Auf den Pfaden der Friedlichen Revolution

Bildungsfahrt der Stadt Mörfelden-Walldorf nach Erfurt

Die „Friedliche Revolution“ in der ehemaligen DDR vor 30 Jahren war das Thema der diesjährigen Bildungsfahrt der Stadt Mörfelden-Walldorf. Bei bestem Wetter machten sich 50 Bürgerinnen und Bürger der Stadt – unter ihnen auch Bürgermeister  Heinz-Peter Becker (SPD) -  am Sonntag, den 2. Juni auf, um die thüringische Landeshauptstadt Erfurt zu besuchen.

Die von Klaus Müller, dem Sprecher der Regionalen Arbeitsgruppe Südhessen des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. mit Unterstützung von Martina Maurer, Brigitte Kosch und Thomas Krüger vom Hauptamt der Stadt organisierte Fahrt mit dem Bus führte  an der Wartburg – Symbol einer ehemals gemeinsamen hessisch-thüringischen Geschichte - vorbei auf den Erfurter Domplatz.

Bewegende Teilnahme eines ehemaligen Häftlings

Der Vormittag war der Besichtigung der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße gewidmet, dem einstigen Hauptgebäude und Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit (Stasi) im Bezirk Erfurt. In zwei Gruppen wurden die drei Ebenen der Ausstellung besichtigt: Der ehemalige Hafttrakt, wie er seit 1990 unverändert erhalten geblieben ist, ein Stockwerk, das Einblicke in die DDR der Jahre 1949 bis 1989 („Die Diktatur“) gibt, und ein Stockwerk, das sich mit der Friedlichen Revolution beschäftigt. Im Erdgeschoss befindet sich Thüringens größter Comic: ein Fassadenbild auf dem schwarz-verspiegelten Kubus der Gedenkstätte zeigt Orte der Friedlichen Revolution. Eine sehr  moderne Ausstellungskonzeption, die vor allem auf veränderte Wahrnehmungsformen jüngerer Besucherinnen und Besucher zielt, die nicht mehr Zeitzeugen sind.

Durch die Anwesenheit von Joachim Heise (Nordhausen), dem thüringischen Sprecher von Gegen Vergessen – Für Demokratie, den Klaus Müller eingeladen hatte, erhielt der Besuch der Gedenkstätte eine besonders bewegende Note. Joachim Heise war zu Beginn der 80er Jahre im Zusammenhang mit seinem Ausreiseantrag verhaftet worden, weil er zur Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin Kontakt aufgenommen hatte. Er wurde in der Andreasstraße inhaftiert, wegen dieser Kontaktaufnahme verurteilt und saß danach in Cottbus im Gefängnis ein, bis er schließlich als politischer Häftling von der BRD freigekauft wurde. Bei der Gestaltung der Gedenkstätte hat er engagiert dafür geworben, die Sichtweise ehemaliger Inhaftierter ausreichend zu würdigen.  Seit vielen Jahren engagiert sich Joachim Heise in der Erinnerungsarbeit des Landes Thüringen – auch bezüglich der NS-Vergangenheit. Für sein großes Engagement war ihm am 28. Mai 2019 das Bundesverdienstkreuz verliehen worden.

Mutiger Kampf um Freiräume

Am Nachmittag wurden zwei Führungen durch die Stadt angeboten: Während sich eine Gruppe der Geschichte der Stadt Erfurt widmete – eine Tour, die an der Alten Synagoge, der Michaelisstraße mit seinen alten Patrizier- und Fachwerkhäusern, der Alten Universität, der Krämerbrücke und dem Fischmarkt vorbei zum Domplatz führte –begab sich die zweite Gruppe unter Führung des Ehepaares Barbara und Matthias Sengewald zu besonderen Orten der Friedlichen Revolution. Beide hatten in der Mitte der 80er Jahre aus Protest gegen den Plan der Stadt Erfurt, ein großes Areal der Altstadt abzureißen, zur Opposition gefunden. Authentisch schilderten sie die beschwichtigende Art der „Kommunikation“ der DDR-Obrigkeit von oben herab. „Wir suchten nach Freiräumen, wo wir unsere Hoffnungen und Wünsche nach Veränderung austauschen konnten“, sagte Barbara Sengewald. Die habe es vor allem in den Kirchen der Stadt gegeben. Dennoch habe man auch bei großen Versammlungen in Kirchen oft Angst gehabt, wenn bewaffnete Polizei in den Nebenstraßen stand. Eindrucksvoll schilderte Matthias Sengewald, wie in den Menschen, die sich zu themenbezogenen Gruppen zusammengefunden hatten, schließlich die Fähigkeit zum offenen Meinungsaustauch heranwuchs: „Vor hunderten von Menschen konnten wir in den Kirchen am Mikrofon schließlich sagen, wofür und wogegen wir sind. Eine große Erfahrung der Selbstermächtigung.“ Barbara Sengewald betonte die besondere Rolle der Frauen bei der Friedlichen Revolution in Erfurt. Die Tour endete an der ehemaligen Stasi-Zentrale, die am 4. Dezember 1989 zu einer DDR-weiten Bedeutung gelangte: Mutig gewordenen Frauen und Männer – unter ihnen die Sengewalds - bemerkten Rauchwolken über dem Haus und hatten schnell die richtige Erkenntnis: Da werden Unterlagen der Stasi verbrannt. Sie blockierten die Zugänge zum Gebäude, besetzten es schließlich und konnten so wichtige Akten vor der Vernichtung bewahren. Ein Akt, der umgehend in der ganzen DDR Nachfolger fand.

Ost-West-Dialoge sehr wichtig

Der Aufenthalt in Erfurt endete mit einem Gespräch mit dem „Beauftragten des Freistaates Thüringen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“, Dr. Peter Wurschi. Er sieht in der pädagogischen Arbeit einen Schwerpunkt seiner Behörde. Die heutige „Generation der Enkel“ interessiere sich für die Zeit vor 1989 in anderer Weise als ihre Eltern und Großeltern. Die Jahre 1989/90 hätten einen tiefgreifenden Bruch dargestellt – nicht nur materiell und wirtschaftlich sondern auch kulturell. Die Vielfalt und Bereitschaft zur Kontroverse in einer offenen Gesellschaft habe man einfach nicht gekannt. Einen Austausch zwischen Ost-West, wie ihn die Bildungsfahrt der Stadt Mörfelden-Walldorf organisiert habe, hält er auch für die Zukunft für sehr wichtig.

So blieb es an Bürgermeister Heinz Peter Becker, der in dieser Funktion letztmalig an einer Bildungsfahrt teilnahm, den diesjährigen Organisatoren zu danken und der Erwartung Ausdruck zu verleihen, dass es auch im nächsten Jahr eine solche Bildungsfahrt der Stadt Mörfelden-Walldorf geben werde.

Diese ist eine Pressemitteilung der Stadt Mörfelden-Walldorf und der Regionalen Arbeitsgruppe Südhessen von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.