Demokratische Teilhabe 2.0

Christoph Giesa

Teilhabe sieht in der Praxis anders aus als in der Theorie. Hier gilt es ganz andere Hürden zu überwinden. Die Transaktionskosten, um sich über politische und gesellschaftliche Themen zu informieren, sind in den letzten Jahren deutlich gesunken. Das Internet macht es möglich. Mit drei Mausklicks hat man die FAZ und die taz und noch einen passenden Weblog besucht und kann sich auf dieser Basis eine fundierte Meinung bilden. Die Transaktionskosten wiederum, um sich im Rahmen unserer Demokratie einzubringen, sind leider nicht im gleichen Maße gesunken, obwohl demokratisches Engagement inzwischen zunehmend in Konkurrenz zu einer steigenden Zahl von Fernsehsendern und anderen Freizeitangeboten steht. Das muss man nicht gut finden, aber es ist so.

Die Zeit, die man für eine Parteisitzung an einem Sonntagmorgen in einem verrauchten Hinterzimmer verbringt, schmerzt doppelt, wenn man eine ganze Handvoll alternativer Möglichkeiten dafür ausschlagen muss. Das Ergebnis ist wenig überraschend: die klassischen Parteien haben genauso ein Nachwuchsproblem wie auch Kirchen, Musik- und Sportvereine. Eine Trendumkehr in den bestehenden Strukturen wird nicht möglich sein. Die genannten Organisationen müssen sich also neu aufstellen, so dass sie in Zukunft wieder da sind, wo sich ihre potenziellen Mitglieder auch aufhalten, nämlich im Netz. Dabei werden sie lernen müssen, dieses nicht nur als „Marketing- und Vertriebskanal“ zu verstehen, über das man kostengünstig seine Positionen platziert, sondern vielmehr den Austausch zuzulassen.

All das sollte allerdings nicht als Bedrohung verstanden werden. Die Möglichkeiten müssen nur endlich genutzt werden. Die Nachfrage, das lässt sich etwa an der Entwicklung der Eingaben beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages sehen, ist schon da. Über 6.700 der insgesamt knapp 19.000 Petitionen im Jahr 2009 gingen per Internet ein. All diese Petitionen können dann darüber hinaus im Internet diskutiert und über die „Mitzeichnen“-Funktion auch von weiteren Menschen unterstützt werden, die den Antrag nicht selbst gestellt haben, aber deutlich machen wollen, dass sie das Anliegen teilen. Das war so früher nicht möglich. Die Zahl derjenigen, die mitmachen, hält sich allerdings bisher leider in engen Grenzen. Ein Grund dafür könnte im vergleichsweise komplizierten System der Petitionsseite liegen. Im dazugehörigen Forum wimmelt es von Klagen über den komplizierten und  langwierigen Anmeldungs- und Verifizierungsprozess. „Betreiber“ einer Demokratie sollten ein Interesse daran haben, das zu beheben und die Transaktionskosten für den einzelnen Nutzer so niedrig wie möglich zu gestalten, um die Teilhabe damit so einfach wie möglich zu machen. Denn diese ist in der Demokratie ein Recht, kein Almosen. 

Wie wäre es also, wenn man es den vielen anderen Seiten gleichtut, auf denen man die schon vorhandenen Profile aus großen Netzwerken nutzen kann, um sich unkompliziert einzuloggen und loszulegen? Und wie wäre es mit der Einbindung der größten Netzcommunity der Welt? Ein Facebook-„Like-Button“ für jede Petition, jeder Klick kostenlose Werbung für das Anliegen. Selbst wenn man übrigens so weit nicht gehen will, sollte eine ordentliche Informationsseite in den wichtigsten Netzwerken drin sein. Der Aufwand dafür hält sich in engen Grenzen. „Gegen Vergessen – für Demokratie“ ist diesen Schritt bereits erfolgreich gegangen, der Petitionsausschuss bisher leider nicht.

An anderer Stelle im Bundestag ist man inzwischen – nach langem Kampf, wohlgemerkt – schon etwas weiter. In den zwölf Projektgruppen der Internetenquetekommission werden bis Ende 2011 alle dort behandelten Themen zur Diskussion gestellt. Dort sind dann nicht nur die Dokumente und Meinungen der mitarbeitenden 17 Bundestagsabgeordneten und ebenfalls 17 externen Sachverständigen abruf-, kommentier- und bewertbar. Vielmehr können auch die Vertreter des „18. Sachverständigen“, also der Bürger, ihre Meinung äußern und diese zur Diskussion und zur Abstimmung stellen. Der Prozess des Umgangs mit den Vorschlägen ist dabei komplett transparent – genauso wie übrigens die Sitzungen der Kommission, die alle frei zugänglich ins Internet übertragen werden. Alle Vorschläge fließen in den Prozess der Erstellung von Positionspapieren ein, diese werden nochmals zur Abstimmung gestellt. So viel Mut war selten. Aber das darf nur der Anfang sein.

Christoph Giesa ist Autor des Buches „Bürger. Macht. Politik“ und Mitglied von Gegen Vergessen - Für Demokratie e. V.