Beeindruckende Gesamtdarstellung des gewerkschaftlichen Widerstandes

Willy Buschak: Arbeit im kleinsten Zirkel

(Buchbesprechung von Dr. Axel Ulrich und Andreas Dickerboom)

Buchcover

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Vor fast einem Vierteljahrhundert  ist bereits eine seinerzeit schon viel beachtete Monographie Willy Buschaks zum gewerkschaftlichen Widerstand gegen das NS-Regime erschienen. Nun hat der Autor, einer der versiertesten Kenner dieses wichtigen, gleichwohl noch immer vielfach verkannten Teilbereichs der deutschen Widerstandsgeschichte, unter demselben Titel „Arbeit im kleinsten Zirkel“ eine deutlich überarbeitete und erheblich erweiterte Neuausgabe jenes Werks vorgelegt. Hierin sind akribisch zahlreiche in der Zwischenzeit frisch aufgespürte Quellen wie auch die seither zum Thema erschienene Spezialliteratur verarbeitet worden, sodass jetzt viele neue Erkenntnisse und verschiedentlich auch etwas anders als vordem akzentuierte Sichtweisen präsentiert werden können. Völlig zu Recht keiner Revision unterziehen mochte Buschak hingegen seine 1993 vorgebrachte scharfe Kritik an der einstmals vor allem vom inzwischen verstorbenen Gewerkschaftshistoriker Gerhard Beier vertretenen Meinung, wonach der Kreis der bis dahin führenden Gewerkschafter, der sich ab 1933 in Berlin konspirativ zusammengefunden und sich selbst als illegale Reichsleitung der Gewerkschaften verstanden hatte, in exakt dieser strukturellen Ausformung sowie in Verbindung mit demgemäßen weiteren Führungsgremien der diversen Berufs- und Industrieverbände und angeblich gestützt sogar auf eine – allen Ernstes – millionenfache Anhängerschaft in der arbeitenden Bevölkerung  bis in die letzten Kriegsmonate hinein fortzuwirken vermocht habe (S. 17 u. S. 302–308).

Gewerkschaftlicher Widerstand wird von Buschak als eine „Tätigkeit“ verstanden, „die darauf aus war, Mitglieder oder Funktionäre der Gewerkschaften zu sammeln und den Zusammenhang unter Gewerkschaftsmitgliedern und Gewerkschaftsangestellten nicht abreißen zu lassen“, nicht zuletzt um diese, aber auch befreundete Gewerkschaftsorganisationen im Ausland mit wahrheitsgetreuen Informationen „über die Lage in den Betrieben sowie in der Arbeiterschaft“ im faschistischen Deutschland zu versorgen. Dies erfolgte – ganz genauso wie die entsprechenden, hiervon indes nur schwer abzugrenzenden Aktivitäten der ebenfalls illegal operierenden Arbeiterparteien – mit der Zielsetzung, perspektivisch zum Sturz des NS-Regimes beizutragen (S. 10 ff.). Jene „Arbeit im kleinsten Zirkel”, welche von zahllosen Mitgliedern und Funktionären der 1933 von den Faschisten zerschlagenen Gewerkschaften landauf, landab, mit besonderer Intensität jedoch in den industriellen Ballungsräumen geleistet worden ist, und dies tatsächlich zwangsläufig meist nur bis in die zweite Hälfte der 1930er-Jahre hinein, bildet den Schwerpunkt  der Darstellung. Die titelgebende Wendung entstammt übrigens einem zeitgenössischen Periodikum der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (S. 18 u. S. 148) und charakterisiert schon sehr zutreffend jenes vorsichtige antifaschistische Agieren der manchmal größeren, in der Regel aber nur recht kleinen klandestinen Überreste aus dem ausgedehnten früheren gewerkschaftlichen Organisationsgeflecht.

