Offener Brief

Verleihung der Leuschner-Medaille an die Bundeskanzlerin Angela Merkel

Foto: Wikicommons

An den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier

An die Fraktionsvorsitzenden im Hessischen Landtag

Verleihung der Leuschner-Medaille an die Bundeskanzlerin Angela Merkel

OFFENER BRIEF

 

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

Sehr geehrte Fraktionsvorsitzenden,

die Arbeitsgruppen Rhein-Main und Südhessen der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ haben in den letzten Jahren verschiedene Veranstaltungen zum Gedenken an den großen Widerstandskämpfer Wilhelm Leuschner organisiert. Zu unserer großen Freude erhielt der Gründungsvorsitzende unserer Vereinigung, Hans-Jochen Vogel, zusammen mit seinem Bruder Bernhard, vor fünf Jahren die höchste Auszeichnung Hessens, die Leuschner-Medaille. Dies zu Recht, denn der in Gießen zur Schule gegangene Hans-Jochen Vogel hat sich über Jahrzehnte um die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit verdient gemacht.

Die Reihe der Preisträger ist lang und eindrucksvoll. Es ist festzustellen, dass in den letzten Jahren auch Menschen aufgrund ihrer Verdienste um die deutsche Einheit geehrt wurden. Mit Frau Merkel wird jetzt eine Person unter den Preisträgern zu finden sein, die jedoch weder einen direkten Bezug zu Hessen aufweist, sich auch nicht in außergewöhnlicher Weise für die Aufarbeitung der NS-Schreckensherrschaft, die Erinnerung an den Widerstand gegen Hitler oder die Aussöhnung mit den Opfern engagiert hat und zudem auch keine besonderen Verdienste um die deutsche Einheit aufzuweisen hat. Selbstverständlich erkennen wir die Verdienste der Bundeskanzlerin für die heutige Demokratie an. An den Träger eines Preises, der an Wilhelm Leuschner erinnert, müssen jedoch andere Maßstäbe gelten. Die Ehrung für die Bundeskanzlerin folgt ganz offensichtlich durchsichtigen parteipolitischen Erwägungen und ist aus unserer Sicht nicht vereinbar mit der ursprünglichen Intention des Preises.

Wir fordern Sie, Herr Ministerpräsident, und die im hessischen Landtag vertretenen Parteien auf, sich wieder ernsthaft mit der Lebensleistung von Wilhelm Leuschner zu befassen. Im Namen des Widerstandskämpfers und Verfechters freier Gewerkschaften sollten Personen geehrt werden, die sich in unserem Land in besonderer Weise für die Werte einsetzen, für die Leuschner stand: Der Kampf gegen Willkürherrschaft und für Demokratie. Vor 70 Jahren wurde er vom „Volksgerichtshof“ verurteilt und hingerichtet. Am 15. Juni 2015 ist der 125. Geburtstag Leuschners. Es ist an der Zeit und eine Aufgabe des gesamten hessischen Landtags, sich wieder vermehrt mit dem Vermächtnis dieses bedeutenden Hessen auseinanderzusetzen und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass der mit seinem Namen verbundene Preis wieder seiner ursprünglichen Bedeutung zugeführt wird.

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Dickerboom (Sprecher Rhein-Main)

Monika Graulich (Sprecherin Mittelhessen)

Ernst Klein (Sprecher Nordhessen)

Klaus Müller (Sprecher Südhessen)

GEGEN VERGESSEN - FÜR DEMOKRATIE E.V.