Zwangsarbeit. Rückkehr in die eigene Kindheit

von Thomas Richter

Inessa Mirchevska und ihr Sohn Alex Mirchevsky kurz vor dem Rückflug nach Kiew am Düsseldorfer Flughafen. Foto: Angelika Calmez

„Hier ist es“, sagt Inessa Mirchevska, als sie die Backsteinmauer auf dem Gelände des Hundesportvereins Ruhrort-Meiderich-Berg am Rande der Schlickstraße erblickt. Eben hier an jener Stelle am Rande des Meidericher Stadtparks muss der Standort des Zwangsarbeiter-Lagers gewesen sein, in dem sie und ihre Mutter Maria Sarharchinko von 1943 bis 1945 eingepfercht in Baracken lebten. 67 Jahre nach Kriegsende ist dies für die Frau aus der Ukraine das erste Wiedersehen mit Duisburg. Oder wie es die Seniorin (79) formuliert: „Es ist eine Rückkehr in meine Kindheit.“

Auf Einladung der Regionalen Arbeitsgruppe Rhein-Ruhr-West der Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. und der Volkshochschule weilt sie für drei Tage in Duisburg. Sie besuchte gestern die Klassen 12 und 13 der Gesamtschule Meiderich, um im eindringlichen Gespräch mit den jungen Menschen von ihren unvergesslichen Erlebnissen zu berichten. Heute Vormittag steht eine kleine Feierstunde im Rathaus an. Und am Abend ab 19 Uhr wartet im Internationalen Zentrum der VHS am Flachsmarkt eine Diskussionsrunde, zu der alle Interessierten eingeladen sind. Auch Alt-OB Josef Krings wird dort reden.

Für Mirchevska, die am Montag mit ihrem Sohn Alex Mirchevsky aus Kiew eingeflogen war, hatte der Rundgang durch Meiderich aber die größte Bedeutung. „Ich habe oft von dem Lager geträumt. Ich wollte wissen, ob ich noch irgendetwas von damals wiedererkenne“, sagt die im eleganten schwarzen Hosenanzug gekleidete Dame, die wegen ihrer strubbeligen, weißen Haarpracht von der kleinen Enkelin den Spitznamen „Pusteblume“ verpasst bekommen hat.

All das erzählt sie in ihrer Landessprache. In Marina Marker aus Homberg und Heike Maus von der Stadt Duisburg stehen gleich zwei Dolmetscherinnen bereit. Verstehen könne sie noch vieles, deutet die Seniorin an. Und sogar ein paar deutschsprachige Gedichte kann sie noch fehlerfrei aufsagen.

Dass sie und ihre Mutter das Lager überlebten, war auch glücklichen Zufällen zu verdanken. Einen Bombenangriff überstanden sie unbeschadet. Und als ihre Mutter eines Tages hingerichtet werden sollte, rettete die damals zwölfjährige Inessa ihr das Leben, weil sie ausgerechnet an diesem Tag Geburtstag hatte und den Lagerkommandanten um die Verschonung des Lebens ihrer Mutter bat – und Gehör fand.

All diese Erlebnisse hat Mirchevska mittlerweile zu drei Büchern verarbeitet, die in Russland und der Ukraine veröffentlicht wurden. Ihr Traum ist es, dass dies der Stoff für einen Spielfilm wird. Zwei Dokumentationen gibt es bereits. „Ich möchte das möglichst noch erleben“, sagt sie.

Und was soll die Botschaft des Films sein: „Dass die Menschen ihre Zeit auf Erden für friedliche Dinge nutzen sollen.“

 

Der Artikel erschien in der WAZ Duisburg, 25. September 2012

Wir danken dem Autor für die freundliche Genehmigung des Abdrucks.

 

Frau Mirchevska starb nur zwei Monate nach dieser Reise in Kiew an Krebs. Ihr Sohn fasste die Bedeutung des Besuchs von Frau Mirchevska in seiner Antwort auf das Kondolenzschreiben der Regionalen Arbeitsgruppe Rhein-Ruhr West von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. mit folgenden Worten zusammen:

„Many thanks for Your support in my sad time when Inessa has gone…

I am especially honored, proud and thankfull that the last and I think one of the best Holliday in Her life was arranged by You - it was great!

Yes, Inessa's wish and dream became truth and was fulfilled.”