Erinnerungsort Topf & Söhne

Erstmals wird die Mittäterschaft der Industrie am Holocaust erinnert

von Annegret Schüle, Rebekka Schubert und Mieke Hagenah

„Stets gern für Sie beschäftigt,…“ bekundete das Unternehmen Topf & Söhne gegenüber der Waffen-SS in Auschwitz. Foto: Kastner Pichler Architekten

Der in Erfurt 2011 eröffnete Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz hat in der europäischen Erinnerungslandschaft ein einzigartiges Potential. Er ist die einzige historische Stätte, an der an einem ehemaligen Firmensitz die Mittäterschaft der privaten Wirtschaft am Massenmord in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern gezeigt und belegt wird.

http://www.gegen-vergessen.de/http://www.gegen-vergessen.de/Die Firma J. A. Topf & Söhne (gegr. 1878) produzierte ab 1914 Feuerbestattungsöfen, die eine besonders pietätvolle Einäscherung ermöglichten und sehr erfolgreich waren. Gleichwohl blieb dieser Produktionsbereich immer klein und erbrachte nur wenige Prozente des Umsatzes im Gesamtunternehmen. Als die SS ab 1939 Öfen verlangte, mit denen die Leichen der Ermordeten in den Konzentrationslagern beseitigt werden sollten, entwickelte und baute Topf & Söhne auch diese Öfen. Sie widersprachen allen gesetzlichen Vorgaben und waren wie Anlagen für die Kadaververnichtung konstruiert. Topf & Söhne lieferte in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau, Auschwitz Stammlager, Mauthausen, Gusen und Groß-Rosen. 1942 bauten die Nationalsozialisten Auschwitz-Birkenau zum Zentrum des Völkermordes an den europäischen Juden und an den Sinti und Roma aus. Nun konzipierte die SS die Krematorien wie „Todesfabriken“: Tötung und Leichenbeseitigung wurden unter einem Dach zusammengefasst und sollten ohne Unterbrechung, möglichst schnell, billig und brennstoffsparend vonstattengehen. Um dies zu bewerkstelligen, war die SS auf zivile Experten angewiesen, die keine Skrupel hatten, sich in die praktischen Probleme der Vernichtung hineinzudenken. Die Erfurter Firma hat bei Aufbau und Betreibung dieser Krematorien eine entscheidende Rolle gespielt. Erst die leistungsstarken Öfen von Topf & Söhne erlaubten der SS, die Spuren ihres Menschheitsverbrechens zu verwischen. Und nur die Lüftungstechnik von Topf & Söhne ermöglichte in den nicht auf natürlichem Wege zu entlüftenden Gaskellern, dass diese im Dauerbetrieb als Mordeinrichtungen betrieben werden konnten. Weit über eine Million Menschen wurden in Auschwitz ermordet: über 960.000 Juden, bis zu 75.000 Polen, 21.000 Sinti und Roma, 15.000 sowjetische Kriegsgefangene sowie 15.000 Menschen verschiedener Nationalität. http://www.gegen-vergessen.de/http://www.gegen-vergessen.de/

Gedächtnis-, Lern- und Begegnungsort

Der Erinnerungsort Topf & Söhne entstand aus einem Forschungsprojekt der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und arbeitet mit der Stiftung als dauerhaftem Kooperationspartner zusammen. Eröffnet wurde er am 27. Januar 2011 und damit 66 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Selbst erkämpft, regt er die Menschen in Erfurt und weit darüber hinaus heute an, sich mit einem Aspekt der lokalen Industriegeschichte zu beschäftigten, der in seiner Bedeutung weit über die stadthistorischen Dimensionen hinausgeht.

Das ehemalige Verwaltungsgebäude der Firma, in dem heute der Erinnerungsort untergebracht ist, wurde bei der Sanierung durch das Büro Kastner Pichler Architekten aus Köln wie ein Exponat behandelt und in Abstimmung mit der städtischen Denkmalpflege gestaltet. Im Haus sowie auf dem Vorplatz wurden historische Spuren sichtbar gemacht. Ein gusseisernes Modell im Maßstab 1:50 zeigt das Firmengelände 1944/45. In der von Hans Dieter Schaal entworfenen Innenausstellung werden Schlüsseldokumente zum Holocaust aus dem Betriebsarchiv sowie aus Auschwitz und Moskau gezeigt. Fotos und Sachzeugnisse dokumentieren die Firmengeschichte. Berichte von Häftlingen bezeugen, was den Menschen in Auschwitz angetan wurde. In Buchenwald 1997 geborgene Aschekapseln und die zu Lumpen zerschlissene letzte Habe von Häftlingen auf den Todesmärschen von Auschwitz-Birkenau nach Buchenwald werden als stumme Zeugnisse gezeigt. Die Ausstellung thematisiert auch die Nachgeschichte der Leugnung, Verdrängung und Strafverschonung sowie die späte und erkämpfte Erinnerung bis zur Eröffnung des Erinnerungsortes.

