Im Namen der Toten

Tafel für die in Reutlingen begrabenen KZ-Opfer

Es hat unerklärlich lange gedauert, ist 65 Jahre nach Kriegsende aber doch noch wahr geworden: Seit dem 7. Juni wird auf dem Friedhof Unter den Linden der dort begrabenen KZ-Opfern offiziell und namentlich gedacht.

Reutlingen. Es war eine schlichte Feier, die beinahe im Lärm des Verkehrs auf der Rommelsbacher Straße untergegangenen wäre. Ohne Lautsprecheranlage mussten die Angehörigen, die Gedenk-Aktivisten der Vereinigung Gegen Vergessen – für Demokratie und auch Oberbürgermeisterin Barbara Bosch gestern auskommen.

Dabei war es für die Stadt Reutlingen immerhin ein historischer Moment. Nach langen Jahren des – mehr oder minder bewussten – Vergessens und unerfreulichen Diskussionen über die Notwendigkeit des Gedenkens Anfang der 90er Jahre, hat die Stadt den 128 hier begrabenen KZ-Opfern endlich Namen gegeben. Vor dem 1952 von Richard Raach geschaffenen Sandstein-Sarkophag erinnert jetzt eine 80 Zentimeter breite Namenstafel an die Opfer aus 15 Nationen, die zwischen Oktober 1944 und Januar 1945 im Reutlinger Krematorium eingeäschert wurden.

Auslöser für die späte Nachbesserung waren letztlich die Recherchen und Interventionen der Aktivist(inn)en von Gegen Vergessen – für Demokratie, die über Jahre für die Errichtung einer KZ-Gedenkstätte im Gäu kämpften. 99 der in Reutlingen begrabenen Männer wurden in dem KZ-Außenlager Hailfingen/Tailfingen zu Tode geschunden, an das seit dem wannWochenende erinnert wird.

Zur Friedhofs-Feierstunde, die mit jiddischer Musik von Volker Mall und Helmut Vogel umrahmt wurde, waren die Angehörigen deshalb direkt von der Eröffnung der Gäu-Gedenkstätte gekommen. Einige von ihnen standen nicht zum ersten Mal vor dem Sarkophag und brachten nochmals ihre Erleichterung zum Ausdruck, dass am Grab ihrer Eltern und Großeltern nun endlich auch deren Namen zu lesen sind.

Marga Griesbach, die Tochter des ersten Hailfinger Lager-Opfers Max Steinhardt, die Jahrzehnte lang nach dem Grab ihres Vaters gesucht hatte und dann vor etwa zwei Jahren per Mail aus dem Gäu erfuhr, dass es in Reutlingen ist, bedankte sich bei der Stadtverwaltung: „Das ist erlösend für mich, ist ein Abschluss.“ Wie auch andere Angehörige machte die 83-Jährige allerdings keinen Hehl daraus, dass es Zeit für eine Namenstafel wurde. Joop Koekkoek, der von den Gedenkstätten-Aktivist(inn)en erst im letzten Jahr erfahren hatte, dass sein Vater in Reutlingen begraben ist, beschrieb seinen ersten Besuch auf dem Friedhof so: „Ich wunderte mich, überall haben Namen gestanden, nur am Grab meines Vaters nicht.“
OB Barbara Bosch versicherte den Angehörigen: „Dass Sie hier am Grabmal die Namen der Verstorbenen vorfinden möchten, ist ein menschlich nur allzu verständliches Anliegen. Trauer braucht ihren Ort, und sie hat auch einen Anspruch darauf.“ Allen, die sich in „der jüngeren Vergangenheit für die Anbringung einer solchen Namenstafel“ eingesetzt haben, sprach die OB „Dank und Respekt“ aus.

Dieser Artikel erschien zuerst am 8. Juni 2010 im Schwäbischen Tagblatt. Wir danken für die freundliche Abrduckgenehmigung.