Veranstaltungen

Buchvorstellung und Gespräch: Staatssicherheit in Nordhausen

Freitag, 25. Mai 2018

, 18:00 Uhr

Nikolaiplatz 1, 99734 Nordhausen

Eine Veranstaltung der Stadtbibliothek Nordhausen, Atelier Veit Verlag, Buchhaus Rose und der Regionalen Arbeitsgruppe Thüringen von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

Dr. Hanna Labrenz-Weiß und Joachim Heise stellen im Ratssaal des Nordhäuser Bürgerhauses ihr Buch "Staatssicherheit in Nordhausen" vor. Sie sprechen Themen der Aufarbeitung des SED-Unrechts an, die im Fall von Hanna Labrenz-Weiß dem besonderen Aufklärungsinteresse über die konkreten Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse regionaler Herrschaftsformen im Verantwortungsbereich der Nordhäuser Kreisdienststelle des MfS in einer noch nie da gewesenen Akribie genüge tun. Mit der Ausreiseproblematik der 1970er und 1980er Jahre im Kreis Nordhausen setzt sich Joachim Heise in seinem Beitrag kritisch auseinander, er gibt Einblick in das Wirken des Staatsapparates nach Antragstellung, die "Bearbeitung" der Anträge bzw. Antragsteller, die Klagen der Antragsteller über Mangelerscheinungen, Misswirtschaft und das Vorenthalten der Menschenrechte, das Zusammenwirken der "kreislichen Organe" bei Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte der Antragsteller, um nur einige Schwerpunkte zu nennen.

Die Erforschung der Kreisdienststellen der Staatssicherheit, eine scheinbar untergeordnete oder auch nebensächliche Thematik im großen Rahmen der Ausarbeitung des SED-Unrechts, ließ zu Unrecht bis heute keine nennenswerte diesbezügliche Forschung aufkommen. Diese Lücke zu schließen und das Wirken der Staatssicherheit an der Basis, also direkt an der Bevölkerung, für Interessierte erfahrbar zu machen, führte schließlich zur Erteilung eines Forschungsauftrages, im speziellen Fall über die Kreisdienststelle Nordhausen. Die Wahl auf die Kreisdienststelle Nordhausen als quasi Pilotporojekt fiel nicht ohne Grund und stützt sich auf:

1. den aussagekräftigen und umfangreichen Aktenbestand der KD;

2. die wirtschaftliche Bedeutung des Kreises innerhalb des Bezirkes Erfurt und der DDR und

3. die Lage des Kreises an der innerdeutschen Grenze und deren Sicherung.

Nach EINFÜHRUNG in die Aufgabenstellung der Regionalstudie und der Beschreibung des derzeitigen Forschungsstandes geht die Autorin auf die Stellung der Kreisdienststellen im System des MfS ein, zeigt auf, dass sich die anfängliche Tätigkeit ohne Regelungen zu deren Aufgaben, Strukturen und Zuständigkeiten jeweils nach Ereignissen bzw. Erfordernissen zunehmend präzisierte.

Verglichen mit dem Forschungsstand unterzieht sich Labrenz-Weiß der Mühe, einen wahren Berg von Akten, sach- und personenbezogen, zu sichten und auszuwerten.

Das Kapitel HERRSCHAFT UND GESELLSCHAFT IM KREIS NORDHAUSEN hebt die Autorin als das wichtigste und vom Erkenntnisstand als das bedeutendste hervor und dies in vollem Umfang zu recht. Es vermittelt über die vier Zeitabschnitte 1950er, 1960er, 1970er und 1980er Jahre ein gesamtgesellschaftliches Bild. Neben den Schwerpunktsetzungen durch zeitgeschichtlich bedeutsame Ereignisse, zeigen die vielen sorgfältig ausgewählten Fallbeispiele operativer Arbeit, was die Einwohner in den jeweiligen Zeitabschnitten als Glied der Gesellschaft über die Gesellschaft wahrnahmen, was sie über die Zeiterscheinungen dachten und wie sie darauf reagierten.

Im Kapitel DIE STAATSSICHERHEIT IN NORDHAUSEN berichte die Autorin über die hauptamtliche Mitarbeiterschaft, deren Stärken und Schwächen und entwickelt anhand territorialer Eigenheiten Schwerpunkte für die operative Arbeit.

Mit der FUNKTION DER KREISDIENSTSTELLE NORDHAUSEN und deren Überprüfung durch die vorgesetzte Behörde befasst sich die Autorin in dem 4. Kapitel. Die besondere Stärke des Kapitels liegt darin, dass die Autorin auf eine Vielzahl von IM-Akten, verteilt auf die gesamte Zeit des Wirkens der KD Nordhausen, zurückgreifen konnte und bei der analytischen Bewertung von Kontrollberichten der BV, den Jahresarbeitsplänen sowohl der BV als auch der KD feststellte, dass die inoffizielle Arbeit in der KD differenziert bewertet werden muss und kritikwürdige Unzulänglichkeiten deutlich benannt wurden.

Ähnlich akribisch behandelt Hanna Labrenz-Weiß in den Kapiteln SPERRGEBIET, GRENZE UND AUSREISEANTRAG und UNTERGANG IN RATEN geschichtliche Fakten, territoriale Eigenheiten und die sich entwickelnde operative Arbeit untrer dem Druck einer aufbegehrenden Bevölkerung.

Hervorzuheben ist, dass Hanna Labrenz-Weiß einer bislang weniger bedeutenden Thematik der Aufarbeitung des SED-Unrechts die gebührende Aufmerksamkeit verschaffte. Die Rechercheergebnisse verdeutlichen, dass die Staatssicherheit als Ganzes nur funktionieren konnte, wenn alle Gliederungen funktionierten.

Auch mit den Recherchen zur Ausreiseproblematik beschritt Joachim Heise Neuland und dies mit dem zufälligen Nebeneffekt, das Wirken eines MfS-Offiziers im besonderen Einsatz (OibE) im "arbeitsrechtlichen" Scheinverhältnis beim Rat des Kreises, Abteilung Innere Angelegenheiten, kennenzulernen und seine Praktiken zu verfolgen.

Nach der allgemeinen Einführung zum Status eines OibE beschreibt Joachim Heise, gestützt auf ca. 700 Ausreise-Dossiers des Kreisarchivs Nordhausen, mit welchen Begründungen die Ausreiseantragsteller ihren Willen auf ständige Ausreise aus der DDR begründeten mit Begrifflichkeiten wie Familienzusammenführung, Menschenrechte, KSZE und Schlussakte von Helsinki, Verfassung der DDR, Eheschliessung, um nur einige zu nennen. Anhand einiger Beispiele wird die "Bearbeitung" von Übersiedlungsersuchen durch die staatlichen Organe beschrieben und die Praktiken der Repression verdeutlicht. Allgegenwärtige Mängel und staatliches Fehlverhalten werden in den Ausreiseanträgen in scharfen Formulierungen benannt.

Das in seiner Aussagekraft wichtigste Kapitel AMTSFÜHRUNG DES OIBE beschreibt den Amtsmissbrauch einer Führungskraft im real existierenden Sozialismus, die das Bankgeheimnis bricht, das Wahlgeheimnis verletzt, sich in hoheitliche Angelegenheiten von Parteien einmischt, gegen Antragsteller ermittelt bzw. Ermittlungsberichte von der Polizei abfordert oder das Pass- und Meldewesen manipuliert, um einige Beispiele zu nennen.

Vor und nach der Veranstaltung werden Bücher zum Kauf angeboten, nach der Buchvorstellung besteht die Möglichkeit zum Gespräch.

Der Eintritt ist kostenfrei