Doch zunächst verwendet Buschak immerhin fast ein Viertel des Umfangs seines neuen Buchs auf die detaillierte Schilderung des höchst problematischen Lavierens der Gewerkschaftsführungen durch die Bedrängnisse während der Endphase der Weimarer Republik, welche durchaus nicht allein durch die unnachgiebig an die Macht drängenden Faschisten verursacht worden sind: von der kampflosen Hinnahme des „Preußen-Putsches“ erzreaktionärer Kräfte am 20. Juli 1932 gegen die dortige SPD-geführte Landesregierung über die nachfolgenden Bestrebungen zur Bildung einer „Querfront“ zwischen dem Präsidialkabinett des vormaligen Reichswehrministers Kurt von Schleicher, dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) und dem vorgeblich antikapitalistischen Flügel der NSDAP um den beinharten Rassisten Gregor Strasser zwecks Bekämpfung der horrenden Massenarbeitslosigkeit bis hin zu den nicht weniger schmählichen Anbiederungsversuchen der nichtkommunistischen Richtungsgewerkschaften an die inzwischen fest etablierte Hitler-Regierung im Frühjahr 1933, die dann von den Nazis am 2. Mai mit dem reichsweiten Sturm auf die Gewerkschaftshäuser beantwortet wurden (S. 19–99). Die „für alle Fälle“ erarbeiteten „Generalstreikpläne“ des ADGB waren „in der Schublade“ geblieben, da man dort dem Trugschluss erlegen war, man könne sich noch „mit demokratischen Mitteln“ zur Wehr setzen, „solange es auch nur ein Quäntchen Hoffnung gab“ (S. 400).

Die Schaffung von sich über das gesamte Reichsgebiet ausdehnenden, fest gefügten und zentral gesteuerten Widerstandsorganisationen der Gewerkschaften war danach, dies macht Buschak auf vielfältige Weise deutlich, schlichtweg nicht mehr möglich, wohl aber die Bildung unterschiedlich stark ausgeprägter informeller Kontaktnetze diverser Einzelverbände sowie mancher Gewerkschaftsführer. Dieser Sachverhalt wird besonders anschaulich dargestellt im umfangreichsten Kapitel der Studie, welches dem recht breiten Widerstand aus den diversen Sparten des Transportwesens gewidmet ist (S. 150–199). Zu den dort noch real verbliebenen Handlungsmöglichkeiten hatte z. B. Hans Jahn, der führende Kopf der NS-Gegner aus dem Einheitsverband der Eisenbahner Deutschlands, bereits Ende 1936 vom Exil aus festgestellt, „von einer Organisation im alten Sinne“ könne im Reichsgebiet „nicht gesprochen werden. Was nach mühevoller Arbeit möglich war“, sei „die Herstellung mehr oder minder enger Verbindungen und Beziehungen“ gewesen und „im Laufe der Zeit die Schaffung von Kadern“ (S. 163).

Weitere Kapitel befassen sich mit dem dessen ungeachtet ebenfalls sehr beachtlichen Widerstand aus dem Deutschen Metallarbeiter-Verband (S. 200–227), mit dem 1936 im Pariser Exil ins Leben gerufenen Arbeitsausschuss freigewerkschaftlicher Bergarbeiter (S. 228–247), mit dem antinazistischen Agieren von Nahrungsmittelarbeiterinnen und -arbeitern sowie von Kellnerinnen und Kellnern (S. 248–266), von Textilarbeiterinnen und Textilarbeitern  (S. 267–274), von Bekleidungsarbeiterinnen und -arbeitern (S. 275–286) sowie von Angestellten (S. 287–295). Sodann begibt sich Buschak auf „Spurensuche“ selbst nach geringfügigsten Hinweisen zum „Widerstand aus den Reihen anderer Gewerkschaften“, nämlich zu dem von Maschinisten und Heizern, von Bauarbeitern, Fabrikarbeitern, Buchdruckern und Buchbindern, von Holzarbeitern und Landarbeitern wie auch zur Kooperation einiger Gewerkschaften auf lokaler Ebene (S. 296–301). Erwartungsgemäß kritisch, doch nicht immer treffgenau werden zudem die bereits erwähnte Berliner Reichsleitung der Gewerkschaften sowie die seit Mitte der 1930er-Jahre vom tschechoslowakischen Komotau aus agierende Auslandsvertretung der deutschen Gewerkschaften gewürdigt (S. 302–329). Gleichfalls dezidierte Kritik wird an der zu jener Zeit schon zerfallenen bzw. aufgelösten Revolutionären Gewerkschaftsopposition der Kommunisten geübt, die aber immerhin in etlichen ihrer regionalen Ausprägungen dargestellt wird (S. 330–364).

