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Eine „sprechende Mauer“

Gedenkstätte für die Opfer des KZ-Außenlagers Echterdingen-Bernhausen eingeweiht

Am 8. Juni 2010 wurde am Südteil des Stuttgarter Flughafens eine Gedenkstätte „Wege der Erinnerung“ für die Opfer des KZ-Außenlagers Echterdingen-Bernhausen eingeweiht. Dieses Lager bestand zwischen November 1944 und Januar 1945 als eines der 54 Außenlager des KZ Natzweiler im Elsass. 600 jüdische Häftlinge aus 17 Ländern mussten die durch Bomben zerstörte Startbahn reparieren und in Steinbrüchen das Material dafür gewinnen. Heute be-findet sich dieses Gelände auf dem durch die US-Streitkräfte genutzten militärischen Teil des Stuttgarter Flughafens. Die Erinnerung an dieses Lager war über viele Jahrzehnte eine Ge-schichte des Vergessens, das Lager verschwand weitgehend aus dem öffentlichen Bewusst-sein und war nur historisch Interessierten bekannt, daran hatte ein 1995 gesetzter Gedenk-stein nur wenig geändert. Aber manchmal stolpert man buchstäblich über die Spuren der Geschichte: Als im September 2005 die US-Army ihre Toranlagen ausbauen wollte, stießen die Bagger auf die sterblichen Überreste von 34 Toten, die unzweifelhaft mit dem dort befind-lichen KZ-Außenlager in Verbindung standen.

Die Funde machten bundesweit Schlagzeilen, auf Wunsch der jüdischen Organisationen wurden die Toten im Dezember 2005 entsprechend den jüdischen Religionsvorschriften exakt am Fundort wiederbestattet, da die Totenruhe für die jüdische Religion höchste Priorität besitzt. Einige Zeit später errichtete das Land Baden-Württemberg eine würdige Grabstätte mit 34 Grabplatten aus Granit, aber dennoch liegen sie innerhalb des Militärgeländes sind nicht frei zugänglich.

Für die beiden Markungsgemeinden Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen stellte sich aber immer drängender die Frage, wie die Menschen vor Ort bzw. die Städte mit diesem Ort umgehen sollten. Bereits im November 2005 erklärte Filderstadts Oberbürgermeister Dr. Peter Bümlein, die Stadt Filderstadt werde ein städtisches Grundstück und 50.000 Euro für eine künftige Gedenkstätte zur Verfügung stellen. In den nächsten Monaten gründete sich eine Geschichtswerkstatt, bestehend aus etwa 20 Bürgerinnen und Bürgern der beiden Städ-te, die sich intensiv mit der Frage eines angemessenen Gedenkens auseinandersetzten und dieses Anliegen auch in der Öffentlichkeit mit Nachdruck vertraten. Gegen eine Gedenkstätte wurde immer wieder eingewendet, ein so stark vom Lärm geprägter Ort am Rande des Flug-hafens sei für eine solche Gedenkstätte ungeeignet. Auch die Tatsache, dass zwei Gemein-deratsgremien zu einer Einigung kommen mussten, erschwerte eine Entscheidung. Schließ-lich konnte mit einem „Drei-Säulen-Modell“ ein Konsens erzielt werden, wonach das Geden-ken aus der wissenschaftlichen Erforschung, einer schlichten Gedenkstätte und drittens einer Stiftung bestehen sollte.

