Neues über Bernard Wolf

Häftling im Außenlager Hailfingen/Tailfingen

von Volker Mall

Bernard Wolf als junger Mann

Wir haben ja schon häufiger über die schwierigen, manchmal langen, manchmal kurzen, überraschenden, von Zufällen reichen Wege und Irrwege bei den Recherchen für die KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen berichtet. Eher zufällig fanden wir jetzt die Tochter eines weiteren Opfers und mussten einsehen, dass wir uns in einem Punkt geirrt hatten: Es gab zwei Holocaust-Opfer mit dem Namen Bernard Wolf.

Anfang August 2012 meldete sich Anat Harel vom Jewish Historical Museum Amsterdam: „Können Sie bestätigen, dass Bernard Wolf (Rotterdam, 30 Dezember 1909) einer der Häftlinge in KZ Hailfingen gewesen ist, und dass er da verstorben ist? Ich fand die „Geschichte des KZ“ online und glaube, dass er auch zu dem Auschwitz-Natzweiler-Hailfingen Transport gehörte. Seine Tochter hat erst jetzt erfahren, dass ihr Vater nicht – wie sie immer dachte – in Auschwitz verstorben ist, sondern wahrscheinlich in Hailfingen. Sie möchte die Gedenkstätte besuchen, aber sie ist behindert und will erst sicher sein, dass Bernard Wolf in Hailfingen verstorben ist.“

28 Hailfinger Häftlinge kamen aus den Niederlanden, darunter 3 sog. Reichsdeutsche. Von fast allen ist nachweisbar, dass sie am 28. Oktober 1944 mit dem Transport von Auschwitz in Stutthof ankamen. 17 von ihnen starben in Hailfingen, fünf in Vaihingen/Enz, nachdem sie von Hailfingen dorthin transportiert worden waren, ein Häftling starb kurz nach der Befreiung in Dachau: Alfred Loë. Das Schicksal von 4 Häftlingen bleibt vorerst ungeklärt.

Nachweislich überlebt hat nur ein Häftling: Isaak de Rooij.

Wir suchten nach Angehörigen und waren relativ erfolgreich. Wir fanden Barend Koekkoeks Sohn Joop, Samuel Soesans Sohn Berry, Levie van Stratens Enkel Hans und Benjamin de Wolfs Neffe Leo A. de Wolf. Sie haben alle 2010 an der Einweihung der Gedenkstätte teilgenommen.

Wir hatten 2010 Joop Koekkoek die Liste der Häftlinge aus den Niederlanden geschickt mit der Bitte nach Angehörigen zu suchen. Er teilte uns mit, er habe Verwandte von Benjamin Magnus gefunden, die Kontakt mit uns aufnehmen wollten. Das ist bisher leider nicht geschehen. Ohne uns darüber zu informieren hatte er offensichtlich zudem die in Barendrecht (Südholland) wohnende Rebecca Wolf, die Tochter von Bernard Wolf, gefunden und ihr mitgeteilt, ihr Vater sei wie sein Vater in Hailfingen gewesen und dort gestorben.

Eine nochmalige Durchsicht aller unsere Listen und Dokumente ergab nichts Neues: Bernard Wolf taucht in unseren Unterlagen nur einmal auf: Wir haben nur den Eintrag im Nummernbuch (mit dem etwas anderen Geburtsdatum: 13. Dezember statt 30. Dezember): „41 008/ Holl. /Wolf, Bernard/ 13.12.1909.“

Außerdem hatten wir im Mémorial de la Shoah eine Häftlingskarte aus Drancy gefunden, zusammen mit dem Eintrag „WOLF Bernard. A été interné(e) à Drancy sous le matricule 23871. Est arrivé(e) le 13/06/1944. Reçu N° 5435 dans le carnet de fouilles N° 146.“ Auch wenn das etwas ungewöhnlich war, hatten wir angenommen, Bernard Wolf sei aus den Niederlanden nach Frankreich gekommen. Dass es sich dabei um einen anderen Bernard Wolf handelt, über den sonst nichts zu erfahren war, wissen wir jetzt.

