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Vortrag mit Fotos + Gespräch: "Zwischen Lüge und Zorn - oder die Kluft zwischen Propaganda und Realität"

Mittwoch, 26. Oktober 2022, 18:00 Uhr

Die Teilung Deutschlands, Europas und die bipolare Welt von 1945 bis 1989 hat Spuren hinterlassen, die unser heutiges Leben beeinflussen. Dieser Vortrag erzählt vom Leben der Menschen im "real existierenden Sozialismus" östlich des Eisernen Vorhangs. Wie funktioniert eine Diktatur? Wie wirken die von staatlich kontrollierten Medien verbreiteten Lügen auf Menschen, die weder Rede- noch Meinungsfreiheit besitzen? Welche Auswirkungen haben diese auf das allgemeine Bewusstsein? Wo können sich die Menschen die notwendigen Informationen holen, die für die Orientierung im täglichen Leben notwendig sind? Wie fanden die Menschen einen Weg hinaus aus diesen Zwängen?

Der Fotograf, Zeitzeuge und Autor Siegfried Wittenburg erzählt anhand eigener Fotografien aus seinem persönlichen Leben in einer Diktatur namens Deutsche "Demokratische Republik", eingebettet im sowjet-russischen Herrschaftsbereich Moskaus.

Der Vortrag besteht aus etwa 150 authentischen Fotografien, die der Autor und Referent selbst angefertigt hat, nicht ohne mit dem System zu kollidieren. Er erzählt aus eigenem Erleben vom Alltag in einer Diktatur und was es bedeutete, sich dem System anpassen zu müssen, oder auch nicht. Eine Flucht kam für ihn nicht in Frage. So entwickelte er ein Gespür für die Menschen, die sich dem Anpassungsdruck subtil verweigerten und Wege suchten, der Unterdrückung zu entgehen. In den Fotografien stecken skurrile Geschichten, die den Staat entlarven, doch sie erzählen auch von verantwortungsbewussten Menschen, die trotz des menschenfeindlichen Systems aufrecht durch ihr Leben gegangen sind. Am offensichtlichen Ende des Staates und seiner Ideologie waren es vor allem Jugendliche, die sich für ihre eigene Zukunft engagierten - mit der Folge, dass die Mauer ihren Sinn verlor und zerbrach.

Der Referent:
Siegfried Wittenburg (geb. 1952 in Warnemünde) absolvierte eine Ausbildung zum Funkmechaniker. Er arbeitete als Service-Mechaniker im VEB Schiffselektronik Rostock und erlebte dort den real existierenden Sozialismus. Im "Kollektiv der sozialistischen Arbeit" wehrte er sich gegen den ideologischen Druck. Als er zur Universität Rostock wechselte und als Techniker im Team eines Herzchirurgen Menschen erlebte, die trotz des Systems aufrecht durchs Leben gingen, war sein Weg als Künstler bereits vorbestimmt. Denn seine Leidenschaft galt der realistischen Fotografie. Schonungslos stellte er die "Unzulänglichkeiten" des Systems dar und präsentierte sie "geschickt der Öffentlichkeit", wie das Ministerium für Staatssicherheit feststellte. 1986 geriet er als Leiter des jugendlichen Fotoklubs Konkret ins Visier der Stasi, weil er sich für einen Freund gegen Willkür und Zensur der SED einsetzte. Den Jugendlichen gelang es, sich zu behaupten. Gegen Wittenburg wurde eine Operative Personenkontrolle (OPK) eingeleitet, um ihn als Staatsfeind zu entlarven. Doch die Berichte des wichtigsten Inoffiziellen Mitarbeiters (IM) waren anderer Natur und haben die Vermutung nicht bestätigt. So entging er in diesem Fall stärkeren Repressalien. Unbeirrt machte er weiter.
Seine Aufnahmen sind nicht nur von hohem künstlerischem Wert, sondern sie dokumentieren einzigartig den Untergang der DDR, die friedliche Revolution und die merkwürdigen Jahre danach. Er veröffentlichte mehrere Bücher, ist Gastautor bei SPIEGEL Geschichte und führt deutschlandweit Ausstellungen durch. Sie zählen zigtausende Besucher.