„Es geht um europäisches Kulturerbe“

Die Neue Jüdische Kammerphilharmonie in Dresden
Claus-Dieter Heinze, Dresden, ist Vorstand der Neuen Jüdischen Kammerphilharmonie. Wenn er über dieses Projekt spricht, wirkt der 77jährige Ex-Manager frisch wie mancher Vierzigjährige nicht. Denn für ihn und seine Mitstreiter geht es darum, „einen wichtigen Teil des europäischen Kulturerbes neu zu beleben: Komponisten, die z. T. hier in Dresden und Sachsen ausgebildet wurden, sollen wieder entdeckt werden. Dabei handelt es sich teilweise um Erst- und Uraufführungen.“
Nach 1933 verschwanden jüdische Komponisten schnell aus allen Repertoires. Zum Beispiel Gustav Mahler: Den durfte lediglich der „Jüdische Kulturbund“ noch spielen, empört sich Heinze im Gespräch mit Christoph Meyer, Regionalgruppensprecher Sachsen von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. Doch das Vergessen ging über die Befreiung hinaus: Ein Teil der Kulturfunktionäre der NS-Zeit blieb nach 1945 in Amt und Würden, und, so Heinze: „Diese Herren korrigierten ihre „Befunde“ nur marginal. So blieben die verfemten Komponisten weiter außen vor, und so haben zwei komplette Generationen sie nicht gehört. Dies erklärt auch, warum die meisten seiner Gesprächspartner, wenn es um die Finanzierung der Konzerte geht, erst mit dem geschichtlichen Hintergrund der „verfemten Komponisten“ vertraut gemacht werden müssen.
Es gab nach heutiger Schätzung etwa 200 verfemte Komponisten in Europa. Dieses verschüttete Erbe wird inzwischen auch freigelegt, so etwa vom französischen Komponisten Amaury de Closel in seinem Buch „Erstickte Stimmen“ (Köln 2010). Die Schicksale von 44 prominenten Künstlern – Komponisten, Dirigenten, Intendanten und Solisten – stehen im Mittelpunkt der Ausstellung „Verstummte Stimmen“, welche zur Zeit in der Dresdner Semperoper und im Schauspielhaus zu sehen ist.
Hier reiht sich die am 1. November 2007 gegründete „Neue Jüdische Kammerphilharmonie“ ein. Unterstützt von der Jüdischen Gemeinde Dresden ist ein Orchester mit derzeit 23 Mitgliedern entstanden, worunter etwa ein Drittel dem jüdischen Glaubensbekenntnis angehört. Es wurden schon 21 Vollkonzerte gegeben, so sind 17 Komponisten (wieder)entdeckt werden, wovon ein Drittel sächsische Wurzeln hat. Das Repertoire umfasst derzeit etwa dreißig Werke, wird jedoch stetig ausgebaut. Mehrfach ausgezeichnet und von MDR FIGARO am 8.11.2010 live aufgenommen, wird das Orchester im kommenden Jahr auch in Partnerstädten von Dresden auftreten
Mit drei Problemen sieht Heinze die Kammerphilharmonie konfrontiert. Natürlich, sagt er, gibt es in der Bevölkerung unterschwellig antisemitische Stimmungen, mit der Heinze, der schon beim Bau der Neuen Synagoge langjährig beteiligt war, immer wieder konfrontiert wurde und wird. Die harmlose Version: „Sie sind doch eigentlich Christ, warum machen Sie das für die Juden?“ Besonders schwer ist es, das nötige Geld für Aufführungen zu beschaffen. Schließlich handelt es sich bei den Musikern um Vollprofis. Spenden sind also stets willkommen. Und schließlich ist es schwierig“, so Heinze, das Notenmaterial zu beschaffen.“ Verlage in Wien, Paris, London, New York und Los Angeles sowie Privatpersonen in Israel werden dafür bemüht. Eine kostenintensive Recherche.
Claus Dieter Heinze ist aber optimistisch: „Wir wollen mit unserer Kammerphilharmonie, mit jüdischen und nichtjüdischen Musikern, den Gästen aus aller Welt die Werke verfemter Komponisten jüdischer Herkunft ans Herz legen. Diese Musik, Schätze europäischer Musikkultur, wiederzuentdecken, zu bewahren und für die Menschen unvergesslich zu machen, ist meine Hoffnung.“
Kontakt: Neue Jüdische Kammerphilharmonie Dresden, Postfach 50 02 51, D01032 Dresden,
E-Mail: cd.heinze(at)freenet.de, Web: www.juedische-philharmonie-dresden.de
Für Spenden (für Spendenquittungen bitte Name und Adresse angeben)
Bankverbindung: Volksbank Dresden, Bankleitzahl 85090000, Konto 2651391000

Dr. Christoph Meyer ist Geschäftsführer des Herbert-Wehner-Bildungswerkes in Dresden und Sprecher der RAG Sachsen von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.