„Zukunft braucht Geschichte“ - So lautet der Leitspruch der Eugen-Gutmann-Gesellschaft e.V.

Besuch des Historischen Archivs der Commerzbank AG

Eugen Gutmann um 1900 (Foto: Commerzbank AG)

Am 7. März 2016 besuchten interessierte Mitglieder aus den Regionalen Arbeitsgruppen Rhein-Main und Hessen-Süd von „Gegen Vergessen - Für Demokratie“ das Historische Archiv der Commerzbank AG in Frankfurt am Main. Der Leiter des Archivs, Dr. Detlef Krause, sowie Dr. Katrin Lege, Geschäftsführerin der Eugen-Gutmann-Gesellschaft e.V., gaben aufschlussreiche Einblicke in das „Langzeitgedächtnis“ der traditionsreichen Frankfurter Großbank. Seit vielen Jahren widmen sich die beiden Historiker bankgeschichtlichen Themen.

 

Impression aus dem Historischen Archiv (Foto: Commerzbank AG)

Zentraler Auftrag des Historischen Archivs der Commerzbank AG ist die Pflege des „kulturellen Erbes“ der Bank: Neben der fachgerechten und systematischen Sicherung und Erschließung von archivwürdigen Unterlagen und Gegenständen zählen dazu auch die interne und externe historische Kommunikation (Anfragen, Recherchen, Unterstützung von Präsentationen, Reden und Veranstaltungen) sowie eigene Forschungsbeiträge und Veröffentlichungen. Im Historischen Archiv werden heute insgesamt 15 Regalkilometer Akten verwahrt. Das Archivmaterial entspricht damit circa 180.000 Ordnern. Darunter befindet sich auch der historische Aktenbestand der früheren Dresdner Bank AG, der seit Ende 2010 als national wertvolles Kulturgut eingetragen ist. Daneben umfasst der Archivbestand über 55.000 Fotos, zahlreiche audiovisuelle und digitale Medien, Werbeartikel, historische „Büromaschinen“ und vieles andere mehr. Organisatorisch gehört das Historische Archiv zum Konzernbereich „Unternehmenskommunikation“.

Mit der Übernahme der Dresdner Bank AG durch die Commerzbank AG im Jahre 2009 fusionierten zwei Kreditinstitute, deren Anfänge bis in die Gründerzeit des Kaiserreiches zurückreichen: Die Commerzbank AG wurde im Jahre 1870 von hanseatischen Kaufleuten und Privatbankiers gegründet. Ihre geschäftlichen Schwerpunkte waren vor allem die Finanzierung des Mittelstands sowie des Außenhandels. Seit etwa 1900 entwickelte sich das Institut zu einer der deutschen Großbanken in Berlin. Die Dresdner Bank AG wurde im Jahre 1872 vom jüdischen Unternehmer und Bankier Eugen Gutmann (1840–1925) zusammen mit den Inhabern des Privatbankhauses Michael Kaskel in Dresden gegründet. Im Jahre 1884 verlagerte sie ihren Hauptsitz ebenfalls nach Berlin. Unter der Leitung von Eugen Gutmann wandelte sich das Regionalinstitut zur zweitgrößten Bank im Deutschen Reich.

Eugen Gutmann um 1900 (Foto: Commerzbank AG)

Die Eugen-Gutmann-Gesellschaft e.V. fungiert heute als die Historische Gesellschaft der Commerzbank AG. Entstanden ist sie anlässlich des 130-jährigen Jubiläums der Dresdner Bank AG im Jahr 2002. Mit der Fusion im Jahre 2009 hat die Commerzbank AG auch die Förderung der Eugen-Gutmann-Gesellschaft übernommen. Mit ihren aktuell über 750 Mitgliedern möchte sie als gemeinnütziger Verein das Interesse an der Geschichte der beiden Banken sowie an der allgemeinen Bank- und Finanzgeschichte wecken und stärken. Dieser Aufgabe kommt sie mit Publikationen, Vortragsveranstaltungen und Ausstellungen nach. Darüber hinaus fördert die Eugen-Gutmann-Gesellschaft bankhistorische Forschungsprojekte (s. Homepage: www.eugen-gutmann-gesellschaft.de).

Schon bald wird für die Historiker der Commerzbank AG das nächste größere Projekt starten: Die Vorbereitung des 150. Gründungsjubiläums der Bank im Jahre 2020.

In einem eigenen Vortrag wurde unseren Mitgliedern das geschäftliche Verhalten der beiden Banken in der Zeit des Nationalsozialismus erläutert. Demnach startete die Dresdner Bank AG Anfang 1998 ein Forschungsprojekt zu ihrem Wirken in der NS-Zeit. Sie berief dazu eine Kommission von Historikern unter Leitung von Prof. Klaus-Dietmar Henke vom Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Technischen Universität Dresden, welche die Rolle des Instituts während der NS-Diktatur untersuchen sollte. Der daraus entstandene und im Jahre 2006 veröffentlichte vierbändige Forschungsbericht (s. Literaturhinweis) rekonstruiert detailliert die - unter dem Primat der Politik - erhebliche Verstrickung der damals zweitgrößten deutschen Bank und belegt die geschäftspolitische Anpassung und Mittäterschaft wichtiger Entscheidungsträger. Dabei zeichnete sich die Dresdner Bank AG als „Hausbank“ der SS durch eine besondere Regime-Nähe aus. Das Wirken der Commerzbank AG in dieser Zeit untersuchte ab 1999 ein Projektteam unter der Leitung des Berliner Historikers Prof. Ludolf Herbst von der Humboldt-Universität zu Berlin. Aus dieser Arbeit resultierte, neben zahlreichen Einzelstudien, ein im Jahre 2004 veröffentlichter Sammelband (s. Literaturhinweis), der sich insbesondere mit der Beteiligung und Mitverantwortung an der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der jüdischen Bevölkerung auseinandersetzt. Auch die Commerzbank AG drängte sukzessive ihre jüdischen Mitarbeiter aus der Bank, wirkte im Rahmen des geltenden „Rechts“ bei Enteignungen jüdischen Vermögens mit und beteiligte sich im geschäftlichen Interesse an der Abwicklung und Finanzierung von Unternehmensübertragungen aus ehemals jüdischem Besitz. Während des Krieges wurde zudem die geografische Expansion der beiden Banken in den besetzten Gebieten vorangetrieben.

Nach der Beantwortung abschließender Fragen nahmen unsere Mitglieder von diesem informativen Abend den Eindruck mit, dass die facettenreiche Geschichte der Banken ein faszinierender Spiegel sozialer, wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen, Krisen und Umbrüche darstellt.

 

Literaturhinweis:

Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.): Die Dresdner Bank im Dritten Reich; vier Bände von Johannes Bähr, Klaus-Dietmar Henke, Harald Wixforth u. Dieter Ziegler; Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2006, 2.372 Seiten; ISBN: 348677808

 

Ludolf Herbst, Thomas Weihe (Hrsg.): Die Commerzbank und die Juden 1933-1945; C. H. Beck Verlag, München 2004,  444 Seiten, ISBN: 3-406-51873-7

 

von Jürgen Vits

Direktor in der Commerzbank AG, Frankfurt am Main
Mitglied der Eugen-Gutmann-Gesellschaft e.V.
Mitglied von „Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.“, Regionale Arbeitsgruppe Rhein-Main