Legalisierter Raub

Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933-1945

Das Plakat zur Ausstellung

Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Rundfunks mit Unterstützung der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst im Regionalmuseum Wolfhager Land.

 von Bettina Leder-Hindemith

„Da mein Sohn außerordentlich begabt ist, wie auch sein Lehrer bestätigt, bitte ich Sie, mir das Klavier des evakuierten Juden zu überlassen“: Mit dieser Bitte trat 1942 ein Offenbacher Bürger an sein Finanzamt heran. Zu dieser Zeit waren die Finanzämter bereits mit der so genannten Verwertung des Eigentums der Deportierten befasst, das seit der 1941 erlassenen 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz dem „Reich verfiel“. Überall kam es zu öffentlich angekündigten Auktionen aus jüdischem Besitz: Tischwäsche, Möbel, Kinderspielzeug, Geschirr, Lebensmittel wechselten den Besitzer. Viele schrieben an die Finanzämter, um sich das begehrte Klavier oder die schönere Wohnung zu sichern. Vorausgegangen waren ab 1933 zahlreiche Gesetze und Verordnungen, die auf die Ausplünderung jüdischer Bürger zielten. Umgesetzt wurden sie von Beamten der Finanzbehörden in Kooperation mit weiteren Institutionen. In der Folge verdiente das „Deutsche Reich“ durch die Reichsfluchtsteuer an denen, die es in die Emigration trieb, wie an denen, die blieben, weil ihnen das Geld für die Auswanderung fehlte oder weil sie ihre Heimat trotz allem nicht verlassen wollten. Davon erzählt die Ausstellung „Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933-1945“, die das Fritz Bauer Institut und der Hessische Rundfunk auf Einladung des Regionalmuseums Wolfhager Land vom 17. Januar bis 7. April 2013 in Wolfhagen zeigen.  

Eine Ausstellung von Prof. Dr. Wolfgang Dreßen im Stadtmuseum Düsseldorf hatte 1998 die fiskalische Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus erstmals in das Blickfeld einer weiteren Öffentlichkeit gerückt: „‘Aktion 3'. Deutsche verwerten jüdische Nachbarn" zeigte Unterlagen aus dem Bezirk der Oberfinanzdirektion Köln, doch die Ausstellung löste eine bundesweite Debatte aus. Sie warf einerseits erneut die Frage auf, was die deutsche Bevölkerung von der Ermordung der Juden gewusst hatte. Andererseits: Handelte es sich bei den nun veröffentlichten Dokumenten um Steuerakten, die dem Steuergeheimnis unterlagen oder handelte es sich um Akten der historischen Forschung?

Karl Starzacher, Hessischer Minister der Finanzen, wies die Finanzbehörden des Landes an, in ihren Beständen nach NS-Unterlagen zu suchen. Im Dezember 1998 übergab er im Rahmen einer Pressekonferenz vier Aktenkonvolute der ehemaligen Reichsfinanzverwaltung, die im Archiv der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main gelegen hatten, an Ignaz Bubis als Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, an Moritz Neumann als Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen sowie an Hanno Loewy als Direktor des Fritz Bauer Instituts in Hinblick auf ein am Institut bereits geplantes Forschungsprojekt. Seine Erkenntnisse und Fragen nach dem Studium der Akten formulierte er so: "Es wurden Tausende vertrieben, alles sprach dafür, dass sie nie mehr zurückkehren würden", doch Zweifel, weshalb die Opfer, die angeblich nur in die sogenannten "Ostgebiete" umgesiedelt werden sollten, keinerlei Möbel, Gebrauchsgegenstände oder Wäsche mehr brauchten, seien in der Finanzverwaltung offensichtlich nicht aufgekommen. Stattdessen habe sie die Einziehung und Verwertung von Vermögen der Deportierten „reibungslos und ohne jede Skrupel“ administriert. Große Nachfrage aus der Bevölkerung verzeichneten die Dokumente auch nach dem gerade erst beschlagnahmten Besitz der Deportierten. Bei den öffentlichen Versteigerungen ihrer letzten Habseligkeiten sei der Zulauf "außerordentlich groß" gewesen. Für Karl Starzacher ergab sich: "Sehr viele haben gewusst oder haben wissen können, was tatsächlich vor sich ging. Und nicht wenige haben von der Vertreibung der Juden profitiert." 

Auch in den hessischen Staatsarchiven lagen umfangreiche Aktenbestände zum Thema vor, aber es fehlte an einer zusammenhängenden Darstellung. 1999 stellte das Land Hessen die Mittel für ein Forschungsprojekt zur Verfügung, das vom Fritz Bauer Institut in enger Zusammenarbeit mit dem Hessischen Hauptstaatsarchiv durchgeführt wurde.