In der Außenausstellung, die auch das Gelände des hinter dem Verwaltungsgebäude neu errichteten Fachmarktzentrums einbezieht, berichten Stelen von den Produktionsorten der KZ-Öfen und der Lüftungstechnik − mitten im heutigen Geschäftsalltag, so wie auch damals die Verbrechensbeteiligung im betrieblichen Alltag geschah. Die Qualität der Gestaltung des historischen Ortes und der Umgang mit den baulichen Spuren der Geschichte ist 2011 mit zwei Architekturpreisen gewürdigt worden: dem Label „best architects 12“ in Gold, der unter fast 300 Arbeiten aus dem deutschsprachigen Raum nur neun Mal vergeben wurde, und einem Preis im Wettbewerb „eins zu eins“ des BDA Thüringen.

Vor dem Hintergrund eines gut erforschten und dokumentierten historischen Geschehens bietet der Erinnerungsort einen Raum zur Reflexion aktueller gesellschaftlicher Fragen. Insbesondere der Themenkomplex „Arbeit und Verantwortung“ ist ein wichtiger und innovativer Zugang in der von Gedenkstätten angestrebten Menschenrechtsbildung. Die Betrachtung von J. A. Topf & Söhne als „normales Unternehmen“ erleichtert es, die Jugendlichen zu motivieren, in die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Holocaust  einzusteigen. Während im Geschichtsunterricht eher Makrogeschichte dominiert, steht bei der Beschäftigung mit der Firmengeschichte von Topf & Söhne die Betrachtung einzelner Personen in ihrem gewöhnlichen Alltag im Zentrum.

http://www.gegen-vergessen.de/http://www.gegen-vergessen.de/http://www.gegen-vergessen.de/http://www.gegen-vergessen.de/http://www.gegen-vergessen.de/Das Projekt Lebendige Erinnerung

Seit seiner Eröffnung verfolgt der Erinnerungsort das Projekt Lebendige ErinnerungDas Team des Erinnerungsortes wurde durch die Begegnung mit der ungarischen Auschwitz-Überlebenden Éva Pustzai inspiriert, ihr und anderen Überlebenden der nationalsozialistischen Vernichtung die erste eigene Sonderausstellung zu widmen: „Unersetzbar. Begegnungen mit Überlebenden“. Die Ausstellung porträtiert fünf Überlebende und erinnert an ihre ermordeten Familienmitglieder. Esther Bejarano und Éva Pusztai, eine deutsche und eine ungarische Jüdin, haben das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überlebt. Günter Pappenheim war als Sohn eines ermordeten Sozialisten selbst im KZ Buchenwald inhaftiert. Die Sintezza Waltraud Reinhardt verlor als Kind ihre Eltern. Sie erzählt in der Ausstellung zum ersten Mal ihre Geschichte. Reinhard Schramm, ein deutscher Jude, überlebte als Kleinkind mit seiner Mutter im Versteck. Ihr Leben bezeugt verschiedene Dimensionen der nationalsozialistischen Verfolgung, des Widerstands und der Rettung. Eigens für die Ausstellung geführte Filminterviews, Dokumente, Fotos und Gegenstände aus persönlichem Besitz berichten von Kindheit, Deportation, Lagererfahrungen und dem Schicksal der Familien. In der Ausstellung formulieren die Überlebenden ihr Vermächtnis an die nachfolgenden Generationen. Der Kern ihrer Botschaft ist die Grundsolidarität des Menschen mit dem Menschen als Substanz für eine weltoffene, menschliche Zukunft.

Eine umfangreiche Darstellung der Firmengeschichte von J. A. Topf & Söhne liefert die 464 Seiten starke Monographie "Industrie und Holocaust. Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz" von Annegret Schüle. Der Zeithistoriker Lutz Niethammer urteilte über dieses Buch: "Hier liegt eine ungemein eindringliche Untersuchung einer auf beklemmende Weise beispielhaften Mitwirkung am Holocaust vor. Sie wird auf lange Zeit die abschließende Untersuchung zu Topf Söhne und der geeignete Begleitband für den Gedächtnisort in Erfurt werden." 2012 wurde das Buch als Habilitationsschrift von der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt angenommen.

PD Dr. Annegret Schülerin ist Leiterin, Rebekka Schubert Gedenkstättenpädagogin und Mieke Hagenah wissenschaftliche Volontärin am Erinnerungsort.