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Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern?

von Andreas Oppermann

„Wie sage ich es dem Bürger?“ Das klingt sehr nach altem Obrigkeitsstaat und nicht nach partizipativer Demokratie. Im politischen Prozess kann es ja nur zum Teil darum gehen, wie die Politik oder die Verwaltung von oben nach unten kommuniziert. Wesentlich für die Kommunikation politischer Prozesse sind die medialen Voraussetzungen dafür. Wie wird bürgerliche Öffentlichkeit hergestellt und gibt es dabei gravierende Veränderungen? Drei Beispiele zeigen, wo die zentralen Probleme bei der Kommunikation von oben nach unten liegen.

Kommunikations-Versagen 1: Stuttgart 21:

Beim Versagen der politischen Kommunikation im Jahr 2010 bei Stuttgart 21 fällt vor allem auf, dass wesentliche Teile des Projekts nicht kommuniziert wurden. Im Kern ist Stuttgart 21 ein gigantischer Immobiliendeal: Durch den Bahnhofsumbau werden heutige Bahnanlagen überflüssig, sie sollen abgebaut und der frei werdende Baugrund privatisiert werden. Mit den Erlösen wiederum soll ein Teil des Bahnhofs finanziert werden. Da das Eigentum der Bahn nach wie vor öffentliches Eigentum ist, ist es  mehr als problematisch, wenn die Bürger von dieser Privatisierung nichts haben. Im Schlichtungsverfahren sind wichtige Aspekte nachgebessert worden. Jetzt geht es auch um erschwinglichen Baugrund für Stuttgarter und –  so viel ich weiß – sozialen Wohnungsbau. Wären solche Ideen frühzeitig entwickelt und kommuniziert worden, wäre das Projekt nicht nur als eines, das von oben für die Wirtschaft durchgesetzt wird, wahrgenommen worden.

Außerdem gab es ja den Wunsch, ein Bürgerbegehren durchzuführen. Dieses wurde abgeschmettert. Hätte es stattgefunden, wäre die Befriedung Stuttgarts schon lange vor dem im November durchgeführten Volksentscheid möglich gewesen. Ein Bürgervotum als Ergebnis einer demokratischen Debatte und Wahl sorgt für Akzeptanz. Insofern war es ein großer Fehler, dass der erste Anlauf zu einem Bürgerbegehren ins Leere lief.

Kommunikations-Versagen 2: Flughafen Schönefeld:

Drastisch ausgedrückt wurden die Menschen im Umfeld des Flughafens Schönefelds seit 1998 angelogen. Stimmen die Meldungen, dass das Brandenburgische Infrastrukturministerium schon seit 1998 weiß, dass es keinen parallelen Flugbetrieb auf den beiden neuen Startbahnen geben darf, dann trifft dieser Ausdruck zu. Denn nach EU-Recht ist ein Abknicken um 15 Grad Pflicht. Das Planfeststellungsverfahren ist aber vom Parallelbetrieb ausgegangen. Das hatte zwei dramatische Folgen: Zum einen durften sich viele vom Fluglärm Betroffene am Planfeststellungsverfahren nicht beteiligen. Sie wurden aufgrund einer falschen – wahrscheinlich sogar bewusst falschen – Annahme von den Auswirkungen des Flughafens ausgeschlossen. Sie haben ihre Partizipationsrechte verloren.

Wer politisch so agiert, darf sich über Widerstand nicht beklagen.

Kommunikations-Versagen 3: Hochspannungsleitungen für den Atomausstieg:

Als drittes Beispiel bietet sich derzeit das Thema Stromtrassen durch Deutschland an. Auch hier werden nicht die eigentlichen Ursachen benannt. Die politische Kommunikation ist von der Annahme geprägt, dass die Stromproduktion der Atomkraftwerke am gleichen Ort ersetzt werden muss. Und dies durch eine Infrastruktur, die weiter auf zentralen Erzeuger- und Verteilereinheiten beruht. Es wird keine Diskussion darüber geführt, ob das der einzig gangbare Weg wäre. Die Themen Dezentralisierung der Energieversorgung und der Energieproduktion spielen keine Rolle. Deshalb lässt sich sagen, dass es im Kern darum geht, die Interessen der vier großen Energiekonzerne ins Zeitalter der erneuerbaren Energien zu retten.

