Gedenkstein für Zwangsarbeiter und ausländische Kriegsgefangene in Filderstadt

von Gabriele Dönig-Poppensieker/Nikolaus Back

Einweihung des Gedenksteins. Foto: Nikolaus Back

Mehrere Millionen Menschen aus ganz Europa (die Schätzungen schwanken zwischen sieben und zwölf Mio.) mussten während des Zweiten Weltkriegs als Kriegsgefangene oder zivile Zwangsarbeiter in Deutschland arbeiten. Vor einigen Jahren war dieses Thema vor allem im Zusammenhang mit dem Entschädigungsfonds häufiger in den Schlagzeilen, inzwischen ist es allerdings stiller geworden. Kürzlich hat eine Initiative in Filderstadt-Sielmingen bei Stuttgart erreicht, dass für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein Gedenkstein aufgestellt wurde.

Nicht weniger als 108 so genannte „Fremdarbeiter“ aus Frankreich, Polen, der Ukraine, Russland und Belgien waren in dem damals rund 1.900 Einwohner zählenden Dorf vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt. Nach der NS-Ideologie hätten diese Menschen als „minderwertig“ behandelt werden müssen. Dennoch bestanden für jede einzelne Familie als Arbeitgeber gewisse Spielräume, um sich für oder gegen Humanität zu entscheiden. Tatsächlich hielten die meisten Dorfbewohner an ihrem christlich-humanistischen Menschenbild fest und behandelten „ihre“ Fremdarbeiter mit Respekt und Fairness.

Nun gibt es einen weiteren besonderen Grund für die Sielminger, gerade den französischen Zwangsarbeitern dankbar zu sein. Dies betrifft die lokalen Ereignisse bei Kriegsende. Nachdem am 20. April 1945 der Ort kampflos den Franzosen übergeben worden war, tauchte einen Tag später eine deutsche Einheit von mehreren Hundert Soldaten in Sielmingen auf, die nicht wusste, dass der Ort bereits besetzt worden war. Es kam zu Gefechten mit Toten auf beiden Seiten. Prekär an dieser Sache war, dass der Bürgermeister noch am Vortag beteuert hatte, es befänden sich keine deutschen Soldaten am Ort. Aus verständlichen Gründen waren die Franzosen empört, sie nahmen den Bürgermeister als Geisel und forderten von den Sielmingern in kürzester Zeit eine hohe Geldsumme. Nach den heutigen Erkenntnissen kann es als sicher gelten, dass es der Fürsprache der hier lebenden französischen Fremdarbeiter zu verdanken war, dass es zu keinen weiteren militärischen Strafmaßnahmen kam. Mit großem Engagement hatten sie sich beim französischen Militär für eine schonende Behandlung Sielmingens eingesetzt und damit schließlich auch Erfolg gehabt. Es gab also jenseits eines Freund-Feind-Denkens auch Humanität und Zivilcourage.

Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, durch einen Gedenkstein an den mutigen Einsatz der französischen Zwangsarbeiter zu erinnern. Eine Initiative von Sielminger Bürgern unter dem ehemaligen Gemeinderat Paul Schurr gab den Anstoß für einen Gedenkstein auf dem Sielminger Friedhof, der zu einem erheblichen Teil durch Spenden finanziert werden konnte.

Im Mai 2011 konnte der Gedenkstein eingeweiht werden. Unter den Gästen befand sich auch Jean Pavot, ein inzwischen 93-jähriger einstiger französischer Kriegsgefangener, der aus Paris angereist war. An diesem von Waldemar Beck gestalteten Gedenkstein sind die Namen aller 108 Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs in Sielmingen arbeiten mussten, aufgeführt. Ein weiterer Gedenkstein erinnert an acht beim Einmarsch gefallene französische Soldaten, deren Namen erst seit Kurzem im Französischen Militärarchiv in Caen ermittelt werden konnte.

 

Gabriele Dönig-Poppensieker ist Oberbürgermeisterin von Filderstadt und Mitglied von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. Nikolaus Back ist Leiter des Stadtarchivs Filderstadt.