Im Joods Digitaal Monument hatten wir diese Information gefunden: „Bernard Wolf, Rotterdam, 30 December 1909, died 30 April 1945 – Wife has survived the war. Three children living with their parents survived the war.“

Inzwischen ist auf der Website des Joods Digital Monuments dort zusätzlich eingetragen „died Hailfingen“. Das hat Joop Koekkoek veranlasst. Er hat außerdem Fotos von der Namenstafel in Reutlingen und vom Hailfinger Mahnmal eingegeben und den Text hinzugefügt: „Het lichaam van Bernard Wolf is in het massagraf aan de rand van het vliegveld terechtgekomen.“ Wie er zu dieser nicht belegbaren Annahme kam, wissen wir nicht.

 Rebecca Wolf hatte aus den Daten des Nationalen Instituts für Kriegsdokumentation und des Informationsbüros des niederländischen Roten Kreuzes folgendes erfahren:

Betrifft Nachforschungen nach dem Schicksal von Herrn Bernard Wolf, geboren in Rotterdam am 30. Dezember 1909.

Aus den Daten des Nationalen Instituts für Kriegsdokumentation und des Informationsbüros des niederländischen Roten Kreuzes geht folgendes hervor:
Bernard Wolf wurde am 28. Februar 1944 im Durchgangslager Westerbork eingeliefert. Am 3. März 1944 ist er auf Transport nach Auschwitz-Birkenau gesetzt, wo der Transport von 732 Personen am 5. März 1944 ankam. Bei Ankunft muss eine ziemlich strenge Auswahl stattgefunden haben: nur 179 Männer und 76 Frauen wurden auserwählt für Zwangsarbeit im Lager. Alle anderen wurden sofort vergast.

Von den weiteren Erfahrungen der „Auserwählten" dieses Transportes ist wenig bekannt. Allerdings ist klar, dass Bernard Wolf zu ihnen gehörte und wahrscheinlich bis 26. Oktober 1944 im Lager Auschwitz-Birkenau blieb. Aus den Daten ist zu ersehen, dass Bernard Wolf am 26. Oktober 1944 Auschwitz-Birkenau verlassen hat. Möglicherweise kam er ins Arbeitskommando Grünberg, weil zu diesem Zeitpunkt ein Transport von Männern Auschwitz-Birkenau verließ mit diesem Kommando des Konzentrationslagers Groß-Rosen als Ziel . Ende 1944 wurden alle Männer im Kommando Grünberg ins ebenfalls unter Groß-Rosen fallende Kommando Kittlitztreden transportiert. Obwohl nicht bestätigt werden konnte, dass Bernard Wolf zu der Gruppe in Kittlitztreden gehörte, kann dies angesichts der Übereinkunft im Abreisedatum aus Auschwitz-Birkenau nicht ausgeschlossen werden.

Darüber hinaus wurden keine konkreten Daten gefunden. Allerdings ist aufgrund summarischer Zeugenaussagen und Forschungen anzunehmen, dass Bernard Wolf Anfang 1945 noch teilnahm an Arbeitseinsätzen der KZ Natzweiler-Struthof, Dachau und Neuengamme. Das heißt in dem Teil Deutschlands, der letztendlich durch die Amerikaner befreit wurde.

Nach dem 30. April 1945 kommt der Name Bernard Wolf in keinem einzigen Bericht oder Register von Überlebenden mehr vor. Die niederländische Justiz hat als Todesdatum deswegen den 30. April 1945 festgestellt, irgendwo in Deutschland. Dieses Todesdatum wurde dann im Amtsblatt des 28. Februar 1952 veröffentlicht.

 

Das von Danuta Czech veröffentlichte Auschwitzkalendarium verzeichnet am 26. Oktober 1944 keinen Abtransport aus Auschwitz. Am 27. Oktober 1944 dagegen werden 3 Transporte aufgeführt:

·         „Aus dem KL Auschwitz I werden 301 polnische Häftlinge in das KL Buchenwald, Arbeitskommando Wansleben am See, überstellt“ (ISD, Ordner 13) 

·         „ Aus dem Durchgangslager des KL Auschwitz II werden 150 jüdische Häftlinge aus Theresienstadt in das KL Buchenwald, Arbeitskommando HASAG in Meuselwitz, überstellt.“ (ISD, Ordner 13)

„Aus dem Durchgangslager des KL Auschwitz II werden ungefähr 1500 jüdische Häftlinge in das KL Stutthof überstellt“ (Archiv des staatlichen Museums Auschwitz, Dpr.-Hd/1, Bl. 136,142).

