Memorandum Aus dem Schatten der Erinnerung

Initiative »Vergessene Opfer des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion«

Vor 70 Jahren, am 22. Juni 1941, überfiel das nationalsozialistische Deutschland die Sowjetunion und führte dort einen beispiellosen Vernichtungskrieg.

Angestoßen durch zahlreiche gesellschaftliche Initiativen hat sich die Bundesrepublik Deutschland in einem mühseligen Prozess der historischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen angenommen und gedenkt nunmehr ihrer Opfer. Um diesen Teil deutscher Geschichte immer wieder zu vergegenwärtigen, erklärte der Bundespräsident im Jahr 1996 den 27. Januar, den Tag der Befreiung des Lagers Auschwitz durch die Rote Armee, zum »Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus«. Darüber hinaus hat Deutschland nach langen Diskussionen in der Hauptstadt Berlin Denkmäler errichtet oder geplant, die den verfolgten und ermordeten Juden Europas, den Homosexuellen und den Sinti und Roma gewidmet sind. Dennoch weist die öffentliche Erinnerung an die NS-Verbrechen noch immer einen großen weißen Fleck auf. Viele Millionen Menschen sind in Südosteuropa, in Polen und vor allem in den eroberten Gebieten der Sowjetunion aufgrund der NS-Rasseideologie verfolgt und ermordet worden.

Bereits der Krieg gegen Polen stand im Zeichen dieser antislawischen Politik. Das besetzte Land war seit 1939 Schauplatz von Verfolgungen, Vertreibungen und Massentötungen im Zuge der geplanten „Germanisierung“. Bei der Vorbereitung des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion wurde im Frühjahr 1941 der Tod von Millionen Menschen festgelegt. Nach dem 22. Juni 1941 wurden Zivilisten und Kriegsgefangene Opfer eines Vernichtungskrieges, der im Zeichen mörderischer Unterdrückung und brutaler wirtschaftlicher Ausbeutung stand. Der „Generalplan Ost“ von 1941/42 sah schließlich die mit Vertreibung und Mord verbundene „Aussiedlung“ von über 30 Millionen Menschen vor.
Kriegsgefangene sowjetische Soldaten wurden vor allem im Winter 1941/42 auf Anweisung der Wehrmachtführung unzureichend versorgt. Bis Ende des Krieges kamen drei der über fünf Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen durch Nahrungsmangel, Krankheiten und Erschießungen gewaltsam zu Tode. Kriegsgefangene wurden – wie über zwei Millionen Zivilisten aus der Sowjetunion – zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert und auch hier gemäß der rassistischen Ideologie des NS-Regimes behandelt.   

Weitere Millionen Zivilisten wurden Opfer der deutschen Kriegsführung. So legten Richtlinien im November 1941 fest, dass die Stadt „Leningrad verhungern muss“. Von den 2,5 Millionen Kindern, Frauen und Männern kamen mindestens 800.000 während der 900tägigen Belagerung um. Die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes durch SS und Wehrmacht im August 1944 – mit mehr als hunderttausend getöteten Zivilisten und der vollständigen Zerstörung der Stadt – war ebenfalls Ausdruck dieser Vernichtungspolitik während des deutschen Rückzuges.

Obwohl die flächendeckende Verfolgung von Zivilisten, vor allem aber der millionenfache Mord an der Zivilbevölkerung und an Kriegsgefangenen im besetzten östlichen Europa zentrale Elemente der NS-Herrschaft waren, haben die Opfer bis heute keinen angemessenen Platz im Gedächtnis Deutschlands. Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland sind dazu aufgerufen, die Aufarbeitung dieses Unrechts stärker in der öffentlichen Erinnerungskultur zu verankern.

Dr. Elisabeth Raiser, Vorsitzende Aktion Sühnezeichen Friedensdienste
Dr. h. c. Joachim Gauck, Vorsitzender »Gegen Vergessen – für Demokratie«
PD Dr. Habbo Knoch, Geschäftsführer Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten
Dr. Jörg Morré, Direktor Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Dr. Jens Nagel, Leiter Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain
Uwe Neumärker, Direktor Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Univ.-Prof. Dr. Dieter Pohl, Abteilungsvorstand Zeitgeschichte und Geschichte Ost- und Südosteuropas, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Günter Saathoff / Dr. Martin Salm, Vorstand der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum, Direktorin Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin
Prof. Dr. Michael Wildt, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin


Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst hat gemeinsam mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden unterstützt vom Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes und der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain und gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien die Broschüre „Aus dem Schatten der Erinnerung. Vergessene Opfer des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion“ herausgegeben, die kostenlos über die Stiftung Denkmal (info(at)stiftung-denkmal.de) oder das Museum Berlin-Karlshorst (kontakt(at)museum-karlshorst.de) bezogen werden kann.