Holocaustleugnung im Internet. Manipulationstechniken und Argumentationsmuster im Wandel

von Dennis Beismann

Wenngleich man in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges den Holocaust weitgehend verdrängte, blieben die Verbrechen doch omnipräsent. Unzählige Kriegsheimkehrer berichteten von den Morden, in den Nachkriegsprozessen schilderten Täter, Zeugen und Opfer die Massenvernichtung und bestätigten somit, was in Deutschland ohnehin viele geahnt haben mussten. In den 1950er Jahren wurden die Taten vor allem verschwiegen, weil der Wiederaufbau des Landes wichtiger erschien als die Aufarbeitung der Vergangenheit. Versuche, den Nationalsozialismus zu rehabilitieren, mussten sich in der Folgezeit darauf beschränken, die deutsche Kriegsschuld in Abrede zu stellen. Erst in den frühen 1970er Jahren wurde in Deutschland erstmalig der Völkermord an den europäischen Juden öffentlich geleugnet. Es formierte sich bald eine verschworene Szene, die mit zunehmender Hartnäckigkeit behauptete, dass es keine Gaskammern gegeben habe und die geschätzten Opferzahlen als grobe Übertreibung zurückzuweisen seien.

Frühzeitig gewannen verschiedene Argumentationsfiguren Kontur, um unhaltbare Thesen augenscheinlich zu untermauern. Einschlägige und wegweisende Standardwerke der Holocaustforschung wurden von den Leugnern zumeist kommentarlos ignoriert. Stattdessen entstanden Zitierkartelle, deren Autoren sich gegenseitig als Referenz auswiesen, um in einem Zirkelschluss den Eindruck von Glaubwürdigkeit zu erwecken. Die Leugner setzten sich zudem dezidiert mit den Quellenbeständen auseinander und durchforsteten sie nach (vermeintlichen) Kenntnislücken, Widersprüchen und Fehlinformationen, welche sie aufblähten, um infolge die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft infrage zu stellen. Diese Vorgehensweise gipfelte 1992 im „Rudolf-Report“, einem Pamphlet, das vorgab, auf technisch-naturwissenschaftlichem Wege die Unmöglichkeit von Massentötungen durch Gas in Auschwitz-Birkenau zu beweisen.

Diese Manipulationstechniken erschienen jedoch im Verlauf der 1990er Jahre zunehmend unzeitgemäß, da sich infolge der „digitalen Revolution“ die Zielgruppe der Publizisten deutlich erweitert hatte. Bewegten sich einst überwiegend Neonazis, Antisemiten und Rechtsextreme in dieser anrüchigen Szene, schuf das Internet einen direkten Kanal in nahezu jedes Wohn- und Jugendzimmer. Auf diesen grundlegenden Wandel stellten sich viele Holocaustleugner ein, indem sie ihre Argumentationsmuster auf den erweiterten Adressatenkreis ausrichteten. Bis heute ist vielerorts der pseudo-akademische Habitus früher Jahre schnörkellosen Argumentationslinien gewichen, die in der Datenflut des Webs stärkere Akzente setzen können als sperrige Abhandlungen.

Den taktischen Wandel ermöglicht auch das Ableben der ersten Generation, die den Nationalsozialismus selbst miterlebt hat. Der Übergang von der individuellen zur kollektiven Erinnerungerleichtert es den Protagonisten, sich mit pauschalen Behauptungen in Szene zu setzen, eine vermeintlich schlüssige Beweisführung jedoch schuldig zu bleiben. Mit dem Heer der Zeitzeugen, die es aus eigener Erfahrung besser wissen müssen, verschwindet allmählich ein massiver Hemmschuh von der holocaustleugnenden Argumentationsschiene. Die stark konstruierten und wissenschaftlich verbrämten Machwerke früher Tage können zunehmend von griffigen Formeln und pointierten Thesen verdrängt werden. Während in frühen Publikationen die Shoah als Phantasiegebilde und Inszenierung einer „weltumspannenden jüdischen Verschwörung“ gewertet wurde, erscheinen derartige Totalleugnungen gegenwärtig nicht mehr opportun. Versuche, den Holocaust zu trivialisieren oder zu minimieren, lassen sich im politischen Mainstream leichter propagieren, da sie ihr antisemitisches Motiv besser verbergen können. Diese Argumentationsmuster rechnen beispielsweise alliierte Kriegsverbrechen mit deutschen auf oder wollen die Zahl der Holocaustopfer drastisch reduziert wissen. Zudem ist die Zunahme eines sekundären Antisemitismus – eines Antisemitismus wegen Auschwitz – im Internet vielfach zu beobachten. Mit der Behauptung, „die Juden“ würden Nichtjuden mit dem Holocaust politisch und finanziell erpressen, soll Erinnerungsabwehr geweckt werden. Derartige Postulate entwickeln sich zu einer dominierenden radikal-antisemitischen Propagandaform im Netz.

Neben den Inhalten durchlebt auch das Erscheinungsbild der Beiträge einen Wandlungsprozess. Während in den 1970er und 1980er Jahren dickleibige Monographien mit oftmals wuchtigen Anmerkungsapparaten eine saubere Recherche vortäuschen sollten, setzt die Szene heute auf starke Rezeptionsanreize. Es herrscht vielfach ein boulevardjournalistischer Stil, der die Inhalte mit Illustrationen und farbig unterlegten Überschriften reißerisch in Szene setzt (z.B. www.kreuz.net). Holocaustleugner imitieren zudem beliebte Webdienste wie „Wikipedia“ etc., um ihre Agitation als gewöhnlichen und zumindest diskutablen Standpunkt zu etablieren (www.metapedia.org). Während sich in frühen Schriften die Verfasser mit dem Abbilden von Hakenkreuzen und Ähnlichem als Sympathisanten des NS-Regimes auswiesen, werden derartige Assoziationen gegenwärtig tunlichst vermieden. Die Webinhalte geben sich vielmehr betont harmlos, beanspruchen Rede- und Informationsfreiheit und infiltrieren den Nutzer mit pseudo-humanistischer Rhetorik (z.B. www.vho.org). Dieser inszenierte Freiheitspathos, der „Kampf gegen das Establishment und die Macht der Medien“ sowie die unbedingte Solidarität mit den Palästinensern bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte für jugendliche Subkulturen. Die sich öffnenden Schnittstellen werden von Holocaustleugnern besetzt, um politisch ungefestigte Teile der Mehrheitsgesellschaft behutsam an ihre radikal-antisemitischen Vorstellungswelten heranzuführen.

Im Zuge offener Netze darf sich eine freiheitliche Gesellschaft nicht auf fragwürdige Regulierungsmaßnahmen staatlicher Stellen verlassen, sondern muss ihr Augenmerk auf diejenigen richten, die das vorrangige Ziel von Aufrufen zu Hass und Gewalt sind: den Kindern und Jugendlichen. Obwohl sie Garanten für ein von Toleranz und Respekt geprägtes Morgen sind, werden sie noch immer unzureichend auf die Netzrealität vorbereitet. Sinnvolle didaktische Konzepte zur Förderung von Medienkompetenz sind daher eine unerlässliche Voraussetzung für die nachhaltige Stärkung demokratischer Gesellschaftsstrukturen.

 

Dennis Beismann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik der Universität Kassel.