Schweigen macht mitschuldig

Seminar „Die Rolle der Kirchen im Dritten Reich“ in Königsbronn

von Helga Übelmesser-Larsen

RAG-Sprecher Dr. Alfred Geisel mit dem Königsbronner Bürgermeister Michael Stütz (Bildmitte) und den Referenten der Tagung, Prof. Dr. Jürgen Kampmann, Dr. Siegfried Hermle und Prof. Dr. Dominik Burkard. Foto: Gemeinde Königsbronn

Gegen Vergessen – Für Demokratie veranstaltete am 27. Oktober 2012 in Königsbronn zusammen mit der Georg-Elser-Gedenkstätte und der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg das Tagesseminar „Die Rolle der Kirchen im Dritten Reich“. Dazu konnte Bürgermeister Stütz mehr als 120 Teilnehmer begrüßen. Er betonte die Wichtigkeit der Gedenkstättenarbeit und erinnerte an die Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung der Geschichte des aus Königsbronn stammenden konsequenten Gegners der NS-Diktatur Johann Georg Elser.

Dr. Alfred Geisel, der Sprecher der Regionalgruppe Baden-Württemberg der Vereinigung, wies darauf hin, dass bei der Vortragsauswahl nicht alle mit dem Tagesthema zusammenhängenden Fragen aufgearbeitet werden könnten. Er lobte die jahrelange gute Zusammenarbeit mit der Gemeinde Königsbronn und der Landeszentrale bei der Vorbereitung und Durchführung solcher Tagesseminare.

Das Thema „Der württembergische Landesbischof Theophil Wurm in der NS-Zeit“ stand im Mittelpunkt des Vortrags von Prof. Dr. Jürgen Kampmann (Universität Tübingen). Kampmann führte in die Zeitverhältnisse um 1933 ein und wies darauf hin, dass zunächst die in der Weimarer Verfassung verankerte Rechtsstellung der Kirche unangetastet geblieben sei. Trotz anfänglich kirchenfreundlicher Beteuerungen Hitlers gab es jedoch alsbald vielfältige Konflikte, die 1934 zur Spaltung der Ev. Kirche Deutschlands in die systemgeneigte Reichskirche unter Bischof Ludwig Müller und in die systemkritische Bekennende Kirche führte, der auch die württembergische Landeskirche angehörte. Der 1868 geborene Wurm, ein politisch national und konservativ denkender Kirchenmann, der seit 1929 Landesbischof in Württemberg war, widersetzte sich nachdrücklich der von den Nazis angestrebten Gleichschaltung der verschiedenen deutschen Landeskirchen. Gegen die Ermordung von rund 10000 behinderter Menschen in Grafeneck auf der Schwäbischen Alb im Zuge der sog. T 4-Aktion protestierte Wurm in einem eindrücklichen Brief vom Juli 1940 an Reichsinnenminister Frick. Sehr zurückhaltend war freilich seine Haltung in Bezug auf die Judenverfolgung. So versagte er etwa mutigen Pfarrern, die gegen die Verbrechen der Reichskristallnacht vom November 1938 aufbegehrten – in einer die Tagung begleitenden Ausstellung eindrücklich dargestellt – jeden Schutz vor Verfolgungsmaßnahmen. Grundsätzlich stellte Kampmann fest, dass eine unterschwellige antisemitische Haltung vielen damaligen evangelischen Kirchenmännern eigen gewesen sei.

Die Haltung des katholischen Rottenburger Bischof Joannes Baptista Sproll beleuchtete Prof. Dr. Dominik Burkard von der Universität Würzburg. Sprolls Einstellung schwankte 1933 zunächst zwischen Hoffen und Bangen. Er war von der Gefährlichkeit des Nationalsozialismus überzeugt, wagte jedoch gleichwohl einen vorsichtigen Brückenschlag, als er 1933 katholischen Priestern ein Verbot politischer Äusserungen auferlegte. Um die drohende Gleichschaltung der ihm sehr wichtigen katholischen Jugendarbeit mit der Hitlerjugend zu verhindern, intervenierte Sproll – freilich weitgehend vergeblich – bei der NS-Regierung. Weitere staatliche Übergriffe waren die Folge. Seinen Mut bewies Sproll mit einem Hirtenbrief gegen die Weltanschauung des Nationalsozialismus und dessen Rassenlehre. Er wehrte sich auch öffentlich gegen die Ersetzung des Religionsunterrichts durch die Einführung des Weltanschauungsunterrichts. Als er im April 1938 bei der Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs und der damit verbundenen Scheinwahl des Reichstags demonstrativ die Stimmabgabe verweigerte, wurde er des Landes verwiesen und durch die Gestapo nach Bayern deportiert – ein Vorgang, der vom Vatikan mit Schweigen hingenommen wurde. Sproll, der erst 1945 nach Rottenburg zurückkehren konnte, war nach den Worten von Prof. Burkard Überzeugungstäter und Überzeugungsopfer zugleich.