Kommunikation von oben, die das Engagement und den Sachverstand der Bürger ignoriert, produziert zwangsläufig schwer steuerbare Konflikte. Gerade beim Thema Energiewende sind Zehntausende Bürger  zu Experten geworden, weil sie selbst Stromerzeuger sind. Mit der Entscheidung zur eigenen Photovoltaikanlage oder der Beteiligung an einem Windpark haben sie sich mit der Thematik auseinandergesetzt. Gegen dieses enorm breite Wissen zu agieren sorgt zwangsläufig für Widerstand.

Demokratie lebt von der Beteiligung der Bürger. Diese aktive Form der Teilhabe setzt Wissen um Zuständigkeiten und Verfahren voraus. In einer demokratischen Gesellschaft, in der es eine Vielzahl von Entscheidungsebenen gibt, muss der mündige Bürger in der Lage sein, sich immer neues Wissen selbst aktiv anzueignen. Um sich ein Bild von den Entscheidungsstrukturen, den politischen Akteuren und ihren Netzwerken machen zu können, muss er zudem seine kommunalen Mandatsträger, Abgeordneten, kommunalen Wahlbeamten, Minister und Kommissionsmitglieder kennen.

Eine bürgerliche Öffentlichkeit bedarf deshalb funktionierender Medien. In der Vergangenheit übernahmen für bundes- und landespolitische Themen vor allem die überregionalen Tageszeitungen, die Nachrichtenmagazine und der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk die Funktion, die Bürger mit Informationen und Hintergründen zu versorgen, die zu einer Teilhabe am politischen Leben notwendig sind. Auf kommunaler und regionaler Ebene oblag diese Funktion bis dato den regionalen und lokalen Tageszeitungen. Auch sie nahmen dabei immer die Landes-, Bundes- und Europapolitik ins Visier – und zwar durch eine starke regionale Optik.

Diese Beschreibung wurde im Präteritum verfasst. Denn eine funktionierende bürgerliche Öffentlichkeit ist in Deutschland keine Selbstverständlichkeit mehr. Mehrere Faktoren tragen dazu bei. Wesentlich ist die Verknüpfung des wirtschaftlichen Bedeutungsrückgangs der Tageszeitungen und des steigenden Desinteresses der Leser an ihnen. Ein Blick nach Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass die klassische Medienlandschaft dort nicht mehr in der Lage ist, qualitativ guten Journalismus auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene aus einer Redaktion anzubieten. Mecklenburg-Vorpommern hat schon heute keine Redaktion mehr, die Lokales und Mantel vollständig aus einer Hand liefert. Die Ostsee Zeitung erhält ihren Mantel von der Mutter aus Kiel. Die Schweriner Volkszeitung hat die Mantelredaktionen in eine eigene Tochtergesellschaft ausgegliedert, die wiederum Inhalte von der Mutter in Flensburg übernimmt. Der Nordkurier schließlich kauft seinen Mantel bei der Tochtergesellschaft der Schweriner Volkszeitung komplett ein. Dadurch sinkt die journalistische Qualität und in Folge auch das Interesse der lokalen Öffentlichkeit an den Medien – und der Medien an komplexen, für eine funktionierende Demokratie aber notwendigen Sachverhalten.

Dieser Befund ist in Mecklenburg-Vorpommern besonders gravierend, weil dort die anhaltende Bevölkerungsabwanderung und das sinkende Engagement der Verlage einhergehen. Aber auch in anderen Regionen Deutschlands sind Verlage nicht mehr willens oder in der Lage, quantitativ und qualitativ gut besetzte Redaktionen vorzuhalten. Diese Prozesse lassen sich übrigens auch in den Niederlanden und in Frankreich ebenso wie in Polen beobachten.

Einige Zahlen verdeutlichen das. In den vergangenen zehn Jahren sind Auflagenrückgänge von 30 Prozent und mehr bei ostdeutschen Tageszeitungen keine Seltenheit. Das heißt, dass in mehr als zwei Dritteln der Haushalte keine Zeitung mehr gelesen wird. Gleichzeitig mussten Rückgänge der Anzeigenerlöse teilweise um mehr als 50 Prozent verkraftet werden. Als Kompensation wurden die Abonnementspreise deutlich erhöht. Motto: Hauptsache die Erlössteigerung ist größer als der Verlust durch den Abgang an Abonnenten. Dadurch sinkt die Auflage weiter – ein Teufelskreis, der aus anderweitigen Erlösen wie etwa aus Online-Aktivitäten nicht durchbrochen werden kann.