Die gesichteten Devisenakten, Steuerakten, Vermögenskontrollakten und Handakten jüdischer Rechtsanwälte zeigen, dass unterschiedliche Dienststellen in Finanzbehörden, Zollfahndung und Devisenstellen gemeinsam mit der Gestapo und anderen Organisationen in gesetzlich legalisierten Aktionen Sparbücher, Devisenguthaben und Wertpapierdepots jüdischer Bürgerinnen und Bürger einzogen. Sie belegten ihre Opfer mit Sondersteuern und Strafkontributionen und versteigerten öffentlich das Hab und Gut der aus Deutschland Geflohenen oder Deportierten. Die Ausplünderung war ein wichtiger Teil der Vernichtungsmaschinerie und zugleich Bestandteil der NS-Kriegswirtschaft. 

Das Forschungsprojekt des Fritz Bauer Instituts bildete die Grundlage für die gemeinsam mit dem Hessischen Rundfunk konzipierte und realisierte Ausstellung sowie den Film "Der große Raub" (hr, 2002).  

Die Tafeln im Hauptteil der Ausstellung entwickeln die Geschichte der Tätergesellschaft. Ein kurzer Rückblick auf die Zeit vor 1933 zeigt, dass die Nationalsozialisten bei ihrer Machtübernahme auf weit verbreitete antisemitische Klischees zurückgreifen konnten, insbesondere auf das Bild vom „mächtigen und reichen Juden“, der sein Vermögen mit List und zum Schaden des deutschen Volkes erworben habe. Vor diesem Hintergrund zeichnet die Ausstellung die Stufen der Ausplünderung und die Rolle der Finanzbehörden in den Jahren von 1933 bis 1941 nach. Im nachgebauten Zimmer eines Finanzbeamten können die Ausstellungsbesucher in Aktenordnern blättern: Sie enthalten u.a. Faksimiles jener Vermögenslisten, die Juden vor der Deportation ausfüllen mussten, um den Finanzbehörden die „Verwaltung und Verwertung“ ihrer zurückgelassenen Habseligkeiten zu erleichtern. Weitere Tafeln beschäftigen sich mit den kooperierenden Interessengruppen in Politik und Wirtschaft, aber auch mit dem "deutschen Volksgenossen" als Profiteur. Schließlich wird nach der sogenannten Wiedergutmachung gefragt: Wie ging die Rückerstattung in Hessen und Berlin vor sich, wie erfolgreich konnte sie angesichts der gesetzlichen Ausgangslage und der weitgehend ablehnenden Haltung der Bevölkerungsmehrheit sein?

Im Zentrum der Ausstellung stehen Vitrinen, die die Geschichten von Opfern aus ganz Hessen erzählen: von Erich Ochs aus Hanau, von Frieda, Julius, Leopold und Johanna Kahn aus Groß-Gerau, von Familie Popper aus Kassel, von Familie Grünebaum aus Espa und vielen anderen. 

Für jeden Präsentationsort erarbeiten die Ausstellungsmacher einen neuen regionalen Schwerpunkt, der sich mit der Geschichte des legalisierten Raubes in der Ausstellungsregion beschäftigt. So ist eine der neuen Vitrinen in Wolfhagen der Familie Kron gewidmet.

Salomon Kron, geboren am 9. November 1869, stammte aus einer in Wolfhagen alt eingesessenen, wohlhabenden Familie. Gemeinsam mit seiner Frau Emma und den beiden Kindern Theodor und Charlotte lebte er in einem mehrstöckigen Fachwerkhaus in der Mittelstraße 26, in dem das Ehepaar auch sein Manufakturwarengeschäft betrieb.

In den zehner und zwanziger Jahren trafen die Familie schwere Schicksalsschläge: Die Tochter Charlotte starb mit 11, Ehefrau Emma mit 48 Jahren.

Nach der „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten gelang Sohn Theodor, der in Wolfhagen und Arolsen zur Schule gegangen war, in Würzburg Medizin studiert und in Kassel als HNO-Arzt praktiziert hatte, im Sommer 1938 die Emigration in die USA. Salomon Kron blieb allein in Wolfhagen zurück. Nach der Pogromnacht 1938 war er gezwungen, sein Haus und seinen Grundbesitz zu verkaufen. Den Verkaufserlös erhielt er nicht: Er war, wie zu dieser Zeit bereits üblich, „auf ein Sperrkonto bei der Devisenbank einzuzahlen, über das nur mit Genehmigung der zuständigen Devisenstelle verfügt werden“ durfte.

Salomon Kron zog nach Kassel. Auch er wollte auswandern, doch am 11. April 1941 wurde er im Arbeitserziehungslager Breitenau inhaftiert. Trotz seines hohen Alters und einer Herzschwäche wurde er zu Arbeitseinsätzen in der Landwirtschaft herangezogen. Er starb wenige Monate später in Breitenau am 21. Juni 1941. 

 

Dr. Bettina Leder-Hindemith ist im Hessischen Rundfunk zuständig für Ausstellungen und Kuratorin des „Legalisierten Raubes“.