Über die noch heute umstrittene Frage des weitgehenden Schweigens der Kurie unter den Päpsten Pius XI und Pius XII zu den Verbrechen der Nazis und der unterbliebenen Verurteilung der NS-Ideologie referierte Prof. Burkard in seinem zweiten Vortrag. Obwohl sich zahlreiche bedeutende katholische Persönlichkeiten bis zum Bischofsrang wegen der Verfolgungsmaßnahmen der Nazis etwa gegen Behinderte oder Juden an den Vatikan wandten und um eine öffentliche Verurteilung baten, ließ der damalige Generalstaatssekretär Pacelli – der spätere Papst Pius XII – diese Bittbriefe unbeantwortet. Auch wurde ein bereits 1934 gefertigtes Verzeichnis der nationalsozialistischen Irrtümer nie veröffentlicht. Die Kurie hat sich nach Meinung Burkards zwar mit der NS-Ideologie und ihren Verbrechen beschäftigt, aber sich nie zu einer öffentlichen Verurteilung durchringen können. Prof. Burkard setzte sich auch mit den Umständen auseinander, die letztlich eine geplante päpstliche Enzyklika zur Rassenfrage verhinderten. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die Kurie nicht im Nationalsozialismus, sondern im Kommunismus den Hauptfeind der Kirche sah. Prof. Burkard fasste seine Überlegungen in 10 Thesen zusammen:

·         Die Judenfrage lag nicht im Blickfeld der Heiligen Stuhls;

·         Grundsätzlich distanzierte sich die Kirche zwar intern von den NS-Irrtümern, ohne dies klar und auch öffentlich zum Ausdruck zu bringen:

·         Vermutlich verhinderte Pacelli eine solche klare Stellungnahme;

·         Zentrales Motiv seines Schweigens waren politische Überlegungen; er war vorrangig Diplomat und kein Theologe.

·         Die Kurie wollte kein zusätzliches Öl ins Feuer gießen;

·         Nicht der Nationalsozialismus sondern der Kommunismus wurde als Hauptfeind der Kirche angesehen.

·         Etwaige Protestäußerungen sollten nicht vom Vatikan, sondern von den örtlichen Bischöfen erfolgen;

·         Dies, weil in Protesten der Kurie eine Einmischung in innerstaatliche Maßnahmen gesehen werden könnten;

·         Soweit Papst Pius XII als Bischof von Rom gefordert war, gingen etliche          Hilfsmaßnahmen auch in Bezug auf verfolgte Juden von ihm aus;

·         Erst in den fünfziger Jahren bekannte sich Papst Pius XII zu der Notwendigkeit    öffentlicher Stellungnahmen in Bezug auf die Verbrechen der Nazis.

Zum Thema „Evangelische Kirche und Religionsfreiheit in der Zeit des Nationalsozialismus“ referierte Prof. Dr. Siegfried Hermle von der Universität Köln. Er wies eingangs darauf hin, dass sich beide Kirchen angesichts der kirchenfreundlichen Äußerungen in Hitlers  Regierungserklärung vom Februar 1933 in dieser Frage zunächst beruhigt zeigten. Dies änderte sich freilich rasch, als die Nazis 1934 das Alte Testament aus dem Religionsunterricht zu verbannen suchten und durch eine germanisch geprägte Glaubenslehre zu ersetzen trachteten – einem Ansinnen, dem die evangelische Kirche in Teilen entsprach. Auch die zwangsweise verfügte Abschaffung der Bekenntnisschulen und die flächendeckende Einführung der Gemeinschaftsschule wurde schließlich nach etlichen vergeblichen Interventionen durch die Kirchen hingenommen. Die 1937 durch die Nazis verfügte Einführung eines nationalsozialistisch geprägten Weltanschauungsunterricht (WAU), der den Religionsunterricht ersetzen sollte, führte zu massiven, auch öffentlichen Protesten der beiden Kirchen mit der Folge, dass der Religionsunterricht neben dem Weltanschauungsunterricht mit erheblichen Einschränkungen geduldet wurde – etwa die Reduzierung auf eine Wochenstunde und die Beschränkung bis zur 4. Klasse. Auch durfte kein Schulgebet mehr gesprochen werden. Religionslehrer, die sich diesen Zwangsmaßnahmen widersetzten, wurden wiederholt mit strengen Strafen bis zur Einweisung in NS-Konzentrationslager geahndet.

In der von Dr. Geisel moderierten Veranstaltung wurden viele der angesprochenen Probleme durch sachkundige Rückfragen vertieft. In seinem Schlusswort nahm Dr. Geisel auf das Stuttgarter Schuldbekenntnis der evangelischen Kirche vom Oktober 1945 Bezug. Dies sei zwar insoweit ein bemerkenswertes Dokument, als die Kirche hier ihre Rolle im Blick auf ihr Versagen hinsichtlich des Nationalsozialismus eingestanden habe. Andererseits sei der millionenfache Mord an Menschen jüdischer Herkunft mit keinem Wort erwähnt. Dieses schwere Versäumnis, das auch in Bezug auf die katholische Kirche gelte, belaste eine unbefangene Auseinandersetzung mit dem Verhalten der beiden christlichen Kirchen zum Nationalsozialismus bis in unsere Tage. 

Helga Übelmesser-Larsen ist Mitglied von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.