Podiumsdiskussion: Hilflosigkeit als Zukunft der Erinnerungskultur?

Paul Nemitz, Mitglied des Vorstandes von Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V., berichtet von der Veranstaltung der Vertretung des Bundeslandes Hessen bei der Europäischen Union in Brüssel

Paul Nemitz ist Mitglied des Vorstandes von Gegen Vergessen - Für Demokratie e. V. und Mitglied des Board of Trustees des Leo Baeck Instituts, New York/Berlin. Er war bei der Podiumsveranstaltung im Mai dabei, hier seine Zusammenfassung der tagesaktuellen Diskussion:

"In der Programmgestaltung nah am Puls der Aktualität versammelte der Leiter der Vertretung des Bundeslandes Hessen bei der Europäischen Union in Brüssel, Friedrich von Heusinger, am 17.5.2018 unter der Überschrift "Wie steht es um die Zukunft der Erinnerungskultur?" in seinem Haus ein Podium hauptberuflicher Protagonisten der Erinnerungskultur. Es diskutierten Prof. Dr. Sybille Steinbacher, Historikerin und Leiterin des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt, Katarina von Schnurbein, Beauftragte der Europäischen Kommission für Kontakte zu den jüdischen Verbänden und den Kampf gegen Antisemitismus in Europa, Dr. Felix Klein, seit Mai der erste Beauftragte der Bundesregierung zum Kampf gegen Antisemitismus und Maram Stern, stellvertretender Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses und seit 1989 Leiter des Brüsseler Büros dieser Organisation unter dem Vorsitz von Ronald Lauder mit Hauptsitz in New York. 

Prof. Steinbacher stellte in ihrem exzellenten Einführungsvortrag, der hoffentlich veröffentlicht wird, die Arbeit des 2009 gegründeten Opens external link in new windowFritz Bauer Instituts an der Universität Frankfurt vor. Bauer, der als Staatsanwalt die wesentlichen Hinweise zur Ergreifung Eichmanns in Argentinien gab und sich die juristische Verfolgung der Naziverbrechen zur Lebensaufgabe gemacht hat, war lange in Vergessenheit geraten. Heute sind an dem nach ihm benannten Institut über 20 Historiker und Pädagogen beschäftigt. Das gemeinsame Opens external link in new windowpädagogische Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt erstellt Lehrmaterial und führt Fortbildungskurse durch zu den Themen Deutsch-jüdische Geschichte im europäischen Kontext, Jüdische Gegenwart,Antisemitismus und Rassismus sowie Holocaust.

Maram Stern hat gerade im Spiegel ("Auf einem Vulkan gebaut?" Spiegel Nr. 18 vom 28.4.2018) einen viel beachteten Opens external link in new windowAufsatz zum neuen Antisemitismus in Deutschland veröffentlicht. Vom Moderator 'Ralph Sina, Leiter des WDR/NDR Hörfunkstudios in Brüssel, gefragt, ob er denn die Hoffnung aufgebe, den Antisemitismus aus dieser Welt zu verbannen und wo er nach seiner Pensionierung leben wolle, sagte Stern frei heraus, er wolle nach Berlin ziehen, aber die Hoffnung auf ein Europa ohne Antisemitismus und damit ein normales Leben für Juden in Europa schwinde. Es sei zu einfach, nun den islamischen Flüchtlingen der Verantwortung für die neue Welle des Antisemitismus zu geben. Antisemitismus habe eine lange Geschichte in Deutschland und Europa, er komme von Rechts und von Links, und es bleibe Aufgabe des Staates und der Zivilgesellschaft, dagegen vorzugehen und Religionsfreiheit zu schützen, und zwar ohne Minderheiten gegeneinander auszuspielen.   

Katarina von Schnurbein forderte, jede gesellschaftliche Gruppe, von Links nach Rechts, und jede Religion müsse in den eigenen Reihen gegen Antisemitismus aktiv werden. Die Opens external link in new windoweuropäische Kommission stehe für einen klaren Kurs der Toleranz und Nicht- Diskriminierung und beziehe auch deutlich Stellung, wenn etwa von einem Abgeordneten des Europäischen Parlamentes diskriminierendes oder antisemitisches vernommen werde.

Dr. Felix Klein berichtete von seinem Brief an die Süddeutsche Zeitung, mit der er eine an den Antisemitismus im "Stürmer" erinnernde Netanjahu Karikatur monierte. Die SZ entschuldigte sich für der Veröffentlichung und beendete die Zusammenarbeit mit dem Zeichner Dieter Hanitzsch (Opens external link in new windowDie Welt, 17.5., "Antisemitismusbeauftragter kritisiert Süddeutsche Zeitung scharf").  

Im Publikum saß währenddessen Arthur Langerman aus Brüssel, dessen Sammlung antisemitischer Propaganda, die größte weltweit, viele der wüsten antisemitischen Karikaturen von Philipp Ruprecht ("Fips") in der Originalzeichnung enthält (siehe zur "Sammlung Langerman" die Opens external link in new windowPressemitteilung des Zentrums für Antisemitismus Forschung der TU Berlin vom 17.10.2017).   

Der Moderator berichtete von Studienfreunden, die als Lehrer hilflos sind, wenn heute auf dem Schulhof "Du Jude, Dich knall ich ab" gerufen wird. Auf dem Podium bestand Einigkeit darüber, dass Lehrer in der Aus - und Weiterbildung besser auf so etwas vorbereitet werden und auch Strategien sowie Materialien zur Bekämpfung des neuen Antisemitismus an die Hand bekommen müssen. Jetzt, da mit dem Tod der letzten Zeitzeugen die unmittelbaren biographischen Bezüge zur Nazizeit verloren gehen, braucht Erinnerungsarbeit einen neuen Impetus, betonte Friedrich von Heusinger unter Hinweis auf Narvid Kermina (Opens external link in new windowFAZ, 7.7.2017, "Auschwitz morgen: Navid Kermani über die Zukunft der Erinnerung")."