Polizei.Gewalt. – Bremens Polizei im Nationalsozialismus

von Ulrich Mäurer

Polizei und SA bewachen verhaftete jüdische Männer im Gefängnis Oslebshausen. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Nachdem die Ausstellung „Polizei.Gewalt. Bremens Polizei im Nationalsozialismus“ im Mai 2011 in der Bremer Stadtbibliothek mit großem Erfolg gezeigt wurde, war sie in den Monaten Oktober bis Dezember noch einmal im Landesarchiv Bremen zu sehen. Sie macht deutlich, dass auch die Bremer Polizei ein wesentliches Element des nationalsozialistischen Systems war. Gewalt ging keinesfalls nur von der Geheimen Staatspolizei aus. Die Ausstellung zeigt, dass alle Sparten der Polizei in Bremen mit an der Durchsetzung der Ziele des NS-Staates arbeiteten. Und dies geschah nicht widerstrebend oder aus Zwang, sondern in der Regel freiwillig oder aus Opportunismus.

Jahrzehntelang hat sich die Polizei ihrer Rolle im Nationalsozialismus nicht gestellt. Das dunkle Kapitel wurde auch von der Politik nicht aufgearbeitet. Das änderte sich Anfang 2010. In einer Projektgruppe haben wir begonnen, gemeinsam die Ausstellung „Polizei. Gewalt.“ zu konzipieren.

Die Ausstellung zeigt eindrucksvoll und ungeschönt, dass der Wandel der Polizei in eine demokratische Institution in der Weimarer Republik nicht gelungen ist. Obwohl sie nach der Reichsverfassung gegen jeden Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung hätte vorgehen müssen, steht für die Polizei der Feind aber weiterhin links. Folglich beobachtet die politische Polizei in Bremen auch die Linke stärker als die Rechte.

Diese Haltung begünstigt dann ebenso das Vorgehen der Polizei nach der Machtübernahme Hitlers. Wen immer die Nationalsozialisten als ihren Feind bezeichnen, der ist auch der Feind der Polizei. Dazu gehören die politischen Gegner wie Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaften, aber auch andere demokratische und republikanische sowie kirchliche Organisationen, Verbände und Vereine. Das Parteihaus der KPD 1933 wird polizeilich beschlagnahmt und der SA übergeben. Bald wird das „Gossel-Haus“, wie es jetzt heißt, zur Stätte brutaler Misshandlungen durch die SA, bevor die Gefangenen der Gestapo übergeben werden. Aber auch Menschen, die nicht in die „Volksgemeinschaft“ passen, werden von der Polizei verfolgt: Homosexuelle, „Asoziale“, sogenannte Berufsverbrecher, Trinker, Arbeitsscheue und „asoziale“ Großfamilien.

Viele polizeiliche Aktionen werden durch anonyme Denunziationen ausgelöst, zu denen die Bevölkerung anlässlich der Polizeiausstellung von 1936 geradezu aufgefordert wird. Die „Bremer Nachrichten“ schreiben, ein Polizeibeamter könne „umso erfolgreicher arbeiten… je mehr Auskunftspersonen zur Verfügung stehen. Hier kann die Bevölkerung ganz wesentlich mithelfen. Alle verdächtigen Beobachtungen sollte man der Kriminalpolizei mitteilen (die Namen der Beobachter werden natürlich geheim gehalten).“

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten sind die Polizeigefängnisse bald überfüllt. Daraufhin lässt der neue nationalsozialistische „Polizeiherr“ Theodor Laue mit Billigung des Bremer Senats in Bremen-Findorff ein erstes Konzentrationslager einrichten. Das „KZ-Mißler“ ist 1933 eine Einrichtung der Polizeidirektion, in der die Häftlinge unter Aufsicht der Gestapo zunächst von SS-Hilfspolizei, ab Mai 1933 von SA-Männern bewacht werden. Die Aufsicht über das Lager führt ein Polizeimajor. Die Gefangenen sind bei den Verhören oft den Drohungen und Misshandlungen der Polizeibeamten ausgesetzt. Im Juli 1934 wird das letzte Bremer Konzentrationslager geschlossen – viele Häftlinge kommen in „reguläre“ Konzentrationslager oder warten in den Untersuchungsgefängnissen der Justiz auf ihre Hochverratsprozesse.

Die Bremer Polizei schützt die Bürger nicht mehr vor Übergriffen der Nationalsozialisten. So schreitet sie auch nicht ein, als am 1. April 1933 die SA auch in Bremen die Bevölkerung zum Boykott jüdischer Geschäfte aufruft, Schaufensterscheiben mit Parolen beschmiert und Menschen daran hindert, in diesen Geschäften zu kaufen.

In der Pogromnacht am 9. November 1938 ermorden SA-Männer in Bremen fünf Menschen. Sie zünden außerdem die Synagoge an, schänden den Friedhof, verwüsten ein jüdisches Altersheim und dringen in Wohnungen ein. Die Ordnungspolizei hindert die SA nicht in ihrem Tun. Die Feuerwehr löscht nicht den Brand der Synagoge, sondern schützt nur die Nachbarhäuser vor den Flammen. Am Morgen des 10. Novembers werden 162 jüdische Männer in das Gefängnis in Oslebshausen getrieben; der Zug wird von uniformierten Schutzpolizisten begleitet und gesichert.

