RAG Baden-Württemberg: Ein Grabstein für Izak Abramovitz (1898-1945)

von Volker Mall und Harald Roth

Sam, Tova, Eric und Elise Baron am Grab von Izak Abramovitz im Juli 2011. Foto: Harald Roth

Sam Baron kam im November 1944 vom KZ Stutthof nach Hailfingen, wo sein Vater Izak Abramovitz starb. Als sein Bruder von Hailfingen nach Bergen-Belsen transportiert werden sollte, fuhr er – trotz eindringlicher Warnungen – mit ihm. In Bergen-Belsen erkrankte Sam Baron an Typhus; sein Bruder starb dort im April 1945.

Nach der Befreiung durch die britische Armee am 15. April 1945 wollte Sam Baron illegal mit dem Schiff nach Palästina. Dabei wurde er von den Briten aufgegriffen und nach Zypern gebracht, wo er bis 1947 in einem Internierungslager war. 1952 heiratete er in Israel Tova Markowitz. Im März 1952 ging das Ehepaar nach Kanada und schließlich 1956 in die USA.

Im Sommer 2008 hatten wir ihn dort gefunden und ihm u.a. mitgeteilt, wo sein Vater beerdigt wurde.

Sam Baron war sehr krank, aber er wollte unbedingt zur Einweihung der KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen im Juni 2010 kommen, und der Gedanke daran hielt ihn aufrecht. Mit seiner Frau Tova, die 1945 ebenfalls in Bergen-Belsen befreit worden war, und seinem Sohn Eric erlebte er die Einweihungsfeierlichkeiten und die Begegnung mit drei seiner Mithäftlinge nach 65 Jahren.

Eine dringende Bitte hatte er: Auf dem Gruppengrab im Tailfinger Friedhof, in dem sein Vater liegt, für seinen Vater einen Grabstein aufzustellen. Anfang Juli 2011 kamen Sam und Tova Baron mit ihrem Sohn Eric und der Enkelin Elsie auf Einladung der Gedenkstätte Bergen-Belsen nach Deutschland und waren dabei auch vier Tage zu Gast in Tailfingen.

Harald Roth hielt am Grab auf Englisch eine Rede, die hier übersetzt abgedruckt wird:

„Jeder Mensch hat einen Namen. Bei der Geburt geben die Eltern ihrem Kind einen Namen. Der Name begleitet den Menschen durch das ganze Leben, ja über den Tod hinaus. Auf dem Tailfinger Friedhof erinnern Grabsteine an die verstorbenen Bewohner Tailfingens. Mit einer Ausnahme: Hier auf diesem Gräberfeld erinnerte bis vor einem Jahr nur das Holzkreuz mit der Aufschrift und der Grabstein des Ignaz Klein, den die Söhne Anfang der sechziger Jahre errichten ließen, an den gewaltsamen Tod der Häftlinge des KZ-Außenlagers Hailfingen/Tailfingen. Durch unsere Recherchen gelang es uns, die Namen der Opfer herauszufinden, die von den Nazis in dem Massengrab verscharrt wurden und Anfang Juni 1945 – auf Anordnung der französischen Besatzer  – umgebettet wurden.
Am 6. Juni 2010 konnten wir diese Namenstafel hier aufstellen und damit endlich den Ermordeten ihren Namen zurückgeben.

Sie, lieber Sam Baron, waren mit ihren Angehörigen bei dieser Zeremonie dabei. Auf der Tafel ist auch der Name Ihres Vaters vermerkt, der hier  – im Alter von 47 Jahren  – sein Leben lassen musste. Sie haben danach den Wunsch geäußert, für ihren geliebten Vater einen persönlichen Grabstein zu errichten. Hier steht nun  – 65 Jahre nach dem Tod Ihres Vaters  – der Grabstein mit der Inschrift:

Chaim yitzchak ben dov Izak Abramovitz 1898 – 1945 In Loving Memory of his Family
Beloved wife Liba, sons Berko & Leopold, Daughter Feighy
Rest in Peace my dear Father. You were loved and respected by all and will be forever missed
Your loving son – Sam Baron

Diesen Moment wollten Sie unbedingt erleben. Deshalb haben Sie sich – trotz ihres angeschlagenen Gesundheitszustandes – auf den weiten Weg nach Deutschland gemacht – belgeitet von Ihrer Frau Tova, ihrem Sohn Eric und ihrer Enkeltochter Elise. Die Warnungen der Ärzte haben Sie in den Wind geschlagen.

Es muss noch hinzugefügt werden: In Bergen-Belsen haben Sie kurz vor der Befreiung ihren Bruder Berko verloren. Erstmals waren Sie jetzt in diesem Sterbelager, in dem im Frühjahr 1945 Tausende ums Leben kamen. Die Toten wurden nicht mehr registriert. Auch für Ihre Frau Tova war es eine Rückkehr an die letzte Station eines langen Leidensweges. In Bergen-Belsen ruht ihr Bruder in einem der vielen Massengräber, so dass sie dort keinen konkreten Ort des Gedenkens haben.“

 

Elise Baron schrieb am 9. Juli 2011 ins Gästebuch der Gedenkstätte:
“Thank you so much for creating this museum and memorial for the people who suffered at this camp. It means the world for my grandfather to have recognition and honor for what he and his family went through and the loss of his father. I am so glad to see the joy and satisfaction he has gotten from this.”

 

Volker Mall und Harald Roth sind Mitglieder der RAG Baden-Württemberg, Sektion Böblingen-Herrenberg-Tübingen.