Einweihung des Hinrich-Heitmann-Weges in Kirchlinteln

von Hermann Meyer, SPD-Ortsvereinsvorsitzender Kirchlinteln

Cord Heitmann, Sohn von Hinrich Heitmann (auf dem Plakat vor seinem Immenstand am Bückmann)

Für die Kirchlintler Sozialdemokraten und besonders für die unmittelbar betroffene Familie Heitmann ist die Einweihung des Hinrich-Heitmann-Weges am 22. Juni 2014 ein bewegender Augenblick und etwas ganz Besonderes in der Geschichte der Ortschaft Kirchlinteln gewesen, wurde hiermit doch zum ersten Mal offiziell an das Schicksal des Sozialdemokraten Hinrich Heitmann erinnert. Hinrich Heitmann wurde im Nationalsozialismus über zwei Monate im Arbeitserziehungslager Bremen-Farge gefangengehalten, nur weil er hungernden Zwangsarbeitern auf dem Bremer Hauptbahnhof öfter einen Kanten Brot zusteckte.

Auf Antrag der SPD-Fraktion vom 22. März 2012 beschloss der Gemeinderat am 30. Mai 2013: "Der Fußweg zwischen der Kreepener Straße und der Alten Dorfstraße, Ortschaft Kirchlinteln, erhält den Namen ,Hinrich-Heitmann-Weg'. Eine Gedenktafel zu Hinrich Heitmann wird aufgestellt." Am Sonntag, dem 22. Juni 2014, erfolgte nun die offizielle Einweihung des Weges zwischen der Alten Dorfstraße und der Kreepener Straße. Mehr als vierzig Anwesende, darunter viele aus der Heitmann-Familie, nahmen an der Eröffnung teil.

Der SPD-Ortsverein Kirchlinteln hat zu Hinrich Heitmann ein Flugblatt herausgegeben, in dem auf das Schicksal und den Mut Heitmanns erinnert wird. Nach den einführenden Worten von Bürgermeister Wolfgang Rodewald erinnerte SPD-Ortsvereinsvorsitzender Hermann Meyer an das Wirken des ehemaligen Genossen: Der Sozialdemokrat Hinrich Heitmann war Lademeister auf dem Hauptbahnhof Bremen. Er konnte nicht mit ansehen, wie die dort beschäftigten Fremdarbeiter Hunger litten. Für ihn war es selbstverständlich, ihnen so oft es ging einen Kanten Brot zukommen zu lassen. Dabei wurde Hinrich Heitmann gesehen und denunziert. Ende September 1944, kurz vor seinem 46. Geburtstag am 1. Oktober, verhaftete ihn die Bremer Gestapo während seiner Spätschicht auf der Arbeitsstelle und brachte ihn ins „Arbeitserziehungslager“ nach Bremen-Farge. Seit Mitte 1943 wurde hier der U-Boot-Bunker Valentin gebaut. Bis zur Befreiung vom Nationalsozialismus kamen hier mindestens 1700 Zwangsarbeiter zu Tode und bis zu 12 000 wurden hier eingesetzt.

Hinrich Heitmann war neben vielen anderen über acht Wochen den Torturen der SS und ihrer Helfershelfer ausgesetzt. Seine Familie in Kirchlinteln wusste lange Zeit nicht, wo er war. Nach zwei Wochen bangen Wartens erfuhren seine Frau Dora und die fünf Kinder Heinrich (15 Jahre), Friedrich (13 Jahre), Käthe (11 Jahre), Cord (7 Jahre) und Hartwig (6 Jahre), was mit ihrem Mann und Vater geschah. Nach knapp drei Monaten kam Hinrich Heitmann wieder frei.

In die „Arbeitserziehungslager“ kamen Arbeiter, die in irgendeiner Form Widerstand gegen das NS-Regime erkennen ließen, dazu gehörte auch das Verteilen von Brot an die Zwangsarbeiter im Bahnhof. Hier wurden die Häftlinge von den Wachleuten unter Schlägen zu schwersten Arbeiten angetrieben. Nach mehreren Wochen Zwangsarbeit kehrten sie ausgemergelt in die Betriebe zurück und dienten dort als Anschauungsmaterial, was bei unbotmäßigem Verhalten passieren konnte. Insgesamt existierten während des Dritten Reiches über 100 „Arbeitserziehungslager“ der Gestapo.

Im Gegensatz zu einer Einweisung in ein Konzentrationslager besaß das neue Lager den Vorteil, dass die zu disziplinierenden Arbeiter in der Nähe des Betriebes und unter Aufsicht der Bremer Behörden blieben, wodurch die schnelle Rückkehr an den Arbeitsplatz nach der Disziplinierung gesichert schien. Die Hafthöchstdauer wurde auf 56 Tage festgelegt. Weiter hieß es in dem Erlass: „Ist nach Ablauf der Gesamtzeit von 8 Wochen der Haftzweck nicht erfüllt, so ist beim Reichssicherheitshauptamt – Referat IV C 2 – die Verhängung von Schutzhaft und die Einweisung in ein Konzentrationslager zu beantragen.“

Das Vorzeigelager der Bremer Gestapo entwickelte sich bald zu einem wegen seiner Härte besonders berüchtigten Lager, wobei Historiker es als eines der wenigen Todeslager unter den „Arbeitserziehungslagern“ bezeichnen. Neben der katastrophalen Ernährung war die Brutalität von Lagerführern und Wachmannschaften verantwortlich für die vielen Todesfälle unter den Häftlingen.

Nach der Befreiung vom Faschismus 1945 durch die britischen Soldaten wurde Hinrich Heitmann von diesen gefragt, ob er nicht Bürgermeister von Kirchlinteln werden wolle. Die beengten Verhältnisse in „Lampens Huus“, wie das Haus der Familie Heitmann im Volksmund genannt wurde, zwangen ihn aber zur Ablehnung. Er nahm aber wie auch schon vor 1933 am politischen Leben teil: vom 28. November 1948 bis zum 8. November 1952 war Hinrich Heitmann Mitglied des Kreistages. Fünf Monate später, am 29. April 1953, starb er. Hinrich Heitmann wurde nur 54 Jahre alt. Die harte Arbeit und ständige Demütigung im „Arbeitserziehungslager“ hatten ihre Spuren hinterlassen. Der damals 16-jährige Werner Spehling, Nachbar von Heitmanns, konnte sich noch genau an ein Gespräch zwischen seinem Vater Johann und Hinrich Heitmann erinnern, das 1945 stattfand. Darin schilderte Heitmann seinem Nachbarn unter Tränen von den Folterungen und Quälereien in Bremen-Farge. Der SPD-Ortsverein sprach in seinem Nachruf von einem treuen Mitglied, welches auch im Dritten Reich seiner Gesinnung treu blieb und dafür Verfolgungen erleiden musste.

Die Kirchlintler SPD begrüßt es sehr, so Meyer, dass nun nicht nur mit einem Stolperstein vor „Lampens Huus“ sondern – nach fast 70 Jahren – mit der Benennung des Hinrich-Heitmann-Wegs und der Gedenktafel auch offiziell seitens der Gemeinde an das Schicksal von Hinrich Heitmann und an seinen Mut erinnert wird, während der grausamen Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 hungernden Menschen Brot zu geben, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Hinrich Heitmann neben Gerhard Klöver und Georg Thies Gründungsmitglied des SPD-Ortsvereins Kirchlinteln war: 1925, im Todesjahr des ersten sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert, der ebenfalls viel zu früh mit 54 Jahren verstarb.