Die seit seiner Entlassung aus der KZ-Haft Mitte 1934 vom früheren hessischen Innenminister und ADGB-Vorstandsmitglied Wilhelm Leuschner zusammen mit Jakob Kaiser von den christlichen Gewerkschaften sowie vielen weiteren Freunden und auch viel später erst hinzugekommenen Mitstreitern geschaffene, am Ende außerordentlich weit verzweigte, nahezu gänzlich enthierarchisierte und dezentralisierte Widerstandsstruktur, die schon bald nichts mehr mit der seinerzeitigen illegalen Reichsleitung der Gewerkschaften gemein hatte, rückt Buschak abschließend in den Fokus (S. 365–396). In jenes von Leuschner und Kaiser selbst sowie durch einige, vom Autor freilich unzutreffenderweise in Abrede gestellte konspirative Kuriere (S. 371) und nur wenige Kontaktpersonen vor Ort wie auch auf regionaler Ebene zusammengehaltene, überaus locker geknüpfte informelle Netzwerk waren sozialdemokratische, linkssozialistische, liberale und konservative Oppositionelle eingebunden, Gewerkschafter und Unternehmer, Militärs wie Pazifisten und Kirchenleute usw., und hie und da hatte es sogar Berührung mit dem Rand des kommunistischen Untergrundes. Dieses von der Gestapo niemals enttarnte antinazistische Beziehungsgeflecht wird mit den von Buschak verwendeten Begriffen „Leuschner-Kreis“ und „Kaiser-Kreis“ sicherlich völlig unzulänglich, weil seine politische Bedeutung und seinen tatsächlichen Umfang minimalisierend gekennzeichnet (z. B. auf S. 370). Die dort auf eine höchst modern anmutende Weise zusammengeführten Widerstandskräfte hätten sofort aktiviert werden sollen, wenn der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 erfolgreich verlaufen wäre. Durch sie sollte die Militäraktion unterstützt und der anschließend beabsichtige Re-Demokratisierungsprozess initiiert, vorangetrieben und dauerhaft abgesichert werden. Das hierzu mobilisierungsfähige Widerstandspotential allein aus dem Bereich der Gewerkschaften  – und dies ist sicherlich das überraschendste Novum in Buschaks neuester Publikation – wird von ihm andererseits mittlerweile auf „Tausende, aber nicht Zehntausende“ NS-Gegner insgesamt geschätzt (S. 308), womit er nun die diesbezüglichen Quantifizierungen von beispielsweise Michael Schneider, Siegfried Mielke, Wolfgang Hasibether und auch von uns selbst bestätigt. Der wichtigste Faktor bei der Errichtung einer neuen Demokratie wäre mit großer Wahrscheinlichkeit die von Leuschner und seinen engsten Mitstreitern konzipierte „Deutsche Gewerkschaft“ geworden, eine auf Pflichtmitgliedschaft beruhende, parteipolitisch nicht festgelegte Einheitsorganisation aller lohn- und gehaltsabhängig Beschäftigten ab 18 Jahren, die sich zunächst der noch eine Weile fortbestehenden Organisationsstrukturen der faschistischen „Deutschen Arbeitsfront“ hätte bedienen sollen (S. 380–384).

Nach einer Schlussbetrachtung, in der Buschak u. a. einige eindrucksvolle Beispiele für die klare Antihaltung des gewerkschaftlichen Widerstandes gegenüber der faschistischen Judenverfolgung aufführt (S. 397 ff.), folgen noch einige exemplarische Lebensläufe widerständiger Gewerkschafter (S. 404–431) sowie ein umfangreicher Anhang mit Quellen- und Literaturverzeichnissen, einem Personenindex und dergleichen mehr (S. 433–462).

Alles in allem hat der Autor hiermit das Standardwerk zur Widerstandsgeschichte der deutschen Gewerkschaften vorgelegt, durch das sich das derzeit nur noch betrüblich schwach ausgeprägte Interesse zumal vieler ihrer eigenen Funktionäre und Mitglieder an ihrer Organisationsgeschichte hoffentlich bald wieder entfachen lässt.


Willy Buschak
Arbeit im kleinsten Zirkel. Gewerkschaften im Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur.
Klartext Verlag: Essen 2015
Broschiert, 462 Seiten
ISBN 978-3-8375-1206-9
39,95 €


Andreas Dickerboom, Axel Ulrich


Dr. Axel Ulrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stadtarchiv Wiesbaden und Autor zahlreicher Schriften zum antinazistischen Widerstand. Andreas Dickerboom ist Sprecher der Regionalen Arbeitsgruppe Rhein-Main von Gegen Vergessen - Für Demokratie.