Bürger in politischer Verantwortung

Gesprächsabend in Gedenken an Hanna-Renate Laurien

Das hätte Hanna-Renate Laurien wahrscheinlich selbst gefallen: Mit einem ungewöhnlichen Gesprächsabend über den „Bürger in politischer Verantwortung“ erinnerten die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und die Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. am 10. März 2011 in Berlin an die große Politikerin und langjährige stellvertretende Vorsitzende von Gegen Vergessen –  Für Demokratie e.V. Hanna-Renate Laurien war vor einem Jahr, am 12.März 2010, gestorben.

Um Engagement ging es in der Diskussion und um Hindernisse, die es jungen Leuten heute schwer machen, aktiv zu werden. Auf dem Podium saßen verdiente Politiker und Amtsträger, Bernhard Vogel und Joachim Gauck, aber in der Runde saßen vor allem auch junge Bürger, die ihr Engagement schon gezeigt haben. Diese Mischung führte zu einem erfrischenden Diskussionsstil, klar in der Sprache, kreativ und ohne die üblichen Rücksichtnahmen auf Befindlichkeiten der eigenen Partei  oder Organisation.

Eines haben Ursula Fehling, Bundesvorsitzende des Bundes der Katholischen Jugend, Sebastian Reißig von der Aktion Zivilcourage in Pirna und der Unternehmensberater Christoph Giesa gemeinsam: Das Vorbild der eigenen Eltern oder Großeltern war wichtig dafür, selbst Engagement zu zeigen. Bei Sebastian Reißig kam freilich noch der äußere Druck dazu. Reißig: „Ich hatte eigentlich keine Wahl, ich war selbst mehrfach von Skinheads aus der Sächsischen Schweiz bedroht und angegriffen worden.“  Statt zu kapitulieren und wegzuziehen wie andere gründete er ein breites Bündnis in seiner Heimatstadt und schaffte es, die Rechtsextremisten dort teilweise zurückzudrängen.

Christoph Giesa hat sich schon früh in der FDP in Rheinland-Pfalz engagiert und wurde bundesweit bekannt, als er 2010 die Facebookkampagne für den Bundespräsidentenkandidaten Joachim Gauck führte. Er fand eine klare Antwort auf die Frage von Moderatorin Angela Elis, welche Probleme beim Engagement bestehen. So hat er die Erfahrung gemacht, als verdienter FDP-Aktivist aus dem Rheinland nach dem Umzug nach Hamburg noch einmal ganz unten anfangen zu sollen. Einem SPD-Freund war zudem ähnliches geschehen. Giesa: „Statt Delegierter zu werden sollte er erst mal Plakate kleben – ein Lufthansa-Manager!“  Dieses oft als Ochsentour benannte Karriereprinzip der Parteien sei nicht mehr zeitgemäß. 

Ursula Fehling nannte die Arbeitsüberlastung der Jugendlichen mit G8-Abitur und Bachelor als Hemmschuh für Engagement und riet, bei Angeboten auch die Bedürfnisse des Nachwuchses zu bedenken. Fehling: „Junge Leute fragen sich: Kann ich da was bewegen, bringt mir das was persönlich und passt es in mein Lebenskonzept: Ist das sexy, ist das chic?“ Berechtigte Fragen, denen – so Fehling – viele etablierte Organisationen nicht gerecht würden.  Und der Pirnaer Reißig ergänzte, man müsse „die Jugend dort abholen, wo sie sich aufhält.“

Hier schaltete sich der ehemalige Ministerpräsident von Thüringen und Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel, ein. Vogel verstand es, den kritischen Blick der Jungen auch einmal auf die Vergangenheit zu lenken. Er  berichtete, dass es Jugendliche auch in seiner Generation nicht leicht hatten und bemerkte ohne erhobenen Zeigefinger, dass es im Gegensatz dazu  heute „Riesenchancen“ gebe, etwas zu tun.  Und Joachim Gauck sorgte für Gänsehaut bei den zahlreichen Zuschauern, als er am Beispiel von Reißigs Erfahrungen in Pirna veranschaulichte, dass Engagement nicht nur Entbehrung bedeute, sondern auch viel zurückgebe. Gauck: „Vorhin hat Herr Reißig von seiner Angst gesprochen. Aber haben Sie auch das Strahlen in seinem Gesicht gesehen, als er von den Erfolgen seines Bündnisses berichtet hat?“ 

Über diesen Bogen kam die Runde schnell wieder zu Hanna-Renate Laurien zurück. Die einstige Kultusministerin von Rheinland-Pfalz und Schulsenatorin von Berlin mochte politisch-berufliches Handeln und ihr Privatleben nicht trennen. Dabei  hatte sie – so der Tenor an diesem Abend – ein lohnendes, erfülltes Leben geführt, gerade weil sie sich so selbstverständlich und diszipliniert in die Politik einbrachte. Hans Jörg Duppré, langjähriger Mitarbeiter von Laurien und Präsident des Deutschen Landkreistages, in einer Ansprache: „ Sie war ein Mensch voller Leidenschaft, Lebensfreude und Gastfreundlichkeit.“ Mit ihrer klaren Haltung und Konsequenz erlangte sie Respekt über die Parteigrenzen hinweg.

Das wurde auch an diesem Abend deutlich.  Ex-SPD-Chef Hans-Jochen Vogel hatte in einer Laudatio eingangs voller Hochachtung gesagt: „Sie war immer deutlich hörbar und vernehmbar.“  Der Gründungsvorsitzende von Gegen Vergessen – Für Demokratie definierte in Bezug auf seine ehemalige Stellvertreterin im Verein auch dessen Auftrag,  „die heutige Generation daran zu erinnern, wo es geendet hat, als die Mehrheit der Deutschen in der Endphase der Weimarer Republik ihre Verantwortung für den Fortbestand der Demokratie nicht mehr wahrnahm.“ In dem voll besetzten Saal der KAS fanden sich neben hochrangigen Parteifreunden von Frau Laurien wie dem ehemaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, dem ehemaligen Thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus und der Alt-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth zum Beispiel auch die ehemalige Familienministerin a.D. Renate Schmidt und Cornelia Schmalz-Jacobsen, FDP-Politikerin und stellvertretende Vorsitzende von Gegen Vergessen – Für Demokratie.

Für die Podiumsfrage, welche Politikereigenschaft wieder stärker gefragt sein müsste, eignete sich noch einmal  Hanna-Renate Laurien als Vorbild. Bernhard Vogel äußerte abschließend den Wunsch nach „wieder mehr Menschen, die Politik nicht als Beruf, sondern aus Leidenschaft wählen.“  
 
Ausschnitte des Gesprächsabends als Video auf YouTube