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RAG Baden-Württemberg, Sektion Böblingen/Herrenberg/Tübingen: "Wir sind wandelnde Mahnmale"

von Thomas Volkmann

Poppy nannten ihn seine Enkelkinder liebevoll. Er betrieb ein Schnellrestaurant in den USA und ließ es nicht zu, dass Menschen in seiner Gegenwart hungerten. Dabei war Hunger in seiner Kindheit ein ständiger Begleiter. Die Rede ist hier von Erich Baum, einem polnischen Juden, der auch Gefangener im KZ-Außenlager Hailfingen/Tailfingen war. Seine Geschichte erzählt das Kinderbuch „Froim - der Junge aus dem Warschauer Ghetto“. Der bekannte Schauspieler Walter Sittler las daraus am 17. November in der Alten Turnhalle in Herrenberg.

„Dass auch Kinder im Holocaust gelitten haben, das wird häufig vergessen“, merkt Birgit Kipfer, Sprecherin der Sektion Böblingen/Herrenberg/Tübingen von Gegen Vergessen –

Birgit Kipfer findet es wichtig, dass „auch junge Menschen sich an diese schreckliche Vergangenheit erinnern und dass sich so etwas nicht wiederholt“. Zusammen mit ihrem Mann Heribert Kipfer hat sie das 1995 von David A. Adler geschriebene Kinderbuch „A Child From the Warsaw Ghetto“ aus dem Amerikanischen übersetzt. Pünktlich zwei Tage vor der Lesung mit dem bekannten Stuttgarter Schauspieler Walter Sittler, bei der der „Gäubote“ Mitveranstalter war, stand das mit fein gezeichneten Illustrationen von Karen Ritz bereicherte Buch, erschienen im Metropol Verlag Berlin, zur Auslieferung bereit.

Aus dem „Child“ ist in der Übersetzung nun „Froim – der Junge aus dem Warschauer Ghetto“ geworden. Als dieser „Froim“ sich im Jahr 1944 im KZ-Außenlager Hailfingen/Tailfingen befand, muss er gerade mal 18 Jahre alt gewesen sein. Das Buch beschreibt nun die Leidensgeschichte des jüngsten von sieben Kindern einer armen Familie aus Warschau. Erich Baum – so lautete Froims richtiger Name – kommt 1938, nach dem Tod seines Vaters, zunächst in ein Waisenhaus. Zwölf Jahre ist er da alt. Er erlebt mit, wie 400 000 Juden in engsten Verhältnissen im Warschauer Ghetto leben.

Später, beim Abtransport ins Lager nach Treblinka, hat er riesiges Glück, dass er die Binde mit dem Judenstern, die er zum Brotschmuggeln immer abgelegt hat, einmal nicht trägt. Wenige Jahre später in Auschwitz kann er geistesgegenwärtig bei der Selektierung ein zweites Mal einem sicheren Todesurteil entkommen.

Die Lesung mit Walter Sittler vor rund 200 Zuhörern – darunter viele Schüler aus 4. bis 7. Klassen – macht das Schicksal dieses Jungen wieder lebendig. Auch dank der großformatig auf eine Leinwand projizierten Illustrationen von Karen Ritz, die mit dem Autor Adler auch schon das Tagebuch der Anne Frank zielgruppengerecht für Kinder und Jugendliche aufbereitet hat. Der fesselnden Buchgeschichte in der Alten Turnhalle folgt aber noch eine kurze, von Harald Roth präsentierte Zugabe.

In einem Videointerview, das Erich Baum der Shoa-Foundation gab und über das Volker Mall und Harald Roth vom Verein KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen von seiner Existenz erfuhren, erzählt Baum, wie er sich durch tatkräftiges Arbeiten einmal zusätzlich einen dreiviertel Laib Brot verdiente – und wie der Bettnachbar diesen binnen zwei Minuten gierig verschlang. Nicht geschlagen zu werden, das war damals Baums Überlebensstrategie. Im Lager Dachau wurde er schließlich von den Amerikanern befreit, ging nach Israel, 1951 dann mit seinem Bruder nach Kanada, später in die USA.

Über sein Schicksal zu sprechen, das fiel Erich Baum lange Jahre schwer. Doch mehr und mehr wurde ihm bewusst, dass er wie alle anderen Überlebenden des Holocausts ein wandelndes Mahnmal ist. "Berührt mich, ich bin echt, ich war dort", sagt der 2006 verstorbene Erich Baum im Video und kann es nicht glauben, wie viele Menschen es gibt, die den Holocaust leugnen. „Gehen Sie ans Mahnmal der Gedenkstätte in Tailfingen, suchen Sie nach seinem Namen – er steht da", fordert die ehemalige SPD-Landtags-Abgeordnete Birgit Kipfer auf. Inzwischen hat der Herrenberger Johannes Kuhn, als Dokumentarist für den Verein KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen äußerst engagiert, die Tochter Baums in Kalifornien aufgespürt. Von ihr werden sicher bald weitere Details über die Jahre des "Jungen aus dem Warschauer Ghetto" in den USA zu erfahren sein.

David A. Adler: Froim - der Junge aus dem Warschauer Ghetto. Aus dem Englischen übersetzt von Birgit und Heribert Kipfer, hrsg. von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., Sektion Böblingen/Herrenberg/Tübingen.

Berlin (Metropol) 2011. ISBN 978-386331-061-5

 

Das Buch kann zum Preis von 12,- € bezogen werden bei Birgit Kipfer, Krebsbachweg 34, 71116 Gärtringen kipfer.rohrau(at)t-online.de

 

Der Artikel erschien zuerst im „Gäuboten“ am 19. November 2011. Wir danken für die freundliche Genehmigung der Verwendung.