Mit diesem Transport kamen 601 Häftlinge, darunter Bernard Wolf nach Hailfingen.

Woher die o.g. anderslautenden Informationen stammen, ist unklar.

So kann jetzt zu unseren „Porträts“ ein weiteres hinzugefügt werden:

 

Bernard Wolf

http://www.gegen-vergessen.de/Bernard Wolf wurde am 30. Januar 1909 in Rotterdam als Sohn von Ludovicus Wolf und Rebecca van West geboren.

 

Am 10. Juni 1931 hat er in Rotterdam Anna Nehemina Horsten, geboren am 27. Januar 1914 in Rotterdam, geheiratet. Er war Matrose.

Er kam als „Strafgefangener“ am 28. Februar 1944 in das Lager Westerbork in die Strafbaracke 67. Guido Abuys (Herinneringscentrum Kamp Westerbork) schrieb uns: “Probably he went into hiding and was arrested.” Rebecca Wolf dagegen erinnert sich: “Er war ein blonder Jude mit blauen Augen. Er wurde verhaftet, weil er den Stern nicht tragen wollte.”Am 3. März 1944 wurde er - zusammen mit den Hailfinger Häftlingen Luser Leib Klein, Werner Minden und Alfred Loë - von Westerbork nach Auschwitz deportiert, Ankunft dort am  5. März.1944, (Czech. Auschwitz-Kalendarium, S. 733). Er kam dann am 28. Oktober 1944 mit dem Transport von Auschwitz nach Stutthof und von dort am 19. November 1944 nach Hailfingen, wo er die Natzweiler Nummer 41 008 bekam.

Die niederländische Justiz hat im Februar 1952 als Todesdatum den 30. April 1945 „festgestellt“.

Wir haben keinen Hinweis darauf, dass Bernard Wolf in Hailfingen gestorben ist. Wir vermuteten, er könnte nach Bergen-Belsen deportiert worden sein. Auch das bleibt zumindest vorerst unklar. Bernd Horstmann (Bergen-Belsen) teilte uns am 9. August 2012 mit: „Leider konnte ich in den hier vorliegenden Materialien keinen Hinweis zu Bernard Wolf finden.“

 

Bernard Wolfs Eltern wurden am 26. Oktober 1942 in Auschwitz vergast.

Bernard Wolf hatte zwei Brüder:

- Martinus Wolf, geboren am 28. Juni 1915 in Rotterdam, gestorben am 2. Mai 1945 in einem Lager in Deutschland.

- Arie Wolf, geboren am 2.1.1922 in Rotterdam, ermordet am 12. Oktober 1942 in Mauthausen.

Er hatte eine Schwester: 

Roosje Wolf, geboren am 5. Januar 1928 in Rotterdam, vergast in Auschwitz am 31. Dezember 1942.

 

Rebecca Wolf wurde am 24. April 1938 in Rotterdam geboren, ihr Bruder Pieter Hermanus Wolf am 23. Juli 1933 in Rotterdam. Der zweite Bruder Ludovicus Wolf wurde am 11. Januar 1932 in Rotterdam geboren. Er starb 2007.

Bernard Wolfs Frau starb am 25. Mai 1979.

 

Rebecca und ihr Bruder sind die einzigen Überlebenden der Familie Wolf.

 

Die Informationen über die Familie stammen – wie einige der Fotos und Dokumente – von Rebecca Wolf.

Bei der Kommunikation haben geholfen:

Fabian Rothmund (Hilversum), Berry Soesan (Nimwegen) und Jens Kolata (Tübingen).

 

Volker Mall ist Mitglied der RAG Baden-Württemberg, Sektion Böblingen-Herrenberg-Tübingen von Gegen Vergessen – für Demokratie e.V.