In der Folge ist die Anzahl der Mitarbeiter stark gesunken. Bei einigen Blättern im Osten sind in den vergangenen Jahren mehr als ein Drittel der Redakteursstellen weggefallen.

Da aber, wo Lokalredaktionen zusammengelegt und ausgedünnt werden, kann weniger und qualitativ schlechter über die betroffenen Orte berichtet werden. Gleichzeitig schwindet die Fähigkeit der Redaktionen, zu reflektieren, welche Entscheidungsebene für welche Auswirkungen vor Ort verantwortlich ist. All dies verstärkt noch den Bedeutungsschwund der Tageszeitung als flächendeckendes Medium.

Verstärkt wird dieser Prozess durch die sich ändernde Nutzung von Medien. Vereinfacht lässt sich sagen, dass jüngere Menschen weniger Zeitung lesen. Sie sind stärker im Internet aktiv. Dabei nutzen sie soziale Netzwerke auch zur Informationsbeschaffung. Traditionelle Medienhäuser sind in diesem Bereich in der Regel schlecht aufgestellt. Tageszeitungen sind meist nicht in der Lage den Reichweitenrückgang durch eigene Online-Aktivitäten zu kompensieren - weder inhaltlich noch wirtschaftlich. Dies liegt vor allem daran, dass die Zeitung und deren Inhalte gezielt geschützt werden. Sie sollen aus strategischen Erwägungen möglichst nicht kostenfrei in gleicher Qualität ins Netz gestellt werden. Außerdem sind die Portale der Tageszeitungen nicht darauf ausgelegt, die Vernetzung mit der Region zu fördern, da regionale Blogs und andere Webseiten als Konkurrenz gesehen werden.  

Diese sich auflösende Funktion der Regionalzeitung kann bislang von keinem anderen Medium kompensiert werden. Das liegt vor allem an der unzureichenden Ertragssituation im Lesermarkt und im Anzeigenmarkt. Allenfalls die über Gebühren finanzierten Öffentlich-Rechtlichen Sender können es sich leisten, unabhängig vom Markt ihre publizistische Aufgabe wahrzunehmen. Aber diese Sender sind nicht lokal gebunden. Sie berichten nur punktuell und oft auch nur bei sogenannten „Aufreger-Themen“. Kontinuität im Lokalen wird von ihnen kaum gewährleistet. Aber genau diese Funktion muss erfüllt werden, um Demokratie überall in Deutschland am Leben zu halten.

Das einzige Ersatz-Medium, das sowohl die analytische Tiefe als auch die notwendige Reichweite erzielen könnte, wäre eine fundierte Internet-Seite, die andere lokale Seiten nicht als Konkurrenz, sondern als Partner wahrnimmt. Das Internet stellt nicht nur einen breiten Informationskanal mit geringen Vertriebskosten zur Verfügung. Es bietet auch die Möglichkeit, die Bürger aktiv in die Herstellung einer partizipativen Öffentlichkeit einzubeziehen. Dazu bietet das Internet nicht nur die bekannten Kommentar- und Diskussionsfunktionen, sondern auch das Potenzial, Bürger auch in peripheren Regionen aktiv in die kritische Berichterstattung einzubeziehen.

Aber trotz der deutlich günstigeren Vertriebskostenstruktur wird es gerade in wirtschaftlich gebeutelten Regionen auf absehbare Zeit keine Möglichkeit geben, die notwendigen Erlöse zu erzielen, um solch ein Internetangebot mit qualitativ hochwertigen redaktionellen Inhalten zu finanzieren, die auch in der Breite ein Minimum an Information und Kommunikation für das Funktionieren unserer Demokratie absichern. Deshalb ist es sinnvoll, eine Debatte anzustoßen, wie eine Finanzierung durch Stiftungen oder nach einem Gebührenmodell wie beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk aussehen könnte.

 

Andreas Oppermann ist Redaktionsleiter beim rbb in Frankfurt/Oder. Der Artikel basiert auf einem Vortrag  vom 24. September 2011 im Rahmen des Workshops „Demokratische Beteiligungsformen auf dem Prüfstand“ in Kassel.