Für die Deportation der Bremer Juden war die Gestapo verantwortlich. Unterstützt wurde sie jedoch von allen Sparten der Polizei und Verwaltung: Gerichtsvollzieher stellen die Deportationsbefehle zu, Schutzpolizisten bewachen die Opfer an den Sammelplätzen, Finanzbeamte verwerten das geraubte jüdische Vermögen zu Gunsten des Reiches. Am 18. November 1941 geht ein erster Transport mit mehreren hundert Juden aus Bremen nach Minsk ab, begleitet und bewacht von Beamten der Ordnungspolizei. Im Juli 1942 wird ein großer Teil der aus Bremen Deportierten ermordet. Ende Juli 1942 organisiert die Gestapo einen weiteren Transport von mehr als 160 Menschen nach Theresienstadt und Auschwitz. Die meisten kommen um. Noch am 14. Februar 1945 verlässt ein letzter Transport den Bremer Bahnhof. Glücklicherweise überleben fast alle dieser Deportierten.

Die Verfolgung und Deportation von Sinti und Roma ist wie das „Zigeunerwesen“ zur Gänze Aufgabe der Kriminalpolizei. Im Mai 1940 organisiert Bremens Kriminalpolizei den ersten Transport von Sinti und Roma nach Auschwitz. 1000 Deportierte stammen aus dem Bereich der Kripoleitstellen Bremen und Hamburg. Im März 1943 geht ein weiterer Transport vom Bremer Schlachthof nach Auschwitz. Bremer Polizisten begleiten ihn – bis zur Rampe in Auschwitz. Anfang 1944 werden die letzten in Bremen noch lebenden Sinti von der Kriminalpolizei vorgeladen und vor die Alternative gestellt sich „freiwillig“ sterilisieren zu lassen oder nach Auschwitz deportiert zu werden.

Auch die Angehörigen der in Bremen aufgestellten und im Ausland eingesetzten Polizeibataillone waren willfährige Helfer der Naziherrschaft. Offiziere und Mannschaften rekrutierten sich wesentlich aus Kräften der Schutzpolizei und der Polizeireserve.

Die Bremer Bataillone beteiligten sich während des Zweiten Weltkriegs am Holocaust. Das Bataillon 303 war zum Beispiel dabei, als Einsatzgruppen der SS in der Schlucht von Babij Jar in der Ukraine im September 1941 weit über 33 000 jüdische Frauen, Männer und Kinder erschossen. Die Männer des Bataillons 105 haben in der Sowjetunion Juden, Partisanen und Kommunisten getötet, bevor sie sich in den Niederlanden an der Deportation der niederländischen Juden im Zuge der „Endlösung“ beteiligten. Sie haben die Opfer zusammengetrieben, bewacht und schließlich in den Zügen bis nach Auschwitz „begleitet“. Es kann kein Zweifel bestehen: Die Polizisten wussten, was sie taten.

Eines ist uns heute klar: Wer sich mit Schuld und Verantwortung der Polizei im Nationalsozialismus auseinandersetzt, muss  auch Antworten auf die Fragen finden: Was geschah mit den Tätern nach dem Ende des Nationalsozialismus? Wir wissen heute: Viele machten wieder das, was sie vorher auch taten: Polizeiarbeit.

In Bremen wird diesen Fragen weiter nachgegangen. Für 2013 ist der zweite Teil der Polizei-Ausstellung geplant. Er wird sich mit der Zeit nach 1945, mit der Demokratisierung der Bremer Polizei beschäftigen.

Auch die Rolle der im Ausland eingesetzten bremischen Polizeibataillone wird weiter ein Thema sein. Geplant ist ein Besuch einer Bremer Delegation im Durchgangslager Westerbork in den Niederlanden, von wo aus die Juden in die Vernichtungslager deportiert wurden.

Um die demokratische Polizei heute, ihr rechtsstaatliches Handeln und ihre Bürgernähe wertschätzen und für die Zukunft sichern zu können, ist die Aufarbeitung der Vergangenheit wichtig. Ziel ist es, die Geschichte der Polizei zum Bestandteil der politischen Bildung und vor allem auch der Ausbildung der jungen Beamtinnen und Beamten zu machen. Sie müssen wissen, wie Polizei in Bremen, in Deutschland Teil eines verbrecherischen Systems wurde.

Zur Ausstellung ist ein Begleitband unter dem Titel „Polizei.Gewalt.“ erschienen. Die Rolle der Polizeibataillone beleuchtet Karl Schneider in seinem 2011 erschienenen umfangreichen Werk „Auswärts eingesetzt – Bremer Polizeibataillone und der Holocaust“. Beide Bücher sind im Buchhandel erhältlich. Der Begleitband zur Ausstellung kann auch über den Senator für Inneres und Sport bezogen werden.

Ulrich Mäurer ist Senator für Inneres und Sport der Freien Hansestadt Bremen.