Weitgehend unstrittig war der Auftrag für die Erforschung der Historie des KZ-Außenlagers. Geradezu prädestiniert erschien hierfür der Historiker und stellvertretende Lokalchef der Stuttgarter Zeitung, Dr. Thomas Faltin, der sich durch eine sehr engagierte Berichterstattung sowie eigene Forschungen für diese Aufgabe qualifiziert hatte. Auf der Grundlage umfang-reicher Archivrecherchen fertigte er eine 260 Seiten umfassende, wissenschaftlich fundierte, gleichzeitig aber gut lesbare Darstellung, die inzwischen große Anerkennung erfahren hat. Im Mittelpunkt seines Buches steht nicht nur das Geschehen im KZ Echterdingen, ein großes Anliegen war ihm auch das Schicksal der 600 Häftlinge, deren Leidensweg größtenteils über Auschwitz und Stutthof nach Echterdingen führte. Die Hygiene- und Versorgungszustände in diesem Lager waren so katastrophal, dass in nur zwei Monaten mindestens 119 Häftlinge an Krankheiten starben, die durch Hunger, Kälte und Erschöpfung hervorgerufen worden waren. Nach dem Ausbruch einer Fleckfieber-Epidemie wurde das Lager aufgelöst, kranke Häftlinge kamen nach Bergen-Belsen sowie in das sogenannte „Krankenlager“ Vaihingen an der Enz, die übrigen rund 350 Häftlinge kamen ins KZ Ohrdruf in Thüringen. Nur von ungefähr 75 der 600 Häftlinge weiß man, dass sie den Holocaust überlebt haben.
Als weitaus schwieriger erwies sich die Frage einer angemessenen Gedenkstätte. Zwar stand ein städtisches Grundstück neben den authentischen Orten, dem Gräberfeld und einem Hangar, dem einstigen KZ-Gebäude, zur Verfügung. Sie liegen jedoch hinter dem Sta-cheldrahtzaun des US-Airfields und sind damit nicht frei zugänglich. Hoffnungen, dass dieser Hangar für Zwecke einer Gedenkstätte von der US-Army freigegeben würde, erfüllten sich nicht. Die beiden Städte lobten einen Ideenwettbewerb aus, zu dem das Künstlerteam Horst Hoheisl und Andreas Knitz (Kassel/Ravensburg), die Landshuter Künstlerin Dagmar Pachtner sowie die Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft Frank Lohrberg/Martin Bennis und Berthold Weid-ner eingeladen wurden. Die Aufgabenstellung war denkbar schwierig, dies betraf nicht nur die Lage zwischen dem Flughafen und einer stark befahrenen Landesstraße. Optisch musste die Gedenkstätte mit einer Tankstelle, Burger King oder Industriebauten konkurrieren. Aufgrund der direkten Nähe zum US-Airfield mussten zudem militärische Sicherheitserfordernisse berücksichtigt werden. Und schließlich musste der Entwurf auch die Zustimmung der Israelitischen Religionsgemeinschaft finden.
 
Dagmar Pachtner überzeugte schließlich die Jury mit ihrem Entwurf „Wege der Erinnerung“. Die von ihr entworfene Gedenkstätte verweist durch zwei sich kreuzende Wege und zwei weiße, zwei Meter hohe Mauern optisch auf die beiden authentischen Orte Hangar und Grä-berfeld. Die eigentliche Besonderheit dieser Gedenkstätte besteht weiterhin darin, dass die Namen der 600 Häftlinge nicht als Namenstafel, sondern in gesprochener Form als Tonin-stallation an der Gedenkstätte erscheinen. 200 Bürgerinnen und Bürgern aus den beiden Städten haben sich daran beteiligt, diese 600 Namen auf Band zu sprechen. Die Künstlerin erreichte damit eine persönliche Verbundenheit zwischen diesen Bürgern zu dem Schicksal von einzelnen Häftlingen. In einer Toninstallation sind diese 600 Namen über sieben Laut-sprecher rund um die Uhr zu hören. Mit diesen beiden Mauern gelang der Künstlerin ein schlichter und doch sehr eindrucksvoller Ort des Gedenkens – trotz der Unwirtlichkeit des Ortes zwischen Stacheldraht und Verkehrslärm.
Die Einweihung am 8. Juni 2010, zu der die beiden Oberbürgermeister von Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen eingeladen haben, fand in Anwesenheit von Vertretern der Is-raelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, der Landesregierung von Baden-Württemberg und der US-Streitkräfte statt. Die Laudatio auf das Kunstwerk hielt Prof. Stefa-nie Endlich aus Berlin.

Diese Einweihung soll aber keinesfalls ein Schlusspunkt der Gedenkarbeit bedeuten, vielmehr soll eine lebendige Gedenkstätte entstehen, sei es durch Führungen oder durch Ge-denkveranstaltungen. Eine solche fand Ende November 2010 zum 66. Jahrestag der Ankunft der Häftlinge statt. Die 200 Sprecherinnen und Sprecher wurden eingeladen, um eine Lich-terkette entlang der Mauer zum Gedenken an die 600 Häftlinge aufzustellen.


Gabriele Dönig-Poppensieker ist Oberbürgermeisterin von Filderstadt und Mitglied von Gegen Vergessen – für Demokratie e.V.
Nikolaus Back ist Leiter des Stadtarchivs Filderstadt.

Buchhinweis:
Thomas Faltin: Im Angesicht des Todes. Das KZ-Außenlager Echterdingen 1944/45 und der Leidensweg der 600 Häftlinge. Filderstadt 2008. 14,00 Euro. ISBN 978-3-934760-10-3