Schule fahren und ohne Schuss- und Granatengeräusche ins Bett gehen. Ohne die Angst, den Tod hautnah und permanent an sich spüren zu müssen.

Allerdings vergisst der Mensch in seinem warmen Bett sehr gerne die Millionen Menschen, welche immer noch in Kriegsgebieten unter elenden Bedingungen leben müssen. Der Krieg verschwindet nicht, nur weil er vermeintlich in die Ferne gerückt ist. Auch heute, gerade in diesem Moment, sterben Menschen im Krieg. Lange Jahre bekamen wir nur einzelne Bruchstücke davon mit, grausame Bilder aus den Nachrichten und Berichte des Leidens.

Seit diesem Jahr kommen die Kriege der Welt unübersehbar wieder zu uns zurück: Mit den Menschen, die vor Not und Tod, Hunger und Elend aus den Kriegsgebieten fliehen.

Und nun komme ich – wie angekündigt – zum „klare-Kante-zeigen“ zurück: Wenn ich sehe, wie unmenschlich sich viele Bundesbürger den Kriegsflüchtlingen gegenüber hier in Deutschland verhalten, die pegida-anhänger vorweg, kann ich nur einen totalen Gedächtnisverlust diagnostizieren. Der aber ist gefährlich. Denn, um mit Bert Brecht zu reden: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“.

Ich hoffe nur, dass auch dem Letzten, der mit pegida oder der AfD sympathisiert und seinen Verstand noch nicht völlig abgegeben hat, an diesem Wochenende klar geworden ist, dass die Flüchtlinge, die vor allem aus Syrien nach Deutschland strömen, dieselben sind, die von solchen Unmenschen wie den Pariser Terroristen aus ihrer Heimat vertrieben worden sind. Wer in Deutschland gegen Asylbewerber demonstriert, macht sich zum Handlanger des IS und der Taliban.

Deshalb: Wenn wir heute am Volkstrauertag der Opfer der Weltkriege, der Nachkriegszeit und des Terrors unserer Zeit gedenken, kann das morgen nur heißen, allem und allen offensiv entgegenzutreten, die diese Opfer vergessen machen wollen.

Wenn wir heute die Opfer vergangener Gewaltherrschaft ehren, dann kann das morgen nur bedeuten, dass wir aktiv für die Opfer unserer Zeit eintreten, ganz konkret für die, die zu uns fliehen und Hilfe erhoffen.

Lasst uns trauern und gedenken, aber nicht nachlassen im Hoffen und Handeln für eine bessere Zeit.

Volkstrauertag 2015

Lothar Tautz, Verdienter Bürger von Weißenfels,

Gegen Vergessen – Für Demokratie, Sprecher der RAG Sachsen-Anhalt