Fahri Yardim: Laudatio auf WorldCitizen e.V.

Fahri Yardim.

Der Waltraud-Netzer-Jugendpreis erinnert an eine Frau, die als junge Studentin mutig und engagiert gehandelt hat. Waltraud Netzer hat während der NS-Zeit gemeinsam mit Kommilitonen Verfolgten Unterschlupf gewährt.  Der Preis, der ihren Namen trägt, würdigt seit 2010 Jugendprojekte, die sich aktiv mit der Vergangenheit auseinandersetzen und/oder die Entwicklung einer lebendigen Demokratie befördern. Besonderes Augenmerk wird auf Eigeninitiative, bürgerschaftlichen Einsatz und Impulse für weiter wirkendes Engagement gelegt.

Gestiftet wird der Preis von Dr. Nikolaus Netzer, der heute anwesend ist und dem ich ein herzliches Dankeschön zurufen möchte: Danke schön!

In diesem Jahr bekommen Salah Said, Hans Storck, Cem Baran Keskin und Amir Ohadi, vier junge Männer aus Berlin-Kreuzberg, diesen Preis. Sie sind die Gesichter des Projektes WorldCitizen. Sie werden ausgezeichnet, weil sie neue, ungewöhnliche  Konzepte erarbeitet haben, die ein besseres Verständnis zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Kulturen ermöglichen und den Dialog fördern.

Ihre Motivation ziehen sie aus eigenen Erfahrungen und dem Anliegen, nicht mehr dauernd gefragt werden zu wollen, wo sie eigentlich herkommen. Sondern lieber danach, wofür sie stehen, was sie interessiert, was sie denken. Das Konzept der Weltbürger erlaubt genau dies, und ich freue mich sehr, dass ich gefragt worden bin, ob ich die Laudatio für die jungen Männer halten kann, weil ich das Anliegen nicht nur sehr gut nachvollziehen kann, sondern weil ich es selbst teile.

Es gibt Preise,da muss ich meine Empathie bemühen, nachvollziehen zu können, dass der Preisträger auch preiswürdig ist. Heute ist es anders. In diesem Fall sprechen die Preisträger aus den Tiefen meiner eigenen Erfahrung. Sie berühren mit ihrem Engagement direkt meine Lebenswelt.

Diese ständige Konfrontation mit Herkunft. Dieses unheimliche Bedürfnis nach Eindeutigkeit, nach Festlegung, nach klaren Abgrenzungen, nach nationalen Eigenschaften, trennen, trennen, trennen. Der verkrampfte Versuch, mich, ja Tatortkommissar jetzt, zwischen konstruierten Leitkulturen zu verorten, mal als Bereicherung, als Brückenbauer - da diene ich dann als Projektionsfläche für ein Paradebeispiel an Integrationsbereitschaft - und mal als Parasit.

Und dann dieses ewige trennen wollen. Die nicht enden wollenden Beleidigungen, Zuschreibungen, Vorurteile,  absurd vollendet in den Fragen vieler Journalisten: Ja, was sind Sie denn jetzt, Sie müssen sich festlegen Herr Yardim,  türkisch oder deutsch? Als müsste ich mich für eine Nationalmannschaft entscheiden. Das muss ich nicht. Hamburger, war bisher meine trotzige Antwort, denn ich traute mich nicht das Selbstverständliche zu sagen, das was ich bin, ich bin Mensch. Und genau dazu ermutigen WorldCitizen.

Schauen Sie sich um in den Großstädten. Kreuzberg. Diese Vielfalt, wunderbar. Alles war immer Vielfalt  um mich herum. Eifersucht, Krankheit, Verliebtsein, Angst, Freiheitsbegriff, Auseinandersetzung mit den Eltern, Vertrauen, alle diese kleinen und großen Dinge, enden doch nicht an nationaler Grenze. Alles, was mein Leben wirklich ausmacht, meine Empfindungen, Grundbedürfnisse nach Nähe, Sicherheit, Freiheit, nach spielen und so weiter, das kennt keine Nation. Das Regal meiner Mutter, das fiel mir dazu ein, das ist gelebtes WorldCitizen. Die Musik einer ganzen Welt kuschelt sich da aneinander, und ihr Essen, als würde man die Welt verspeisen, und wenn sie tanzt, dann tanzen Kontinente. Ja, das klingt ein bisschen pathetisch. Ich stehe hier gern, und ich wünsche mir, dass dieses Projekt weite Kreise zieht.

Die WorldCitizens, die sind Vorbild darin, sich aus der passiven Zuschauerrolle, aus diesem resignativen Gestus: Ach wir können doch eh nix ändern, zu befreien und gesellschaftlich aktiv zu werden. Sie handeln dabei aus eigenem Antrieb, sie tun das aus Erfahrung, aus der eigenen Biografie heraus, aus Leidenschaft für ihre Sache.

Menschen wie sie machen die Demokratie lebendig. Denn Demokratie besteht nur dort, wo Menschen sie leben. Demokratie braucht Demokraten.

