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RAG Rhein-Main: „Himmlers Kinder“ - Die SS-Organisation „Lebensborn“

Andreas Dickerboom

„Heilig ist uns jede Mutter guten Blutes“ – so der Titel der SS-Zeitschrift „Das Schwarze Korps“ über die Heime des „Lebensborn e.V.“. Zurück ging die Sentenz auf Heinrich Himmler, der die Einrichtung dieser exklusiven und gleichzeitig rassistischen Organisation maßgeblich vorangetrieben hatte.  In seinem Buch „Himmlers Kinder. Zur Geschichte der SS-Organisation 'Lebensborn e.V.' 1935-1945“ hebt der Autor Thomas Bryant die Bedeutung des Rassegedankens hervor. Er zeigt auf, dass der „Lebensborn“ sich scheinbar fortschrittlich als Anwalt von Müttern unehelicher Kinder ausgab, in Wirklichkeit aber nur die Erhaltung „deutschen Blutes“ im Sinne hatte. Anlässlich des Holocaust-Gedenktags, der seit vielen Jahren in Wiesbaden vorbildlich begangen wird, fand im „frauen museum wiesbaden“ eine Lesung und anschließende Diskussion mit Thomas Bryant statt. Mitveranstalter waren der marixverlag, die „Martin-Niemöller-Stiftung“ und die Regionale Arbeitsgruppe Rhein-Main von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

Auch in Wiesbaden existierte seit 1939 am „Bahnholz“ eine „Lebensborn“-Einrichtung, ehe sie 1943 als Außenkommando dem Frauen-KZ Ravensbrück angegliedert wurde. Die lebhafte Diskussion im Anschluss an die Buchpräsentation zeigte noch einmal sehr deutlich, wie sehr die Wahrnehmung dieses angeblichen Geheimbundes bis heute von falschen Vorstellungen geprägt ist. Bryant weist in seiner detailreichen Studie nach, dass der „Lebensborn“ keine Zuchtanstalt war, sondern in erster Linie Frauen die Möglichkeit geben sollte, uneheliche oder außereheliche Kinder zur Welt zu bringen. Die Motivation der SS war eindeutig: Es ging um die Vermehrung „nordischen Blutes“ und  letztlich um die Hebung „deutscher Wehrkraft“.

Der Berliner Historiker Bryant gliedert sein Buch in drei Hauptabschnitte. Zunächst rekonstruiert er die geschichtliche Entwicklung des „Lebensborn e.V.“ und betrachtet dabei auch den Vorläufer aus der Kaiserzeit, den „Mittgard-Bund“. Der plakativ erscheinende Titel  „Himmlers Kinder“ ist bewusst gewählt. Dem Autor geht es in seinem Buch auch darum, die entscheidende Rolle des „Reichsführer-SS“ bei der Etablierung dieser der SS angegliederten Organisation darzulegen. Heinrich Himmler sorgte dafür, dass der „Lebensborn e.V.“, so Bryant, ein „Staat im Staate“ war, der sich dem Einfluss staatlicher Stellen weitgehend entziehen konnte. Ein zentrales Kapitel innerhalb des ersten Abschnitts – „Bigamie und braunes Blut“ – widmet sich dem Anspruch dieser Einrichtung, eine neue Sexualmoral zu begründen. Das Ziel, dem Reich möglichst viele Kinder zu bescheren, brach mit den tief in der Gesellschaft verwurzelten Moralvorstellungen. Himmler stellte Überlegungen zur „Doppelehe“ an bis hin zur Idee, Ehen, die nach fünf Jahren kinderlos geblieben waren, aufzulösen. Bryant stellt den pseudo-antibürgerlichen Duktus dieser Moral heraus, bei der es sich um eine spießbürgerliche Männermoral handelte. Im wichtigen Kapitel „Lebensborn als Todesborn“ stellt Bryant die SS-Organisation, die sich der „positiven Eugenik“ verschrieben hatte, in den notwendigen direkten Zusammenhang mit der „negativen Eugenik“. Beim „Lebensborn“ handelte es sich keineswegs um eine karitative Einrichtung, vielmehr muss sie im direkten Zusammenhang mit „Euthanasie“, Zwangssterilisationen und Kinderraub betrachtet werden. Nicht vergessen werden darf die Beteiligung der Organisation an den europaweiten „Eindeutschungsaktionen“ – allein in Norwegen errichtete man elf „Lebensborn“-Heime.

Der zweite Hauptabschnitt entstand aus Interviews mit Zeitzeugen. In der Wiesbadener Veranstaltung beschrieb Bryant das Schicksal von Astrid, die im österreichischen Heim „Wienerwald“ zur Welt gekommen war. Erst bei ihrer Heirat stellt sie fest, dass keine Geburtsurkunde existiert. Daraufhin beginnt sie mit der schmerzlichen Spurensuche. Thomas Bryant bringt mehrere Beispiele für „Lebensborn“-Kinder, von denen viele bis heute auf der Suche nach ihrer wahren Identität sind.

Zum Schluss widmet sich der Autor der juristischen Aufarbeitung der „Lebensborn“-Organisation nach 1945, insbesondere im Nürnberger „Volkstumsprozess“ (1948) und im „Münchener Spruchkammerprozess“ (1950). Im zweiten Prozess hatte die Spruchkammer sich zwar vom Nürnberger Urteil distanziert und festgestellt, dass es sich beim „Lebensborn e.V.“ um keine karitative Einrichtung gehandelt hatte. Das änderte jedoch nichts daran, dass auch hier kein Ruhmesblatt deutscher Nachkriegsjustiz geschrieben wurde und alle Angeklagten mehr oder weniger ungeschoren davon kamen.

Die rege Beteiligung im „frauen museum wiesbaden“ im Anschluss an den Vortrag belegt das große Interesse an diesem Thema, aber auch, wie wichtig die Aufklärung über die SS-Organisation ist, die immer noch als Gegenstand geschichtsrevisionistischer Bestrebungen der Rechten herhält. Thomas Bryant ist es ein großes Anliegen, den „Lebensborn“ im historischen Kontext zu betrachten: „Sexualität und Massenmord waren zwei Seiten derselben Medaille.“

 

Andreas Dickerboom ist Sprecher der RAG Rhein-Main von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

 

Thomas Bryant: Himmlers Kinder. Zur Geschichte der SS-Organisation „Lebensborn e.V.“ 1935-1945

marixverlag 2011

ISBN 978-86539-265-7-6

352 Seiten

19,90 €