Sie erinnern mich an den Idealismus meiner Jugend. Ich war fast auf jeder Anti-Neonazi-Demo dabei, musste Knüppel und Wasserwerfer schlucken. Denn eines war mir bewusst, besonders in Deutschland: Ich werde nicht vergessen. Und: nie wieder Faschismus. WorldCitizen schreien  auf friedlichste Weise  mein Gewissen hervor und ermutigen, wo Angst herrscht.  Auf viele Erwachsene mag der Titel WorldCitizen naiv klingen, klar, als würde mit Pathos eine Einheit beschworen, wo es in der Welt vor Konflikten doch nur so wimmelt. Aber die WorldCitizen sind nicht naiv, sie bestehen nur darauf, zuerst als Menschen gesehen zu werden und andere ebenfalls zuerst so zu sehen. Es ist also eine Frage der Betonung.

In den  Integrationsdebatten in Deutschland werden ansonsten fast nur Unterschiede herausgestellt, Migranten werden vor allem als Problemträger benannt wie derzeit Sinti und Roma. Muslime sehen sich immer häufiger pauschal verurteilt als rückständig, frauenfeindlich, potenziell terroristisch, integrationsunwillig und ich könnte ewig so weiter hetzen, bis Sie von den Stühlen rutschen.

Die Betonung der Probleme einer Minderheit droht hier den Blick auf die Gesamtsituation zu verstellen. Die WorldCitizen suchen hingegen ganz selbstbewusst nach Gemeinsamkeiten und Dingen, die verbinden können. Witzig, in meinen esoterisch angehauchten Lebensratgebern ist das eine weibliche Eigenschaft. Die vier Preisträger würden in jedem zweiten Zeitungsartikel als testosterongesteuerte Vollproleten betrachtet. Ich meine, hören Sie ihnen eine Minute wirklich zu. Dann sehen Sie Menschen mit durchaus weiblichen Anteilen. 

Sie haben aber auch keine Angst davor, von Visionen zu reden. Sie wollen tatsächlich die Welt verändern und Mauern einreißen, was sich sonst kaum noch jemand zutrauen will. Ach die Jugendlichen, die machen doch nüscht mehr, alle verdrossen, wir werden alle den Bach runter gehen. Nein, es gibt sie, sie gehen in Schulen und Jugendzentren, um das zu tun, was alle immer fordern: Dialoge zu führen, Menschen dazu zu bringen, sich in andere hineinzuversetzen. Probleme des Zusammenlebens  verschiedener Kulturen werden dabei ebenso thematisiert, wie Identitäten oder Unterschiede benannt. „Es ist erwünscht, sich über Nationalitäten, Religionen etc. zu definieren. Jedoch sollten wir uns nicht bewusst auf diese reduzieren“, heißt es in ihrem Jahresbericht. Sie trauen sich viel und erreichen dabei tatsächlich viel.

So, wie sie selbst ihre persönlichen Motive und Vorstellungen offen legen, sprechen sie auch die Jugendlichen an, die an ihren Workshops teilnehmen. Die Teilnehmer werden ernst genommen,  die Methoden sind  spielerisch, auf die jeweilige Gruppe und deren Themen zugeschnitten und finden auf Augenhöhe statt. Außerdem sprechen sie die gleiche Sprache, denn die WorldCitizen sind eben selbst noch jung und absolut nicht abgehoben.

Wer sich für das Projekt begeistert, wird zudem sofort eingebunden, als Worldaholic oder aktiver „Botschafter“.  Damit sind die WorldCitizen nicht nur ehrenamtlich aktiv, sie regen auch viele andere junge Menschen an, sich gesellschaftlich zu engagieren. Gegründet im Oktober 2010, umfasst ihr Netzwerk mittlerweile rund 1000 bekennende WorldCitizen, 15 sogenannte Botschafter tragen die Ideen in andere Städte und Regionen und bieten selbst Veranstaltungen an.

Das schönste aber ist, finde ich, dass sie der lebendige Beweis sind, dass Engagement Spaß machen kann, dass sie sich hinstellen und uns erinnern, wer wir sind, hinter dieser gegenseitigen Angst, dieser Angst vor dem Fremden, hinter den konstruierten Feindschaften. Sie erinnern uns daran, dass es unbedingt nicht zu vergessen gilt, dass wir vor allen Dingen Menschen sind!

ich weiß, es klingt pathetisch, es klingt naiv, na und, es ist wahr.

Menschsein, diese Gemeinsamkeit könnte so friedensstiftend sein.  Diese Vision, lebt sie weiter!  Ich verspreche Euch, ich werde in jedem Interview zum Tatort pathetisch und einfach antworten: Ich bin kein Quoten-Migrant, Alibi-Türke, Deutsch-Türke, Deutscher mit türkischem Migrationshintergrund, nein, ich bin Mensch. Es ist eine Frage der Betonung.

Danke macht weiter so und herzlichen Glückwunsch,

Salah Said, Hans Storck,

Cem Baran Keskin und Amir Ohadi